Das Dilemma der Leiharbeit

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Immer mehr Menschen in Deutschland werden Opfer des Leih- und Zeitarbeierdilemmas. Die Zahl der oft unter prekären & unwürdigen Verhältnissen schuftenden Leiharbeiter steigt seit der Aufweichung der Sozialgesetze und der Verabschiedung der Hartz-Reformen enorm. 2011 wurden fast eine Millionen Menschen von Leiharbeiterfirmen gebucht, gekündigt, hergehalten und ausgenutzt.

„Arbeitnehmerüberlassung“ heißt es im Amtsdeutsch. Deutlich neutraler und sozialer klingen die Begriffe “Leiharbeit” und “Zeitarbeit”. Ursprünglich war die Leiharbeit eingeführt wurden, um Unternehmen bei temporärer starker Auftragslage Leiharbeiter zeitlich begrenzt unter Vertrag zu stellen. An dieser Idee der Leiharbeit ist nichts dran auszusetzen, wenn bei der Anstellung der Leiharbeiter schwächer oder unausgebildete Arbeitskräfte unter Vertrag genommen werden und entsprechend gerecht vergütet werden. Doch leider ist der Damm gebrochen und die Flut der Ausbeutung fließt unkontrolliert Richtung Festland. Der Begriff, welcher das Ausleihen von Arbeitskräften beschreit, sollte weder „Arbeitnehmerüberlassung“ noch “Leiharbeit” oder “Zeitarbeit” lauten. Heute kann man getrost von der “Versklavung der Moderne” sprechen.

Niedriglohnsektor wächst

Die Entwicklung, der Zuwachs im Niedriglohnsektor, muss mit Argusaugen betrachtet werden, denn die volkswirtschaftslichen Auswirkungen des Leiharbeit sind noch unbestimmt. Auch die Tatsache, dass in bestimmten Arbeitsbereichen zukünfig ausschließlich Leiharbeiter zum Einsatz kommen, fördert keineswegs die soziale Gleichheit. Es scheint, als verabschiede sich die Poltik immer mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, legidlich Volksvertreter zu sein und sich für eine gerechte Verteilung des Kuchens einzusetzen. Die Geschichte lehrte uns. Trugschlüsse wurden sichtbar und das beste überlebte. So kamen auch die großen Politiker der BRD auf den Gedanken, ein Grundgesetz in das politische System zu verankern, um begangene Fehler nicht ein zweites Mal geschehen zu lassen. So kann man in diesm Grundgesetz unteranderem im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz folgendes vernehmen: „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Was im Grundgesetz steht, scheint die Politiker nicht zu belangen. Damals wurden zwar seitens der Rot-Grünen Schröder-Regierung Gleichstellungsansätze betrieben, jedoch konnten diese Equal Treatment/Equal Payment-Ansätze von den Unternehmen durch spezielle Tarifverträge gekontert werden.

Leiharbeit für Jedermann

Längst stimmt das Klischee, dass lediglich unausgebildete Hilfskräfte als Leiharbeiter eingestellt werden, nicht mehr. Heute stellen die Leiharbeiter in diesem Segment nur 45 Prozent aller Leiharbeiter dar. In dem Facharbeiter-Segment, in welchem sich Schlosser, Elektriker oder Mechaniker befinden, bilden ebenfalls 45% aller Leiharbeiter. Die restlichen 100.000 Menschen, die als Leiharbeiter verliehen werden, sind Akademiker, die in der undankbaren Welt der Leiharbeit verharren und sich wohl fragen, warum sie eigentlich studiert haben, wenn das der Preis des Fleißes sein soll.

Gesundheitlich bedenklich muss die steigende Zahl der immer jünger werdenen Leiharbeiter bewertet werden: Fast 40 Prozent der Leiharbeiter haben das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet. Wer nie einen Vertrag mit Festanstellung unterschrieben hat und sich Tag für Tag wie ein verliehenes Objekt fühlen muss, mit der Angst leben muss, wie mit so wenig Geld der Alltag gemeistert werden soll, der bekommt ganz sicher zu den psychischen Problemen auch physische, welche sich zu Depressionen und Verzweiflungsausbrüchen kumulieren können. Zum Vergleich, wie prekär die Zahl der vertraglich befristeten unter 30-jährigen gestiegen ist: Heute befinden sich doppelt so viele junge Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen wieder als noch vor zehn Jahren.

Fette Beute für Leiharbeiterunternehmen

Die wohl drei bekanntesten Leiharbeiterunternehmen lauten Adecco, Randstad und Manpower. Zu aller sozialen Ungerechtigkeit, fraßen diese drei Unternehmen den Bärenanteil. Sie erzielten in Deutschland beispielsweise im Jahr 2007 einen Gewinn von 260 Millionen Euro. Allein Adecco, ein global agierende Leihunternehmung, steigerte 2011 seinen Gewinn von 8 Millionen € 2010 auf 423 Millionen €. Während die Leiharbeiterfirmen immer größer und mächtiger werden, verstummen die die Schreie der Leiharbeiter nach einem Mindestlohn und Equal-payment-Träumen. Das durch Tarifvertragsmodifizierungen umgangene Equal-payment-Gesetz, lässt Leiharbeiter 20 bis 40 Prozent weniger verdienen, als Beschäftige mit Festanstellung.

Deutschland verarmt

In den USA spricht man immer mehr von der “working poor”, von der Arbeiterklasse, die vor allendingen durch den Sozialabbau der letzten Jahren getroffen wurde. Konnte man damals als Arbeiter noch am Wohlstand der Nation teilhaben, ist man heute als einfacher Arbeiter der Armut ausgesetzt. Auch in Deutschland wächst die Zahl der “working poor” deutlich und die Leiharbeit hat auch hier seine Finger im Spiel. Viele der Leiharbeiter, die vollbeschäftigt sind, eine ganz normale 40-Stunden Woche haben, müssen zum Teil sogar HartzIV-Ansprüche geltend machen.

Als die Worte “Agenda 2010″ in den Mund genommen wurden, hieß es, dass die Leiharbeit ein absolut notweniger und richtiger Schritt sei. Alle Parteien nickten, waren sich einig, dass die Leiharbeit Gutes verheißen mag. Nur knappe fünf Jahre später bleibt die Erkenntnis, dass die Leiharbeit Hauptsächlich den Unternehmen von Vorteil war. Nur 15 Prozent der Leiharbeitnehmer konnten sich im Anschluss an diese Tätigkeit über eine reguläre Beschäftigung freuen. Nichts war es mit dem Traum von der Eingliederung Langzeitarbeitsloser und schwächer ausbildeter in das Projekt der Leiharbeit. Wirtschaftlich mag die Leiharbeit für die Unternehmen ein Segen gewesen sein, sozial gesehen ist die Leiharbeit ein Desaster. Wenn das Kapital vor dem Arbeiter steht, läuft einiges falsch in einem Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich noch nie so weit auseinander gedriftet ist, wie sie es heute ist.

Das Bild der Leiharbeit ziegt einmal mehr, dass der deregulierte Arbeitsmarkt völlig aus den Augen gelassen wurde. Aber wie will man auch eine Kontrolle und Überblick über etwas Dereguliertes behalten? Die Leiharbeit, geprägt von der Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, geprägt von Angst der Leiharbeiter, geplagt von gesundheitlichen Problemen, geplagt von einer ungerechten Vergütung, gehört wie auch zu Zeiten vor 1967 verboten.

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