Überall ist es kalt. Wohin sie auch kommen und gehen, stehen den Schönen und Reichen, den Models, Stars und Sternchen, Atemwölkchen vor den Mündern. Ach, ihre Lebensbezirke sind eisig, Boden und Wände nicht selten gefroren, man gleitet leicht ab, noch leichter aus. Dazu schneit es in terroristischer Lustigkeit allerorten Konfetti, kein Designersofa, kein Revers eines Prada-Anzugs, kein Modellkleid und kein Top-Haarschnitt bleiben unbestäubt. Und leider riecht es, je länger, desto mehr, nach Scheiße.
Das kann man in seiner metaphorischen Strahlung finden, wie es von Bret Easton Ellis vermutlich gemeint ist: billig, dürftig, allzu fett. Ganz anders also, als es die ungeschriebenen Regeln des Jet Set, um den es hier geht, diktieren. Aber plakativ wi
lakativ will Ellis in seinem letzten Roman Glamorama offenbar alles haben. Kein Ressentiment der sehnsüchtig auf die Glamourwelt starrenden sogenannten Normalbevölkerung bleibt unbedient, keine Vorstellung von Leere und Brutalität unbebildert. Mehr noch: Ellis überdreht und überspannt alles ohnedies Geahnte mit wüster Verve und schwärzester Absicht, er bedient und serviert die Klischees mit einer stupenden Schnelligkeit, Eloquenz und Eleganz. Und am Ende sind alle vorgefassten Pfade konsequent ausgetrampelt, alle Konventionen vernichtet: Da gibt es keine Entwicklung mehr, keine Rettung, keine Hoffnung - nur Endzeit, Stillstand. Das Böse ist allgegenwärtig.Natürlich kann man das alles aber ebensogut auch anders lesen: Ellis hat offenbar von Anfang an zwei Lektüremöglichkeiten vorgesehen. Wer keine Lust hat, mit seinen analytischen Lesegewohnheiten immer wieder im Klischeemüll zu enden, kann hier auch, und mit weit größerem Vergnügen, einem erstklassig gemachten Thriller folgen - und wird allerdings auch da schließlich düpiert zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Autor auf die Dauer die Lust an der Irreführung verliert. So wie der Analytiker im Klischeematerial, bleibt der auf suspense Versessene in Glamorama endlich in einem Netz unaufgelöster Verstrickungen hängen - Bret Easton Ellis, Oberkellner im Oberflächen-Catering und Eistänzer der Spannungsbögen, erweist sich am Ende als der große Entzieher. Das allerdings auf 679 furios geschriebenen, von Joachim Kalka brillant übersetzten Seiten zu erreichen, ist auch eine Kunst.Was aber ist nun eigentlich los mit Victor, dem Helden und Idioten, dem wunderschönen jungen Mann, abgebrochenen Collegestudenten und Politikersohn, dieser aufreizend liebreizenden leeren Hülle? Victor hat ein Wahrnehmungsproblem, könnte man der Einfachheit halber sagen. Denn Victor sieht ja: Eis überall und Konfetti, später Leichenteile en masse. Und Victor hört: vornehmlich CD's mit Titeln wie We'll slide down the Surface of Things, In the Presence of Nothing oder The Last Days of Our Acquaintance. Und Victor fühlt: Kälte und Ströme von Blut. Und Victor riecht auch: Scheiße. Da könnte er also, setzte er seine Sinneswahrnehmungen nur zu einem kontingenten Bild zusammen und traute ihnen, einen klaren Eindruck von seiner Situation gewinnen. Er ist es ja, der in der Scheiße steckt! Victor, von Blut und Leichen umgeben, ist völlig allein.Aber realisieren kann er das nicht. Victor, der Sensualist, ist die längste Zeit bis zum Stehkragen mit Drogen abgefüllt, und er will doch nur eins: schön sein, um berühmt zu werden - ein Coverboy. Und darum sieht er nicht, was er sieht, und fühlt nicht, was er fühlt, und stürzt folglich in das größte Desaster, in das ein fühlendes, sehendes Wesen geraten kann. Eine Gruppe von Terroristen, alle Top Models, macht ihn zu ihrem Augenzeugen, Mitwisser und potenziellen Opfer. Und alles verwirrt sich, nichts passt mehr zusammen, denn das Böse regiert in jeder Sphäre, unterwirft und knechtet und mordet, und da gibt es schließlich keine Seite mehr, auf die einer sich schlagen könnte. Folgen eines Wahrnehmungsproblems? Falsch ausgeschlagene Codierung eines erstklassig erzogenen Upper Class-Jünglings, den Drogen dahin gebracht haben, überall Kamerateams und Regisseure am Werk zu sehen und das reale Leben als medialen Vorschein, Konsequenz eines leider extrem brutal abgefassten Scripts für ein Porno-/Splatter-/Snuff-movie?Bret Easton Ellis ist tatsächlich ein Meister der Täuschung. Der wüst bewegte Handlungsstrang in Glamorama gerät nach großem Spannungsaufbau endgültig ins Stocken, wenn sich Victor schließlich als Gefangener der Bilderfälschungen und Doppelgänger-Machenschaften einer weltumspannenden Polit-Mafia in einem italienischen Luxushotel wiederfindet. In seinem Zimmer harrt eine neue Leiche der Entdeckung. Im Haus seiner Schwester in den Staaten agiert ein Victor Johnson, den selbst die Schwester für den einzig wahren Victor hält. Der gedoubelte Victor hat also keine Chance, und Ellis verweigert seinen Lesern auch noch die mindeste Aussicht auf Trost, Sinn oder Rettung. Dies alles könnte nämlich ohne weiteres auch ewig so weitergehen (solange das Geld für's Luxushotel fließt). Und es könnte im nächsten Moment ebenso in Victors längst avisierter Ermordung enden.»Was also ist Wirklichkeit?« heißt die zentrale Frage in Glamorama, und man kann nicht umhin zu sagen, daß auch sie mittlerweile doch ziemlich trivial ist. Denn so, wie Ellis sein glamouröses Panorama entfaltet - virtuos: trotz all der zerfetzten Körper ist das Buch immerhin ein Lesevergnügen -, kann man auf die Dauer nur denken: Wirklichkeit? Gibt's ja gar nicht! Ist doch alles nur fake. Nein, es gibt keine Biografie (außer irgendwelchem Medien-Material, also alleweil veränderbar)! Und es gibt auch keine Motivation einer Person für irgendwas. Nur Aktivitäten, Einflüsse, Strömungen. Und, natürlich, auch keine Identität: Ich ist nicht! Das also ist, auch wieder nicht so überraschend, die Botschaft aus dem Modepuppenheim am Beginn des dritten Jahrtausends. Hätten ihn seine College-Studien je dahin gebracht, Ellis' Victor hätte Ibsens Nora womöglich beneidet. Denn hatte die nicht noch ein Begehren, so etwas wie ein Schicksal? Victor hingegen verfügt nur noch über ein Ensemble von Markennamen, einen Stapel CDs und einige tausend Meter Videoclips. Darauf vielleicht so etwas wie sein Leben abgebildet ist. Aber wer wollte behaupten, dass das wirklich seins war?Bret Easton Ellis: Glamorama. Roman. Verlag Kiepenheuer, Köln 1999, 679 S., 49,90 DM
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