H ierzulande muss es immer erst ein Roman sein. Kurzgeschichten gehen nicht, nicht beim deutschen Publikum und jedenfalls nicht gleich. Erst wenn man einen Roman gemacht hat und dazu einen Namen, dann gehen Kurzgeschichten. Dann rezensieren das auch die Zeitungen, und dann kauft das auch das Publikum. Wobei: Roman wäre besser. Also nächstes Mal bitte lieber doch wieder einen Roman.
So oder so ähnlich erzählen es tagaus, tagein die Literaturagenten, Verleger und Lektoren ihren Autoren. Und so manch verzweifelter Autor, dem ums Verrecken kein Roman von der Hand gehen will, sitzt dann da und hackt seitenweise Landschaftsbeschreibungen in die Tastatur. Landschaftsbeschreibungen, dieses schreckliche Erbe Karl Mays, sind ein gründlich deutsches Genre, scheint mir; in Fran
r; in Frankreich jedenfalls, mit all seinen unterschiedlichen Klimazonen, sind sie nahezu unbekannt. Da darf allerdings ein Buch auch einmal nur 120 Seiten haben. Wenn ein deutscher Autor einen derart kurzen Text abgibt, gilt er als faul, vielleicht sogar als versoffen.Man geht nicht davon aus, dass er Monate damit verbracht hat, seinen Buchstabenwust auf einen punktgenauen Text zusammenzustreichen; wenn’s nicht dasteht, wird’s halt auch gar nicht erst hingeschrieben worden sein.Ganz falsch. Bov Bjerg zum Beispiel ist ein Meister der Selbstredigierens, das merkt man den Texten an. Er braucht keine tags, um die Handlungsorte seiner Geschichten zu kennzeichnen; da muss nicht Kirchturm, Hügel, Wald und Feldweg stehen, das erschließt sich von ganz allein. Und wenn Kirchturm, Hügel, Wald und Feldweg auftauchen, dann bedeuten sie auch etwas; nicht nur abstrakt-metaphysisch, sondern konkret, für den Text. Man nennt das Handwerk, und Bov Bjerg beherrscht es.Es gibt in dieser Geschichtensammlung keinen inhaltlichen Faden, das ist gut, macht aber das Schreiben einer Rezension schwer. Es geht um die Installation einer Fußgängerampel (Umgehungsstraße war zu teuer), um das Auto des Dorftrottels, um erbrochene Schinkennudeln und das moderne Machwerk eines Provinzkünstlers.Bov Bjergs Themen könnten (meistens) auch Inhalt eines Gartenzaungesprächs mit einem x-beliebigen Nachbarn sein, es geht oft um Dinge, die Menschen beschäftigen, denen langweilig ist, ohne dass sie davon wissen. Weltbewegendes passiert nicht, und wenn doch einer mal nach Amerika entwischt, Millionär wird gar, dann dreht er durch (denn da gehört er nicht hin) und verbrennt. Das ist die eine Hälfte des Buchs.Die andere ist das Berliner Exil, und da geht es um wildere Leute und Sachen; Kopfschuss-Klaus, der nach einem Frontalhirnschaden Passanten Kreditkarten aufschwatzt, kaum beeinträchtigt von seiner Witzelsucht; um beschissene Nebenjobs (Horoskope schreiben, zum Beispiel), einen Aufenthalt in Göttingen; Köpfe, die an Penisse erinnern, ein nach dem zwölften Bier misslingendes sexuelles Abenteuer. Das klingt wilder als der erste Teil, aber auch das sind Dorfgesprächsthemen der Berliner Tresenlandschaft.Eistee aus einem MülleimerBov Bjergs Ich-Erzähler stehen den Geschichten oft mit einer gewissen gefestigten Verwunderung gegenüber, sie werten nicht und regen sich nur selten auf (und wenn doch, zeigen sie es nicht). Die Welt ist einigermaßen absurd, ja, aber dann ist das halt so. Die große Ausnahme – das Herzstück des Buchs – ist die Geschichte über den Fremdenführer, der Touristen über Victor Capesius informiert. Es ist dies die Geschichte, die stilistisch am deutlichsten aus dem Rahmen fällt; in der das Misstrauen hervortritt, das Bov Bjerg gegenüber Geschichten hat – weil sie Sinnhaftigkeit immer nur behaupten, nie aufzeigen. Bov Bjerg ist ein Erzähler, der dem Erzählen misstraut, gerade auch weil er die Kniffe kennt.Victor Capesius, der auch in seinem bejuebelten Roman Auerhaus einen kurzen Auftritt hat, war der Apotheker von Auschwitz. Vom herausgebrochenen Zahngold der Toten soll er sein Geschäft inklusive Schönheitssalon (SEI SCHÖN DURCH EINE BEHANDLUNG BEI CAPESIUS, hieß es in der Firmenreklame) am Ort eröffnet und danach friedlich seine bürgerliche Existenz begangen haben. Erst Peter Weiss’ Ermittlung brachte seine Taten zurück in die Erinnerung – und damit die Touristen, die der Schulfreund des Ich-Erzählers zu betreuen hat. Er hat alles gelesen, sich in alles hineingelebt, ist selbst Jude geworden, jede Biografie der deportierten Anwohner memoriert, ist inzwischen ein gefragter Mann und Experte – und verstummt am Ende, weil ihm all seine Storys über das Grauen durch die Finger rinnen wie Eistee aus einem Mülleimer, Blut in einen Gulli.Es ist ein wildes Gemisch an Geschichten, die Bjerg hier versammelt hat, und nimmt man alle Ich-Erzähler in einen, ergeben sie das Bild eines schwäbischen Jungen, der später ein bisschen herrumkommt, um dann festzustellen, dass es auch anderswo wunderlich zugeht. Bjerg setzt sprachliche Pointen, aber ihren Witz ziehen die Geschichten daraus, dass sie dem Alltagsquatsch nachspüren, der manchmal nur albern ist, manchmal aber auch zutiefst abgründig. Der Humor hilft, die mangelnde Erhabenheit des Seins auszuhalten, und bisweilen nicht mal der. Es sind Geschichten, die einen nicht laut lachen machen, sondern ungläubig lächelnd den Kopf schütteln lassen.Es muss nicht immer ein Roman sein. Möglicherweise – die Hoffnung ist gering – hilft dieses Buch dem Betrieb beim Umdenken.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.