In der Endphase dieses Wahlkampfes spitzt sich alles auf das Duell Schüssel (ÖVP) gegen Gusenbauer (SPÖ) zu. Ersterer wird zweifellos der große Zugewinner dieser Wahl sein, der große Profiteur der sich halbierenden FPÖ. Dass Haider über sich selbst, seine Anhängerschaft und seine internen Kontrahenten gestolpert ist, kümmert kaum. Schüssel ist es vielmehr gelungen, sich als der große Haider-Bezwinger zu profilieren (s. Freitag 44/ 25. 10. 2002). Das suggeriert Stärke und Potenz, denn bisher schien es ja, als sei kein Kraut gegen die Haiderei gewachsen. Noch dazu hat Schüssel den in der Bevölkerung beliebtesten freiheitlichen Minister, den jungen Karl-Heinz Grasser, in sein Team geholt. Die FPÖ schäumt, die ÖVP jubelt.
Selbst im Falle einer ÖVP-FPÖ-Mehrheit darf es keineswegs als ausgemacht gelten, dass der ausgetrixte Haider automatisch den Juniorpartner von Schüssel macht. Da wird ihm "Besseres" einfallen. Die historische Groteske könnte in der wirklich ausgleichenden Gerechtigkeit gipfeln, dass Schüssel gerade nach seinem einzigen großen Wahltriumph den Hut nehmen muss. Außerdem ist eine rot-grüne Mehrheit sowieso wahrscheinlicher als eine schwarz-blaue. Dass Schüssel die SPÖ überholt, ist entgegen den Meinungsumfragen kaum vorstellbar.
Wer ist nun aber der Gegenspieler? Die Erinnerung an den 1960 im niederösterreichischen Ybbs an der Donau geborenen Alfred Gusenbauer reicht fast 20 Jahre zurück. Damals erschien er wie ein sympathischer Teddybär, ein dicker, etwas behäbiger Grizzly mit Vollbart. 1984 war er gerade Vorsitzender der Sozialistischen Jugend geworden. Dass mit solchem Erscheinungsbild kein Fortkommen möglich ist, wird ihm bald klar. Und da er unbedingt rauf will, entledigt er sich nicht nur bestimmter linker Positionen - Gusenbauer ist ein typischer Vertreter der KP-nahen Stamokap-Linken -, er magert auch ab, sonst wäre die Aufstiegsleiter zusammengebrochen.
Dann ist er aus unserem Blickfeld verschwunden, eben um den obligaten Weg von links unten zur Mitte zu gehen. Schon des längeren ist er Nationalratsabgeordneter, fällt aber nie auf, profiliert sich stattdessen mehr in den Gremien, erprobt taktisches Gespür und organisatorisches Geschick, getreu seinem alten Motto: "Eine starke Organisierung der Organisation ist notwendig." Oder wie sein Biograph und Genosse Andreas Pittler schreibt: "Gusenbauer hielt es für das Klügste, sich nicht vorzudrängeln, sondern wartete vorerst einmal ab."
Nun, er hat es erwartet. Als Viktor Klima im Jahr 2000 alle Parteiämter ablegt, wird Alfred Gusenbauer ohne große Reibereien zum Obmann der SPÖ gewählt und ist der ideale Vorsitzende. "Er hat keine Gegner", behauptet Hofberichterstatter Pittler. Der Niederösterreicher hat vielmehr für alle etwas. Es sind Versatzstücke, die Gusenbauer prägen: die proletarische Attitüde (Arbeiterkind), die intellektuelle Plattitüde (Studierter), toskanitischer Rotwein-Chic (Weltoffenheit), niederösterreichisches Veltliner-Wesen (Volksverbundenheit), das obligate Marktwirtschaftsvokabular, das ihn als durchaus würdigen Nachfolger von Vranitzky und Klima ausweist.
Sozialdemokratische Wirtschaftskompetenz etwa zeichnet sich dadurch aus, dass sie primär ein Herz für die Wirtschaft hat. Hartz ist der SPÖ nicht fern. Die Sozialdemokratie will "durch den Ausbau gemeinnütziger Personalbereitstellungsfirmen (flex work companies): flexible Personalbereitstellung für Arbeitgeber und Lösungen für Personen, die sich am Arbeitsmarkt erhöhten Schwierigkeiten gegenüberstehen (z.B. nach langen Berufsunterbrechungen oder ältere ArbeitnehmerInnen mit entwerteter Qualifikation)". Da schickt man 45jährige Näherinnen in Computerkurse und verpflichtet sie zu jedweder Tätigkeit.
"Mit Recht kritisiert die SPÖ die im EU-Vergleich zu hohe Steuer- und Abgabenquote", schreibt Norbert Stanzel im Kurier. Wo´s lang geht, weiß der Marktwirtschaftsschreiber selbstverständlich auch: "Man braucht auch kräftige Einschnitte bei den Staatsausgaben. Wo die zu holen sind, ist bekannt: Die größten Budgetposten sind Soziales und öffentlicher Dienst." Was das bedeutet, ist klar: Sozialabbau und Stellenabbau.
Beide "Lager" - Rot-Grün und Schwarz-Blau - treten für einen ausgeglichenen Haushalt ein, beide wollen eine marktwirtschaftskonforme Pensionsreform (länger arbeiten, weniger Rente), beide sind für Steuersenkungen (eine niedrigere Staatsquote) und für eine Verwaltungsreform (weniger Beamte, größere Schulklassen). Beide also gleich? Im Prinzip schon. Rot-Grün wird ungefähr das einbringen, wofür man jetzt vielerorts meint, Schwarz-Blau verhindern zu müssen. Wende und Wechsel sind austauschbare Schlagworte, mit denen die eigentliche Entwicklung mehr verschleiert als erklärt wird.
Gewinner dieser Wahl werden auch die Grünen sein. Sie steigen auf, niemand weiß so recht warum. Es dürften zwar nicht die angepeilten 15 Prozent (bisher 7,1) werden, aber ein beachtliches Plus gilt als sicher. Die Grünen gedeihen auf der Verkommenheit der anderen, nicht auf eigener Potenz. Ihr zwischenzeitlicher Aufstieg ist nicht die Folge von Eigenmobilisierung, sondern Ausdruck eines Demotivationsschubs im politischen System. Warum sollen nicht mal die Ökos mitregieren? Der Parteivorsitzender Alexander van der Bellen und die Seinen tun doch niemandem was. Schlechter können die es auch nicht machen. Weil unverbraucht, werden sie gebraucht. Wer meint, Rot-Grün würde irgendeine Aufbruchsstimmung in der Gesellschaft spiegeln, geschweige denn: hervorrufen, täuscht sich gründlich. Es ist vielmehr ein zähes Signal des Bestehenden.
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