Garantie der Notdurft

Österreich Ab 2009 soll ein gesetzlicher Mindestlohn gelten. Ein politischer Gnadenakt, den man nicht bejubeln muss, denn die Regelung gilt nur für Vollzeitjobs

Bereits im Regierungsprogramm der Großen Koalition in Wien war ein Mindestlohn von monatlich tausend Euro brutto (etwa sechs Euro Stundenlohn) in Form eines Generalkollektivvertrags angekündigt worden. Dem sind nun die Sozialpartner zuvorgekommen. Gewerkschaft und Bundeswirtschaftskammer haben sich Anfang Juli in einer Grundsatzvereinbarung darauf verständigt, in Etappen bis Januar 2009 auch in Österreich einen Mindestlohn zu verwirklichen.

Diese schnelle Einigung hat auch Gründe, die weniger in der Sache als im Eigeninteresse der Interessensvertretungen zu finden sind. Man möchte sich auf keinen Fall von der Regierung das Tarifrecht streitig machen lassen. Weder Gewerkschaft noch Wirtschaft wollen das. In ihrer Grundsatzvereinbarung weisen sie ausdrücklich darauf hin, "dass ein gesetzlicher Mindestlohn keine Alternative zu der bisher geübten Praxis ist und dass aus ihrer Sicht weiterhin Mindestlöhne zwischen den Sozialpartnern auszuhandeln sind".

Die nun korporatistisch verfügte Regelung wird also nicht durch einen Generalkollektivvertrag abgesichert werden. Die Sozialpartner gehen davon aus, dass Branchenkollektivverträge der beste Weg sind. In dem Papier heißt es weiter, der Mindestlohn werde sich in der Höhe von der Mindestsicherung von 726 Euro, wie sie die Regierung beschlossen hatte, deutlich abheben, zugleich aber die betroffenen Branchen nicht überfordern. Die Spanne zwischen durchschnittlichen Transferzahlungen und den untersten Arbeitseinkommen soll wohl etwas ausgedehnt werden, vor allem auch, um Fluchten in die Arbeitslosigkeit zu verhindern. Dieses Lebenszeichen aktiver Sozialpartnerschaft war durchaus notwendig, ist sie doch in Österreich mehr als ein bloß informelles Instrument, sondern institutionalisiert in der "Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen" (s. Kasten). Als Nebenregierung ist die freilich während der vergangenen Jahre stark ins Gerede gekommen, selbst in den Regierungsparteien sinkt die Sympathie.

Ihre einstige Allmacht hat sie eingebüßt, besonders was den Einfluss auf die Preisbildung betrifft. Die jetzige Abmachung ist der Versuch wieder Terrain zu gewinnen, vorrangig seitens der Gewerkschaften, die durch die Affäre um die Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) - einst im Besitz des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) - erheblich geschwächt worden sind.

Die vereinbarte Maßnahme bezieht sich freilich nur auf Vollzeitarbeitskräfte. Sie ist also eine Verbesserung für ein spezifisches unteres Segment, die Working-poor-Arbeitskräfte, zum Großteil Frauen. Nicht gewährleistet ist die Einbeziehung der freien Berufe, da sie von der Wirtschaftskammer nicht vertreten werden. Dazu zählen Assistenten bei Zahnärzten oder Rechtsanwälten, freie Programmierer, Callcenter-Mitarbeiter oder Lehrpersonal in der Erwachsenenbildung. Hinsichtlich dieser Berufsgruppen gibt es nur Absichtserklärungen ohne verbindlichen Charakter.

Natürlich könne auch Effekte, die nicht intendiert sind, nicht ausgeschlossen werden - etwa, dass Niedriglöhner gerade aufgrund der Einführung des Mindestlohns diesen nicht bekommen, weil sie ihrer Fulltimejobs verlustig gehen, also gerade jene Jobs abgeschafft werden, die aufgewertet werden sollen. Man ist imstande, Unternehmen zu zwingen, tausend Euro für Vollzeitarbeitsplätze zu zahlen, aber man kann sie nicht zwingen, diese zur Verfügung zu stellen. Schließlich kann man vieleArbeitsplätze auch durch andere Beschäftigungsmodelle ersetzen. Schon jetzt sind immer mehr Menschen prekären Arbeitsverhältnissen ausgeliefert, das heißt, ein Vollzeitarbeitplatz ist für sie nicht in Reichweite. Oder es sind konkrete Lebensumstände (etwa bei Alleinerziehenden), die es ohnehin nicht erlauben, einen solchen anzustreben.

Trotzdem ist gegen die Verankerung des Mindestlohns wenig einzuwenden. In den meisten europäischen Ländern gibt es ihn bereits. Italien, Deutschland und Österreich sind die Nachzügler in der EU. Der Mindestlohn ist aber auch ein politischer Gnadenakt, den man nicht unbedingt bejubeln muss. Er gleicht dem Einziehen eines unteren Levels, um zumindest eine magere Existenz zu gewährleisten. Mit einem Mindesteinkommen lässt sich lediglich überleben, aber kaum leben und schon gar nicht gut leben. Er ist Garantie der Notdurft.

Klar müsste auf jeden Fall sein, dass der Arbeitsmarkt punkto sozialer Absicherung absolut nicht funktioniert, wenn selbst Vollzeitarbeitskräfte finanziell nicht über die Runden kommen. Wer jedoch an die Segnungen des Marktes glaubt, kann das nicht als Skandal erkennen. Die Politik hat nur erkannt, dass die Leute nicht gänzlich rausfallen dürfen, dass sie weiter am Rand der Gesellschaft stehen, ist ihr kein Problem. Das Vorhaben ist eine Mischung aus restriktiver Fürsorge und paternalistischem Kodex: Schlecht gehen darf es jedem, aber verhungern lassen wir euch nicht.


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