Reinheit durch Abstinenz: Wohl niemand hat religiöse Vorstellungen davon so prominent gebrochen wie die katholisch erzogene Künstlerin Madonna. Immer wieder setzte sie religiöse Symbole ein. Mehrmals wurde daher ein Boykott ihrer Konzerte angeregt, etwa, weil sie sich auf der Bühne ans Kreuz hängte, oder weil sie, während sie "Like A Virgin" sang (Betonung auf "Like", "Wie eine Jungfrau", oooh, oooh, oooh), im kegelförmigen Brusthalter Masturbation simulierte. An Reinheit ist sie aber dennoch interessiert: Madonna sagt Yes zur Abstinenz! Bei Madonna gibt es – der Legende nach – weder Fernsehen noch Zucker, Milch oder Bier. Und wenn Guy Ritchie, ihr – auch das noch – Geschiedener, seinen Freunden Fleisch servierte, zog sie
Eine beladene Figur
Jungfrau Jungfräulichkeits- sind vor allem Unschuldsvorstellungen. Bis heute werden sie weitergetragen. Und unterlaufen. Ein A bis Z über Maria, Madonna, Stars und Sterne
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r Legende nach – weder Fernsehen noch Zucker, Milch oder Bier. Und wenn Guy Ritchie, ihr – auch das noch – Geschiedener, seinen Freunden Fleisch servierte, zog sie sich angewidert mit Misosuppe zurück. Das ist, zugegeben, nur eine Legende. Und Legenden enthalten manch unwahre Tatsachenbehauptung – aber es sind oft gute Geschichten. Das kennt man auch von der Jungfrau → Maria. Klaus RaabBesteigungVor Jahren forderte ich im trunkenen Zustand einen Schweizer zu einem Tourenski-Rennen beim Jungfraujoch heraus. Das Jungfraujoch: der Verbindungsgrat zwischen Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht. Mein Gegner war ein Skilehrer; praktisch geboren in einer Gletscherspalte. Ich war ein mittelmäßiger Skifahrer ohne Tourenski-Erfahrung.Bereits beim Aufstieg zum Trugberg war alles klar; angeseilt und gedemütigt kroch ich den Berg herauf. Herzrasen, Kopfschmerzen, Übelkeit. Irgendwann wurden wir immer langsamer; der Skilehrer sorgte sich nicht mehr darum, wer gewinnen, sondern ob ich den Aufstieg überleben würde. Auf dem Gipfel (3.932 Meter) sagte er, ich solle etwas essen. Zur Antwort drückte ich mein Gesicht in den Schnee. Warum öffnet sich die Erde nie, wenn man etwas von ihr will? Dann die Abfahrt. 45 Prozent Neigung erkennt man daran, dass man das Ende der Piste nicht sieht, weil sich der Abhang nach außen zu wölben scheint. Der Skilehrer: "Du solltest hier nicht stürzen." Am Ende waren meine Schienbeine blutig, die Lippen brüchig, die Hände merkwürdig geschwollen. Das Rennen war eine Tragödie.Kleine Happy-End-Fußnote: Als ich in der Nacht (auf 3.200 Meter) schlaflos durch die Hütte geisterte, stand ich plötzlich vor der Tochter des Wirtes. Sie blickte mich aus irren dunklen Augen an. Ich trug meine Skimütze, Skiunterwäsche und dunkle Augenringe und wäre in normalen Höhen als verrückt eingestuft worden. Hier oben entsprach meine Erscheinung dem Schönheitsideal. Mikael KrogerusEisernBei Heavy Metal geht es, vereinfacht gesagt, darum, größer, besser, schneller, stärker und vor allem lauter zu sein als alle anderen. Auf einer anderen Ebene geht es darum, mit horrorinspirierten Coverbildern zu provozieren, durch ultrabrutale Textzeilen aufzufallen und mit einem giftigen, gern anti-christlichen Bandnamen die Latte für Nachahmer hoch zu legen: Judas Priest, Nazareth, Megadeath, Warhorse, um einige zu nennen. Aber keine Metal-Band erfüllt diese Kriterien besser als Iron Maiden aus England. Die "Jungfrauen" (Iron Maiden = Eiserne Jungfrau, das mythenumsponnene Folterinstrument, das alle anderen Geräte an teuflischer Genialität übertraf) entschieden sich angeblich für diesen Namen, nachdem Bassist Steve Harris eine Verfilmung des Dumas-Klassikers Der Mann mit der eisernen Maske gesehen hatte. In dem es ironischerweise nicht um eine Eiserne Jungfrau ging, sondern um eine eiserne Maske, die die Identität ihres Trägers verschleiern sollte. mkHoroskopEin Blick auf Horoskopseiten im Internet beweist: 2011 wird für alle, die im Sternzeichen der Jungfrau (24.08. bis 23.09.) geboren sind, wieder ein Jahr!Bei horoskop.t-online.de heißt es: "Jupiter und Uranus wirken sehr inspirierend auf Ihren Geist." Und: "Erotikplanet Mars steht ab November in Ihrem Zeichen. Erobern oder sich erobern lassen – beides ist jetzt möglich!" Kollege Mars "bringt im Mai und Juni neue Impulse in Ihre Partnerschaft." Astroportal.com ahnt: "In puncto Ausstrahlung sollte es für Sie 2011 (...) wenig zu meckern geben, denn Venus verleiht Ihnen das ganze Jahr über besonders viel Charme!"Astroprofi.at prophezeit: "Nicht, dass Jungfrau-Geborenen von Natur aus keine besondere Ausstrahlung hätten, (…) Pluto schenkt Ihnen jedoch dermaßen viel Kraft, Charme und Charisma, sodass Sie im Jahr 2011 in jedem Fall mehr Beachtung als gewohnt erhalten werden." Zum Ausschneiden und Aufhängen ist das Horoskop von myastro.org: "Sie passieren zu hohe Geschwindigkeit (...). Dies wird durch die anderen als Ihnen die Dinge zu konsolidieren, durch Ihr Wissen, das Ihnen das Gefühl der inneren Sicherheit, die Sie suchen finden werden." (sic!) Und weiter: "Der Jupiter wird Impulse galvanisieren Ihre Handlungen in der Richtung eine größere Sicherheit im weitesten Sinne". (sic!)Wermutstropfen: Saturn scheint 2011 ein Totalausfall zu werden. raaHymen "Bin ich noch 'intakt'?", wollen die jungen Frauen wissen und meinen damit, ob ihr Jungfernhäutchen, das Hymen, noch unversehrt ist. Das körperliche Zeichen der Unschuld ist eine wichtige Währung auf dem Heiratsmarkt. Und Mädchen insbesondere aus muslimischen Familien (→ Zweiundsiebzig), die fürchten, es könnte "vor der Zeit" beschädigt worden sein, kommen vermehrt zu Gynäkologen oder in Beratungsstellen mit dem Wunsch, "das wieder heil zu machen".Hymenrekonstruktion heißt die an sich unkomplizierte Prozedur, bei der das Häutchen vorsichtig zusammengenäht wird.Dabei hält ein Hymen nicht, was es verspricht: Manchmal ist es so elastisch, dass es beim Sex nicht verletzt wird. Und ein "kaputtes" Häutchen zeugt nicht von vorehelichem Verkehr, da es auch etwa beim Sport verletzt worden sein kann. Den Betroffenen geht es meist auch nicht um Moral oder Religion, sie wollen nur ihre Familien nicht beschämen. Manches "defekte" Hymen ist auch auf Missbrauch in der Familie zurückzuführen. Das nennt man Doppelmoral. Ulrike BaureithelJugendsexBisweilen wird beklagt, dass der Jugendliche an sich immer früher Sex habe. Wie schlimm das wäre, wäre eine andere Frage. Die Klage beruht aber auf falschen Annahmen. Dazu ein paar Zahlen: Statistisch betrachtet ist im Vergleich zu 1980 der Anteil der koituserfahrenen Jugendlichen laut einer Studie der Bundeszentrale für sexuelle Aufklärung von 2009 zwar gestiegen, bei Mädchen wie bei Jungen der Altersgruppen 15, 16 und 17 Jahre. In den vergangenen Jahren ist aber ein Rückgang zu verzeichnen: 1998 hatten elf Prozent der 14-jährigen und 29 Prozent der 15-jährigen Mädchen bereits Sex. 2009 waren es nur sieben Prozent der 14-jährigen und 21 Prozent der 15-jährigen Mädchen. Bei den 14-jährigen Jungen fiel der Anteil von zehn auf vier Prozent, bei den 15-jährigen Jungen stieg er von 13 auf 17 Prozent. Unter den 17-jährigen Deutschen hat sich jeder Dritte noch nicht auf Sex eingelassen. raaJungfernzeugungWieder mal so eine irreführende Bezeichnung: Eine Jungfrau ist für die Jungfernzeugung überhaupt nicht notwendig. Der ganze Vorgang hat nicht einmal was mit Zeugung zu tun. Stattdessen beschreibt er einen für höhere Tiere (und Pflanzen) eher unkonventionellen Alleingang: Aus einer weiblichen Keimzelle, dem Ei, entwickelt sich auf spontanes Kommando Nachwuchs, ganz ohne männliche Beteiligung – also ohne Spermien. Viele Insekten beherrschen diese emanzipierte Form der Fortpflanzung, manche integrieren sie sogar in die Familienplanung: Befruchtete Eizellen der Honigbiene zum Beispiel werden Mädchen, unbefruchtete Jungs. So einfach kann das sein.Parthenogenese, wie die Jungfernzeugung nach der altgriechischen Jungfrauengeburt kaum treffender heißt, gibt es aber auch bei Haien, Truthähnen, und man hat sie im Labor sogar schon mit der Maus hingekriegt. Im Experiment entwickeln sich selbst aus Eizellen von Affe oder Mensch embryonale Zellhäufchen – ohne Klonen, ohne Befruchtung. Ohne Sex. Dass → Maria Jesus durch Parthenogenese hervorbrachte, ist vom biologischen Standpunkt aus aber zweifelhaft. Menschliche Eizellen besitzen kein Y-Chromosomen, eines von ihnen ist für die Knaben-Entwicklung aber zwingend notwendig. Kathrin ZinkantMandelDie jüdisch-christliche Tradition operiert mit Gegensätzen. Der Liebesapfel, der Adam und Eva orgiastisch entgleisen ließ, ist auch das Zeichen der ewigen Verdammung, unter Schweiß und Tränen unser Brot zu verdienen. Das Geschlecht wird fortan verhüllt, und als mater dolorosa feiert → Maria Auferstehung, jungfräulich. Verboten waren fortan die Feigen, im altgriechischen Fica, was auch Vulva bedeutet (denn die Früchte erinnerten an das verbotene Geschlecht). Während die österreichischen "Feigenmänner", ficarii, verborgene Feigen beglückten, kreierte das christliche Abendland die Schutzmantelmadonna in der Mandorle, der Mandel, diesem ins Auge stechenden Symbol weiblicher Beschaffenheit. Dies und anderes über verrammelte Pforten und schamhafte Enthüllung verdanken wir der erhellenden Studie Vulva von Mithu M. Sanyal. ubaMariaBeim Evangelisten Lukas wird Jesus von Maria geboren, als sie noch Jungfrau ist, weil gezeigt werden soll, dass mit Jesus' Existenz eine Prophezeiung wahr wird. Denn wir lesen im Buch Jesaja, Kapitel 7 Vers 14 nach der Einheitsübersetzung (ähnlich bei Luther): "Seht, die Jungfrau wird (...) einen Sohn gebären". Lukas hätte sich die steile Behauptung ersparen können. Im Originaltext ist von einer Jungfrau keine Rede, vielmehr von einer jungen Frau. Um 150 vor Christus wurde daraus in einer griechischen Übersetzung durch hellenisierte Juden die "Jungfrau". Diese Juden wussten noch nicht, was das Christentum mit der „Jungfrau“ anstellen würde. Die deutschen Juden Martin Buber und Franz Rosenzweig, die es wussten, übersetzten lieber genau: "Da, die Junge wird schwanger und gebiert einen Sohn."Unter evangelischen Theologen ist es heute Konsens, dass die Jungfrauengeburt einen guten Sinn nur als Legende hat. Es gibt eben Legenden, die unterhalten, und andere, die einen Sinn mitteilen wollen. Wenn anderswo erzählt wird, jemandem sei ein Ohr abgehauen worden, Jesus habe es wieder drangesetzt und der Mann sei anschließend Christ geworden ("er hieß Malchus", war den Adressaten der Erzählung offenbar bekannt), dann begreift man: Gewaltanwendung ist das Letzte, was Leute zum Zuhören geneigt macht. So wird auch die Jungfrauengeburt bei Lukas einen Sinn haben. Aber das ist eine andere Geschichte. Michael JägerPromisWas wäre das Geschichtsbuch ohne Jungfrauen? Etwa Hildegard von Bingen (überlegene Denkerin), Jeanne d'Arc (überlegene Kriegerin) und Elisabeth I. (überlegene Politikerin). Zwischen ihren Fähigkeiten und ihrer Unberührtheit wurde oft ein Zusammenhang unterstellt. So musste sich Jeanne d'Arc einer genauen Untersuchung unterziehen, bevor sie als Frau in die Schlacht ziehen durfte. Prominente männliche Jungfrauen? Der dänische Dichter Hans Christian Andersen (Die kleine Meerjungfrau) soll zeitlebens abstinent geblieben sein. Ebenso Immanuel Kant und Isaac Newton. Unsere Gesellschaft kennt jenseits der Klöster nur die Jungfrau auf Zeit. Britney Spears betonte als Teenie-Star gern ihre Jungfräulichkeit. Der Imagewandel zur sexuell aggressiven Frau klappte aber nicht ganz so wie bei Madonna (→ Abstinenz). Jan PfaffZweiundsiebzigJungfrauen im Islam haben im Westen einen schlechten Ruf. Entweder assoziiert man mit ihnen die patriarchalen Traditionen bei der Heirat – das blutbefleckte Bettlaken in der Hochzeitsnacht – oder die Jungfrauen, oft in Verbindung mit der Zahl 72 genannt, erinnern an den Lohn derjenigen, die vermeintlich im Namen der Religion kämpfen, fallen und ins Paradies eingehen. Die Popularität beider Vorstellungen ist vor allem den verbreiteten islamskeptischen und bisweilen islamfeindlichen Haltungen in der Gesellschaft geschuldet. Dabei ist der Jungfrauenbeweis viel älter als der Islam.Außerdem bluten längst nicht alle Frauen beim ersten Geschlechtsverkehr, denn das Einreißen des → Hymens führt nicht zwangsläufig dazu, mitunter ist es schon seit der Kindheit gerissen. Nicht weniger von falschen Vorstellungen geprägt, sind die Jungfrauen im Paradies. So ist es etwa gar nicht ausgemacht, ob es sich bei ihnen um weibliche oder geschlechtsneutrale Wesen handelt. Auch werden nicht nur "Märtyrer" mit diesen PartnerInnen belohnt, sondern alle rechtgeleiteten Muslime. Allerdings ist ein Teil der Gläubigen davon überzeugt, dass die Paradiesvorstellungen überhaupt nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinn zu verstehen seien.Nun denn, während sich Muslime und Nicht-Muslime an diese Themen hängen, ist eines weitgehend unbekannt: Auch der Koran erkennt die Jungfräulichkeit → Marias an. Eigentlich ist diese Jahreszeit doch ideal, auch einmal darüber nachzudenken. Oder? Lamya Kaddor
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