Können diese leuchtenden Kinderaugen lügen (➝ Babyccino)? Nein. Sie strahlen, während sie mit ihren kleinen Fingerchen auf dem Display eines iPhones tippen und einer virtuellen Ziege übers Fell streichen. Schon allein der Touchscreen – das ist beim iPad nicht anders – scheint wie gemacht für die Kleinen. Die zahllosen, speziell für Kinder entworfenen Apps tun ihr Übriges. Da kann man Tiere streicheln, Tierstimmen erraten mit der Muh-Box oder erste musikalische Erfahrungen machen mit dem MiniPiano. Die Baby Rattle bab bab lite-App produziert Farben und Töne, die offenbar jeden Schreihals zum Verstummen bringen, wohingegen Ralph, die rastlose Rhythmusratte nur durch kräftiges Schütteln zufrieden zu stellen ist. Es
Voll Baby
A-Z Kinder Es hilft alles nichts, Frauen hierzulande sind wieder Schlusslicht: Nur 1,39 Kinder im Durchschnitt! Was sie über die allerdings wissen sollten, im Lexikon der Woche
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urch kräftiges Schütteln zufrieden zu stellen ist. Es soll Familien geben, die vereisen nur noch wegen der Fahrt (➝ Laufrad). Mark StöhrBabyccinoJa, ich habe es getan. Zweimal bereits. Und es war gut. Um nicht zu sagen befreiend, ein Akt der selbstbezichtigenden ➝Prenzlauer Berg-Stigmatisierung. Eine Provokation zwischen den ➝Fronten, gerichtet an die vorwurfsvollen Tischnachbarn, während zwei Kinderhände ihre Trinklernflasche malträtieren, also auf die Tischplatte schlagen und dann fallen lassen. Einen Babyccino bitte, für meine Tochter! Eines dieser Mini-Latte-Macchiato-Gläschen mit reinem Milchschaum (➝ Zucker), mit einem kleinen Löffelchen und einem kleinen Strohhälmchen, wie es neuerdings in Cafés angeboten wird. Eine Wahnsinnserfindung: Die Tochter ist beschäftigt. Für mindestens zehn Minuten. Weil, ja, man wird ja mal ins Café wollen dürfen! Susanne LangComputerlernspielBilderrahmen schweben, füllen sich mit Kunst, dann formen sie sich zu Quizfenstern oder Filmsets: So funktioniert das Computerspiel Vom fehlenden Fisch, das die Kunsthalle Bremen als erstes deutsches Museum entwickelt hat. Es macht die Kunstgeschichte zu einem großen Abenteuerspielplatz, in dem sich die Kinder austoben können. Lernen, ohne dass man es merkt (➝ Laufrad), gutes Konzept. MSDMKinderparadies, das. Gute Produkte. Guter Service (gratis Wickelmöglichkeit). Guter Unternehmer (für Grundeinkommen). Fast zu gut, um wahr zu sein. SLFrontenSpätestens dann, wenn mir der von lauten Kindern genervte Mensch am Nebentisch einen verschwörerischen Blick zuwirft, die Augen verdreht und tief ausatmet, weiß ich, dass ich erkannt worden bin: als Mitglied des Clubs, der selbst keine Kinder hat. Deren Mitglieder sich glücklich schätzen, mit den Kinderwagenschiebern und Kinderfreizeitorganisierern (➝ Prenzlauer Berg) nichts gemein zu haben. Ihre Blicke sind eindeutig: Wir haben es richtig gemacht. Warum nur müssen wir uns trotzdem mit Kindern abgeben? Ganz einfach: weil sie zum Leben dazugehören. Indem ich mich für mein Leben ohne Kinder entschieden habe, bin ich nicht automatisch einem Club beigetreten. Meine Nachbarskinder stören mich mit ihrem Gerenne und Gebalge nicht. Was allerdings nervt, sind die sie anbrüllenden Eltern. Jutta ZeiseLaufrad Die Geschichte des Laufrads ist die Geschichte einer Erfindung, die zweimal gemacht wurde. Anfang des 19. Jahrhunderts erfand Karl Freiherr von Drais in Mannheim ein Laufrad für Erwachsene, aus dem sich das Fahrrad entwickeln sollte. Nach der Erfindung der Pedale interessierte sich aber keiner mehr für Drais’ Idee. 1997 baute dann der Produktdesigner Rolf Mertens in der Eifel für seinen zweijährigen Sohn ein kleines Laufrad aus Holz. Die Nachbarskinder wollten auch welche – und seitdem gibt es nicht nur auf den Bürgersteigen des ➝Prenzlauer Bergs kein Halten mehr. Kinder auf Rollern und Dreirädern wirken heute seltsam anachronistisch. 150.000 Laufräder werden jedes Jahr in Deutschland verkauft. Der Boom ist aber alles andere als ein zufälliges Phänomen. Es geht ja nicht nur um Spaß. Wer mit dem Laufrad übt, kann später schneller Fahrradfahren, ist also früher fit für einen weiteren Schritt in der Entwicklung. Und das ist einfach wahnsinnig zeitgemäß. Jan PfaffMilchzahndoseJa, liebe Mädchen, es gibt auch eine Milchzahndose von Prinzessin Lillifee. Ja, liebe Jungs, es gibt auch eine Milchzahndose von Capt’n Sharky. Aber muss das denn sein? Reicht es nicht schon, dass eure Gebisse aussehen wie eine Straße nach fünf Monaten Dauerfrost? Behältnisse für die letzte Ruhe der ersten Beißerchen existieren en masse. Mal als Fliegenpilz, mal als Clown, Fußball-Motive sind offenbar sehr beliebt, wer seine Mundschätze überall rumzeigen will, kann sich seine Box auch um den Hals hängen. Vielleicht werden heutzutage ja Milchzähne auch gegen Fußballbildchen getauscht. MSModeBerlin, Fashion Week: Eine Nachwuchs-Designerin lässt gelangweilte Drittklässler in Stoffgekröse über den Laufsteg schlurfen. Das Publikum ist hellauf begeistert. Die gezeigten Outfits sind weder Spielplatz kompatibel noch günstig, doch die Nachfrage scheint da zu sein. Immer mehr Designer nehmen sich der Zielgruppe jener an, die wirklich jede Saison das Outfit wechseln, schlicht, weil sie ihm entwachsen. Solange es Eltern gibt, die nichts Besseres mit ihrem Geld anzufangen wissen, wird Klein-Finn aufpassen müssen, dass er sich beim Toben nicht an den Zierfäden seines Oversize-Parkas stranguliert... Sophia HoffmannPrachtexemplareAlso, der Wilson Gonzales, wissen Sie, der möchte sich langsam mal verändern, von den Teenierollen hin zu Charakterrollen. Und der Jimi Blue wurde doch wieder von einem Rapperkollegen gedisst, was jedoch seiner neuen Freundin herzlich egal war, sie hätte ihn sowieso sitzen lassen, HEISST ES. Ob Lotte Marie, Tochter von Familienministerin Kristina Schröder, auch so ein prominentes Prachtexemplar an Kind werden wird wie die Söhne der Ochsenknechts, BLEIBT hingegen ABZUWARTEN! SLPrenzlauer BergEs gibt nichts Schöneres, als seine Zeit auf einem der vielen, immer öfter komplett kippenfreien Spielplätze in Berlin Prenzlauer Berg zu verbringen, nachdem man den Kleinen aus der Kita geholt hat. Wie ansteckend das Kinderlachen! Wie angenehm die Gespräche mit anderen, in der Regel gut gereiften Väter und Mütter, wie herrlich kleine Neckereien wie die über die Schlampe da drüben, die mit einen Kinderwagen der Marke Bugaboo angibt. A propos: Wer einen Kinderwagen durch die Straßen des Prenzlauer Bergs schiebt, kennt als einziges Risiko eigentlich nur, von einem anderen Kinderwagen angefahren zu werden. Alles in allem herrscht eine fast schon südländische Kinderfreundlichkeit. Natürlich erzeugt so viel positiver Geist Hass und Neid: Ein deutscher, notabene kinderloser Publizist verbreitete das böse Wort vom "Kinderfaschismus" in Prenzlauer Berg, und seit nun schon geraumer Zeit jagt die Polizei einen Wahnsinnigen, der in den Treppenhäusern die Kinderwagen anzündet (wir wollen nicht behaupten, dass es zwischen dem publizistischen Wort und der Tat einen Kausalnexus gibt, aber das Klima...). Dagegen wollen wir unsere Stimme erheben und sagen: Kinder lieben, heißt den Prenzlauer Berg lieben. Michael AngeleStillpuppeDie Firma Berjuan Toys mischt gerade mit einer Baby-Puppe den US-Spielzeugmarkt auf. Sie beruft sich dabei auf eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, nach der jedes Neugeborene sechs Monate voll gestillt werden sollte. Das müssen auch Fünf- oder Sechsjährige lernen. Deswegen sei das „Breast Milk Baby“ pädagogisch wertvoll. Zu der Puppe gibt es ein Top, auf dem anstelle von Brustwarzen Stoffblumen aufgenäht sind. Kommt die Puppe in die Nähe dieser, beginnt sie schmatzende Geräusche zu machen. „Experten“ auf Fox News warnen vor einer Sexualisierung der Kinderzimmer, während die Firma mit einem Heiligen-Bild der stillenden Maria kontert und Gott auf ihrer Seite wähnt. Rhetorisch abrüsten, bitte, beide (➝ Fronten). japTanteWird man als „Tante“ angesprochen, ist das nicht gerade sexy. Da schwingt „die Olle“ mit, „tantig“, das sitzen gebliebene alte Mädchen. Meine zahlreichen Tanten musste ich früher so nennen. Als ich kürzlich meine letzte Tante besuchte, rutschte mir das aus Gewohnheit noch heraus. Ich dagegen hab es mir immer verbeten, so gerufen zu werden, von meinen Nichten und der auf sie folgenden Generation. In Patchwork-Familien sind Generationenverschiebungen ja enorm, da können jüngste Schwestern und älteste Nichten gleich alt sein. Tante zu sein, ist aber auch ein Glück. Denn im Unterschied zu Eltern, die ihre Kinder nun mal als Schicksal annehmen müssen und aus ihrer Rolle nicht herausschlüpfen können, hat man als Tante die Wahl: Man kann sie annehmen oder ablehnen. Das gilt übrigens auch für die andere Seite. Im besten Fall kommen Wahlverwandtschaften dabei heraus. Ulrike BaureithelWahlrechtWer unter 18 ist, gilt in der deutschen Bundespolitik als Kind ohne Wahlrecht. In fast der Hälfte aller Bundesländer dürfen aber schon 16-Jährige an Kommunalwahlen teilnehmen, in Bremen sogar an der Landtagswahl. Die Wählerinnen und Wähler werden also immer jünger, von 25 im Kaiserreich über 21 ab 1945 und 18 Jahren ab 1975. Ein Wahlalter 16 wird diskutiert, wie es bisher in Österreich und Brasilien existiert. Als die Grünen vor drei Jahren einen Antrag einbrachten, stimmten FDP und die schwarz-rote Koalition dagegen, die Linkspartei dafür. Das entspricht in etwa den Parteiinteressen: Bei den Jugendwahlen „U18“ 2005 und 2009 haben die Grünen jeweils besser abgeschnitten als bei den Bundestagswahlen, Union und FDP haben hingegen verloren. Auch eine radikalere Variante findet Anhänger: 47 Abgeordnete verschiedener Parteien haben 2003 das Wahlalter 0 beantragt. Felix WerdermannZuckerMit der Schule beginnt nicht nur für Sechsjährige ein neuer Lebensabschnitt. Auch viele Eltern stehen vor einem ungekannten Problem: kindgerechte Ernährung außer Haus, fern der Kontrolle und nach allen Erkenntnissen der Forschung – also: bitte, bitte nicht mit billigem Süßkram. Die eigene Kindheit, in der Zuckerschleudern wie Capri-Sonne oder Nutellabrot das wahre Pausenglück bedeuteten, müssen Mami und Papi jetzt schnell vergessen und sich der korrekten Alternative zuwenden. Wie die auszusehen hat, lehrt die Bio-Brotbox. Seit zehn Jahren wirbt die wohltätige Initiative samt Sponsoren – welch Zufall: lauter Bio-Lebensmittelhersteller! – für den „gesunden“ Start ins Schulkinderleben und verschenkt eine Plastikdose mit Bioproduktpröbchen. Damit die Eltern kapieren, was sie kaufen sollen. Süßen Brotaufstrich etwa, oder Soja-Vanilledrink. Dass letzterer gar noch mehr Zucker und Kalorien enthält als Cola, Caprisonne und Konsorten, dürfte vor allem Hartz-IV-Eltern beruhigen. Die können sich den Biokram nämlich eh nicht leisten. Kathrin Zinkant
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