Noch lange nicht fertig

SCHLACHTFELD UND GRAB FÜR GERMANISTEN Volker Braun erhält den Büchner-Preis

Warum so übellaunig? Natürlich: Kein Kommentator will bestreiten, dass es eine gute, richtige, ja überfällige Entscheidung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung war, Volker Braun den Büchner-Preis des Jahres 2000 zuzuerkennen. Aber wenigstens westlicherseits wird in den Reaktionen auf den Beschluss der Jury auch deutlich, dass man so richtig glücklich mit diesem Preisträger nicht werden mag. Hätte er nicht ein bisschen weniger explizit und anhaltend der Sache des Sozialismus verpflichtet sein können? Hätte er nicht, zum Beispiel, ein bisschen mehr "erzählen" können, überhaupt ein bisschen mehr dies, ein bisschen weniger das - und vor allem doch: ein bisschen weniger von der leidigen "Utopie" reden? Haben wir das nun nicht endlich hinter uns? Indem man Volker Braun zum Preisträger macht, so viel steht fest, hat man dieserart Denken, Reden und Schreiben wieder bei sich, um sich herum. Und das ist gut so.

Der Erinnerung wegen. Daran, dass es da einmal einen anderen Staat auf jetzt gesamtdeutschem Territorium gab, von dem ein paar Leute sich nicht völlig ohne historischen Grund anderes versprachen als die gegenwärtige gesellschaftliche Verallgemeinerung der Lust am Aktienzocken. Einen Staat, mit dem sich für sie anderes verband als der Gedanke an umfassende Observierung. Einen Staat, der etwa Volker Braun seit 1975 unter der Kennzeichnung "OV Erbe" bis ins Privateste hinein beobachtete und den sein Objekt der Beobachtung, wissend-unwissend, dennoch die längste Zeit als "dieses bessere Land" ansah. Und gerade deshalb 1976 als einer der ersten den berühmten Schriftsteller-Appell unterzeichnete, der von Partei und Regierung die Rücknahme der Ausbürgerung von Wolf Biermann erbat.

Jenseits des heutigen Wissens über das, was der "real existierende Sozialismus" letztlich wirklich war, gibt es da etwas, das immer noch von manchen vermisst wird. Und es ist wichtig, sich daran erneut zu erinnern: an die überlebensgroßen Hoffnungen, die immer auch einen realen Mangel bezeichne(te)n, und deren staatsförmige Realisierung in Gestalt der DDR in Volker Braun zugleich einen der sensibelsten, suchendsten Kritiker hatte. Man wünschte sich, Uwe Johnson könnte hier die Laudatio halten. Denn es geht um Gesellschafts-Lebens-Projekte und darum, wie sie scheitern: ohne eigenes Zutun und auch mit eigener Hilfe, zusehends. Johnson, lebte er noch, könnte vor allem aber auch berufener als andere den Dichter Volker Braun würdigen: den, der nicht aufgibt. Der seinen Stoff bis zum Ende erzählt und darüber hinaus - irritierende Totenreden. Der sich zu dem Zweck literarische Formen sonder Zahl zu eigen gemacht hat, in jedem Genre auf höchstem künstlerisch-technischen Niveau, ein rastloser Modernisierer seiner Mittel im Bewusstsein ihrer Tradition.

In den siebziger Jahren im privaten Gespräch befragt, wie viele seiner DDR-Leser der komplizierten Form-Inhalts-Arbeit denn noch folgen könnten, all diesen Auseinandersetzungen mit "der Revolution" in ihren verschiedenen historischen Erscheinungsformen und Repräsentanten sowie den subtil gewitzten Kommentaren zu der im Gräulichen nistenden DDR, antwortete Braun schlicht: "Das interessiert mich nicht." Für einen, der in den fünziger Jahren als "operativer Schriftsteller" im Tagebau angefangen hatte und sich in Lyrik, Prosa und Drama mit indolent-ignoranter Zensur herumschlug, ein schonungslos "massenfeindlicher" Kommentar. Der Grund dafür aber ist so simpel wie dichterisch: Volker Braun verfolgt Volker Brauns Projekt. Von dem er einmal annahm, es sei das "der Menschheit". Also verfolgt er auch Täuschung und Enttäuschung.

Und das macht die diesjährige Entscheidung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung so gut: Da ist einer, der stört. Volker Braun, aberwitzig belesen und also in seinen Texten Schlachtfeld und Grab für Germanisten, hält in jeder Hinsicht strikt am scheinbar Vergangenen fest: am Ethos des Dichters, der "etwas zu sagen hat" (das ist vorgestrig in jeder Hinsicht); an der Erinnerung an ein gesellschaftliches Vorhaben der Gleichheit aller (das ist historisch dementiert, und zwar vielfach); an der Tatsache schließlich, dass Kunst Arbeit und Ingenium bedeutet (das ist anstrengend, um das mindeste zu sagen). Der Büchner-Preis macht all dies jetzt noch einmal zur Frage: "Was erwarte ich noch von mir? / (Das kann nicht alles sein.)" Für Volker Braun ist das eine Frage seit gut dreißig Jahren. Und er ist noch lange nicht fertig damit.

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