Das autoritäre Bedürfnis

Avantgarde In Sachen Populismus war Österreich schon erprobt, als dieser anderswo noch in den Eierschalen steckte
Ausgabe 01/2016
Die Kommerzialisierung des politischen Sektors ist Treibsatz des Populismus
Die Kommerzialisierung des politischen Sektors ist Treibsatz des Populismus

Illustration: der Freitag; Material: Imago

In der Alpenrepublik schickt sich die Freiheitliche Partei (FPÖ) Heinz-Christian Straches an, zur stärksten politischen Kraft des Landes aufzusteigen. Voraussehbare Skandale oder auch die offensichtliche Unfähigkeit des freiheitlichen Personals werden diese Entwicklung jedenfalls nicht stoppen können. Letzteres stört kaum und gegen Ersteres geriert sich die FPÖ als Opfer und wird von ihrem Publikum auch so wahrgenommen. Gewählt wird aber erst 2018, sollte die Koalition aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Österreichischer Volkspartei (ÖVP) nicht vorher zusammenbrechen.

Die Auseinandersetzungen laufen hierzulande permanent nach dem gleichen Muster, so dass sie kaum noch interessieren, geschweige denn aktivieren. Die Strategien scheinen verbraucht und so verwundert es inzwischen wenig, dass nach den Christlich-Sozialen nun auch die Sozialdemokraten in Gemeinden und Ländern Bündnisse mit den Freiheitlichen eingegangen sind. Vereinzelt auch die Grünen. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Die mediale Aufregung ist diesbezüglich stets größer als die reale. In Österreich etwa regieren die Freiheitlichen in den meisten Bundesländern mit, Kärnten haben Jörg Haider und seine Nachfolger dabei fast in den Bankrott geführt. Aber das alles tut dem Aufstieg keinen Abbruch. Ein Typ mag verunglücken, aber der Typus gedeiht weiter.

„Wir müssen unser Heimatrecht verteidigen und schützen“, sagt Strache. Was das heißt, liegt auf der Hand: Grenzen zu und vor allem eine noch restriktivere Auswahl der Eingelassenen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es gerade dadurch zur Eskalation an den Grenzen oder in den Flüchtlingsquartieren kommt, vor allem dann, wenn Österreich oder gar Deutschland den Orbán macht. Aber selbst diese Differenz ist eine graduelle, hört man relevanten Politikern in ÖVP oder auch SPÖ genauer zu.

Modern und synchron

Eine Periode österreichischer Nachkriegspolitik geht zu Ende. Was kommt, weiß niemand, auch die Akteure nicht. In der heimischen Bürokratie ist man bereits emsig am Werk und stellt sich auf ein Regierungsszenario jenseits der alten SPÖ-ÖVP-Seilschaften ein. Einerseits ist Überwintern angesagt, man versucht sich einzubunkern und die eigenen Pfründe und Privilegien irgendwie abzusichern, andererseits wird man sich wundern, wer da nicht alles gegebenenfalls Farbe und Richtung wechseln wird, sollten die Freiheitlichen wieder einmal über die Zuteilung der Futtertröge entscheiden. Denn auch hier erwiesen sie sich seinerzeit in der Koalition mit Wolfgang Schüssel (ÖVP) als um einiges exzessiver als die von ihnen oft zu Recht Kritisierten.

Der Populismus ist nicht unterentwickelt und vormodern, er verkörpert vielmehr die aktuelle Stufe der kulturindustriellen Inszenierung des öffentlichen Lebens. Er ist deswegen anschlussfähig, weil er mit ihr synchron ist. Die Kommerzialisierung des politischen Sektors ist Treibsatz des Populismus. Seine Demagogie ist nichts anderes als die liberalisierte Reklame, sein Auftreten erinnert frappant an die Serienstars in den Soap-Operas, seine Rede ist das Gerede des Stammtischs. Es herrscht ein Universalismus des Kurzschlusses.

Debatte

Der Populismus ist eine riskante Versuchung für Europa. Die bisher erschienenen Texte von Wolfgang Michal und Albrecht von Lucke ließen das anklingen. Der Wiener Autor Franz Schandl schreibt nun über Populismus als Ausdruck politischer Identität

Allerdings ist praktische Politik heute kaum noch ohne Populismus zu haben. Nach welchen Kriterien sollte hier kategorisch differenziert werden? Populismus ist nicht Alternative, sondern Verschärfung. Ein Komparativ des Dagewesenen. In all seinen bekannten Varianten bedeutet er: mehr Ausländerfeindlichkeit, mehr Korruption, mehr Ignoranz, mehr Primitivität, mehr Homophobie, mehr Sexismus und – trotz sozialer Demagogie – mehr soziale Ausgrenzung. „Österreich kann nicht das Sozialamt der ganzen Welt sein!“, lässt Straches Generalsekretär Herbert Kickl verlauten. Das sind Sprüche, die deswegen reingehen, weil sie von den Angesprochenen tagtäglich selbst ausgesprochen werden. Da fühlen sie sich erkannt und nicht gegängelt. Sie brauchen so nicht verhetzt zu werden.

Die zentrale Frage ist und bleibt: Woher rühren die populistischen Bedürfnisse? Wie entstehen und manifestieren sich diese Gemütslagen und Stimmungen, die den Populismus disponieren? Was konfiguriert die Exponate, was macht aus einer Herde eine Horde? Warum kippt das Unbehagen ins Ressentiment? Antworten darauf sind rar, gesucht werden sie meist und vorschnell in historischen Analogien. Diese Referenz soll gar nicht abgestritten werden, aber ihre Bedeutung ist geringer, als man meint.

Der Populismus fällt freilich nicht vom Himmel, sondern entsteht ganz urwüchsig aus der bürgerlich-kapitalistischen Welt. Es sind die restriktiven Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, die diese in kleine aggressive Konkurrenzmonster verwandeln. Unmenschlich gehalten, verhalten sie sich unmenschlich. Das entschuldigt sie nicht, aber es erklärt einiges mehr, als moralische Appelle und didaktische Übungen bewirken. Diese prallen an den potenziellen Wählern ab, weil sie gar kein Sensorium dafür haben, was wiederum kein persönliches Manko ist, sondern ein gesellschaftliches Defizit. Gefragt sind autoritäre Autoritäten: Gehorcht werden muss. In der biederen Herde steckt jedenfalls schon die wütige Horde. Wollen die Liberalen die Herde fromm und zahm halten, so wollen sie die Populisten aufstacheln. Beide Male geht es um die Kontrolle der Gefolgschaft. Sieht man genau hin, wird deutlich, dass Liberalismus und Populismus mehr gemeinsam haben, als sie trennt. Beide beschwören die große Konvention, sie sind pro Arbeit, pro Privateigentum, pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Standort, pro Markt, pro Automobilisierung, pro Werbung, pro Kulturindustrie. Die einen möchten mehr global und marktradikal deregulieren, die andern wollen es mehr nationalistisch und staatsinterventionistisch regeln. Die Leitwerte sind Konsens. Es ist geradezu grotesk. Wir bekommen mehr von dem, wovon wir schon mehr als genug haben.

Der Populismus ist identitätspolitisch aufgeladen, er redet wenig über Strukturen, aber umso mehr von Schuldigen. Selbst ist einer da nie und nimmer verstrickt, sondern beleidigt, benachteiligt, unterdrückt. Man inszeniert sich als das bloße Opfer äußerer Machenschaften. Abstellen, Aufräumen, Ausmisten – schon wäre die Welt in Ordnung. Auch ein linker Populismus würde nur die Feindbilder austauschen. Den Linkspopulisten erscheint der Populismus als reine Form, die man mit beliebigen Inhalten füllen kann. Doch wenn der Populismus auf Volksvorurteile setzt, was will dann eine emanzipatorische Kraft mit ihm anstellen können? Das populistische Instrumentarium ist außerordentlich beschränkt, und niemandem ist geholfen, wenn man an diesen Beschränkungen wie Beschränktheiten anknüpft. Populismus ist mehr als nur ein Stil.

Links wie rechts?

Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe verlangt gar die „Rücksichtnahme auf die irrationalen Gefühle der Bevölkerung“. Was heißt Rücksichtnahme? Anerkennung? Was soll da alles akzeptiert werden? Einmal mehr riecht das sehr danach, dass man die Leute unbedingt dort abholen muss, wo sie sind. Das ist stets schiefgegangen, denn es bestärkt die Stereotype, anstatt sie zu erschüttern. Die Relevanz, die man dadurch gewinnt, ist nicht essenziell, sondern lediglich akzidentell. Mouffes Propagierung des ewigen Kampfes – „Wir“ gegen die „Anderen“ – will keine Überwindung desselben, sondern eine Fortsetzung der Konfrontation mit gleichen Mitteln, aber anderen Siegern. Es wird nicht mehr gefragt: „Warum?“, sondern gleich: „Gegen wen?“ Die elementaren Fragen bleiben ausgeklammert, einmal mehr geht es um Verteilung und Macht. Da wird keine Hegemonie gebrochen. Da ist nichts Neues unter der Sonne. Elite und Volk sind nicht so auseinander, wie Chantal Mouffe meint. Im Gegenteil – sie sind sich in ihren Ansätzen einiger, als uns allen lieb sein kann.

Andererseits ist der Populismus-Vorwurf auch zu einer billigen Totschlagformel geworden. Alles, was abweicht, kann mit dem Terminus belegt und damit denunziert werden. Jede Attacke gegen Modernisierung und Globalisierung soll fortan als populistischer Dünkel diskreditiert werden. Wer vom „System“ spricht, gilt bereits als Extremist, wer gar eine „Systempresse“ entdeckt, ist als Freiheitsfeind zu entlarven. Und gegen die USA etwas zu sagen, kann nur als Antiamerikanismus gelten. Wenn dann die kapitalistische Demokratie noch zur „offenen Gesellschaft“ geadelt wird, kippt Kritik endgültig in Affirmation.

Doch nur weil es viele Vorurteile gibt, ist nicht jedes Unbehagen schon als Ressentiment zu entlarven. Eben das genau verfolgen der liberale Mainstream und sein linker Appendix. Die Linkspopulisten kommen da gerade richtig. Da kann man sich mächtig aufpudeln und abreagieren. Im Hintergrund rauscht ein von der Totalitarismustheorie angetriebener Wasserfall aus Gülle. Suggeriert wird die Gefährlichkeit von Rändern, von linken und rechten Radikalismen, während ausgerechnet die politische Mitte sich als gemäßigte und extremismusfreie Zone abfeiert. Die „unheilige Allianz“ nennt sie der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka. Wie zweckmäßig!

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