August, der Erste

Armut und Klima Vor welcher Bedrohung ich mich derzeit am meisten fürchten muss – so wie viele andere auch.

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Erster August bedeutet, der letzte Sommermonat ist nun angebrochen.
Danach geht es mit September auch schon wieder hinein in Jahreszeiten, welche als die kalten bekannt sind.
Der Gedanke besorgt mich, einigermaßen schwer.
Allerdings, wenn ich die Nachrichten anhöre, sollte ich mir just jetzt im Sommer die besonderen Sorgen machen. Wegen der gefährlichen Hitze und der Klimaproblematik wär’s.
Vielleicht sollte ich das auch wirklich, ist ja auch eine ernstzunehmende Problematik, vor allem das mit dem Klima.
Aber, es tut mir leid, meine Sorgen und mein Kopf stehen grad anderswo.

Denn beileibe nicht der Sommer ist es, der sich für mich bedrohlich aufstellt, im Gegenteil!
Gefahr droht mir hingegen aus der gänzlich anderen Seite, von wo aus sich bange Fragen aufdrängen:
Werde ich mir auch diesen Winter das Wohnen, Heizen, Waschen, Essen… durchgehend leisten können? Wie werden sich wohl die Preise und Kosten allgemein entwickeln und wie weit hinke ich dieser Entwicklung hinterher? Ab wann wohl zählt meine Familie zu den vollends Abgehängten? Wie viele kalte Winter es wohl braucht, bis unsere Ersparnisse auf der teuren Heizung gänzlich dahingeschmolzen sind?
Mit diesem August muss man sich auch auf schon wieder neue Mietzinserhöhungen einstellen, erzählt mir die Schlagzeile des Tages zu allem Überdruss. Schon wieder wird das blanke Wohnen teurer, das vierte Mal in 15 Monaten. *
Jeden Tag schon rechnen wir angstvoll mit dem Anruf des Vermieters, der uns auch hier die Lebenshaltungskosten neuerlich in die Höhe schrauben kann. Die Gefahr wird größer.

Also entschuldigt, wenn ich den Sommer nicht als DIE große Gefahr empfinden kann. Meine Empfindungen werden grad anderweitig stimuliert.
Nicht der Hitzetod ist mir eine ernstliche Bedrohung, aber das Frieren in einer winterkalten Behausung, Verelendung, Delogierung, Obdachlosigkeit und ähnliches sehr wohl. Sowieso bin ich mir sicher, dass in unseren Breitengraden wesentlich mehr Menschen erfrieren oder auf der Straße verkümmern als Hitzetote zu verzeichnen sind - halt ohne, dass das skandalisiert wird.
Auch der omnipräsente, vieldiskutierte Klimawandel ist für viele nicht so unmittelbar bedrohlich wie die oft unscheinbaren, aber direkten Bedrohungen des gelebten Alltags, welche nur vergleichsweise wenig diskutiert werden.
So komme mir jetzt keiner mit Moral! Erst kümmere man sich darum, dass alle genug zum Fressen, zum Leben, Wohnen, Heizen haben.

Den Sommer gut finden darf ich wohl.
Sommer, das ist die Zeit, wo nicht geheizt werden muss, das ist schon mal ein wesentlicher Posten weniger.
Geduscht werden kann kühl und kurz, auch das spart bares Geld.
Draußen sein kann man, ohne dass einen die Kälte zum Aufwärmen in konsumpflichtige Zonen treibt.
Gibt viele Gratis-Einladungen im Sommer.
Im Park sitzen, im Gras liegen, im See/Fluss schwimmen… kostet alles keinen müden Cent und füllt die Tage wunderbar an.
Festivals wie das Linzer Pflasterspektakel locken. Stundenlang kann ich mich hier in der Stadt aufhalten und bin gut aufgehoben, amüsiert, ohne dass ich groß Geld bräuchte. Nur ein paar € in die aufgehaltenen Hüte der Künstler, soviel Ehre habe ich schon noch, das muss sein.
Zwischendurch vielleicht sogar ein Eis, aber vielleicht nicht von dort, wo die Kugel schon € 2,20 aufwärts kostet. Ein ganzer Becher mit Früchten, Obers oder Nüssen, an den Tisch serviert, ist schon nicht mehr drin – aber wer braucht auch Tische und Brimborium, wenn es doch Sommer ist und mit der Eistüte in der Hand überall gesessen werden kann?

Nach ein paar wärmeren Wochen regnet es an diesem ersten August bei Temperaturen um 15°C, das gibt schon einen guten Vorgeschmack auf den kommenden, drohenden Herbst.
Im Herbst möchte unser Sohn mit dem Studium beginnen, was wieder neue, bange Fragen aufwirft:
Werden wir ihn dabei finanziell unterstützen können? Wie wird sich seine fernere Zukunft ausgestalten? Wird auch er später Mühe haben, sein Zuhause warm zu halten und generell: zu halten? Wie schaut es aus bei seinen Freunden, in der Familie, bei den Nachbarn, Mitmenschen? Was bedeutet das alles für den sozialen Frieden im Land?
Eine Tante, mehr schlecht als recht von der Mindestrente zehrend und länger schon Almosenempfängerin bei der „Tafel“, ist grad wegen Depressionen und schlechtem Allgemeinzustand im Krankenhaus. Wie wird es wohl mit ihr weitergehen, wenn die Tage dunkler und die Rechnungen mehr werden?
Immer schlechter kann man sich auch gegenseitig monetär aushelfen in der Familie, im Freundeskreis. Muss jeder selber schauen, wie er halbwegs durchkommt.
Ein Todesfall in der Familie stellt derweil die jahrelang pflegende Angehörige vor neue Probleme, nun, da das Pflegegeld wegfällt. Zusätzlich zur Trauer, zur emotionalen ist das jetzt eine wirtschaftliche Belastung, die ab Herbst gewiss noch drückender werden wird.
Die sechsköpfige Familie (entfernt verwandt), die aus Kostengründen ohnehin schon längst weg von der Stadt, in eine relativ günstige Wohnung am Land gezogen war, sieht sich aktuell gezwungen, ein noch kleineres, entlegeneres, also: billigeres Appartement zu suchen.
Im Herbst wird das Leben wieder nochmal unleistbarer, trister, schwieriger in vielen, vielen Einzelfällen.

Sommer ist demgegenüber doch ein reiches Versprechen, im Jahreskreis eine kleine Auszeit von zahlreichen Lasten und ganz sicher keine zusätzliche solche.
Ich glaube, so geht es vielen Menschen im Land.
Wie viele wir wohl sein müssen, bis man ehrlich auf uns draufschaut und unsere Perspektive etwas zählt?
Noch sind wir nicht so weit.
Stattdessen wird mir vermutlich – ich rechne fest damit - an dieser Stelle sogleich der Vorwurf der Ich-Bezogenheit und der dummen Ignoranz zugereicht.
Weil ich aber weiß, dass derart nur dort gesprochen wird, wo sich nicht wirklich vor Anrufen des Vermieters und vor eintrudelnden Rechnungen gefürchtet werden muss, kann ich derlei Vorwürfe auch gleich wieder postwendend retourschicken.

* https://wien.orf.at/stories/3218147/

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