Westlich von Hamburg erstreckt sich eine weite, braune Ebene, gigantische 150 Hektar groß und flach wie ein See: das Himmelmoor. Von Horizont zu Horizont peitscht ungehindert ein kalter Wind, darüber stapeln sich Wolkentürme dicht an dicht. Irgendwo keckert eine Wildgans. Das offene grüne Moorfahrzeug passiert einen Damm, folgt den Schienen der Moorbahn, vorbei an Schilf in blasigem Wasser, offenen Becken und langen, gefurchten Äckern aus schwarzbraunen Krumen. 1830 kamen die ersten Torfstecher ins Himmelmoor, um Brennstoff abzubauen. Als nach 1960 Heizöl billiger wurde als Torf, begannen sie, Blumenerde daraus zu machen. Die Lorenbahn steht mit sieben Holzwaggons zur Abfahrt bereit, sie sind randvoll mit frischem Torf. Später werden sie im Torfwerk mit Holzfaser, Kompost und Tonsubstrat vermischt und für Baumschulen abgefüllt.
Europa war einmal übersät von Landschaften wie dem Himmelmoor. Nur noch ein Prozent davon ist heute in seinem ursprünglichen Zustand. Heinrich Höper vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover kann messen, wo im 17. Jahrhundert ein Moor war. Entwässerte Feuchtgebiete dünsten noch Jahrhunderte lang Lachgas, Methan und vor allem Kohlendioxid aus – so viel, dass durchschnittlich „fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen bei uns aus Mooren stammen“. Deshalb ist das Verschwinden der Moore nicht nur für Naturschützer ein Thema. Deutschland gehört zu den Ländern, die am meisten Kohlendioxid aus trockengelegten Feuchtgebieten erzeugen – mit 30.000 Tonnen CO2 jährlich fast halb so viel wie der deutsche Luftverkehr.
Der Atem der Erde
Zwei Drittel der ehemaligen Moore werden entwässert und landwirtschaftlich genutzt, beispielsweise als Weiden. Auf manchen Flächen wird, wie im Himmelmoor, Torf für Pflanzenerde abgebaut. Torf hat perfekte Eigenschaften: Er speichert Wasser, ist locker, lässt sich lange lagern und enthält keine Samen oder Bakterien. 85 Prozent der bei uns verkauften Gartenerde bestehen aus Torf. Nach Berechnungen des BUND landen jedes Jahr zehn Millionen Kubikmeter solcher Erde in deutschen Gärtnereien und Blumentöpfen, eine Menge, mit der man mehr als 1.000 Mal das Münchner Olympiastadion füllen könnte.
Feuchtgebiete spielen eine wichtige Rolle für das Weltklima: Die heute noch intakten Moore speichern doppelt so viel CO2 wie alle Wälder zusammen. Auf nur drei Prozent der Erdoberfläche binden sie knapp ein Drittel des weltweiten CO2-Vorkommens. Hans Joosten von der Universität Greifswald nennt die Moore den „Atem der Erde“. Lässt man einem Moor das Wasser ab, zieht also „den Stöpsel“, bekommen sie einen „schlechten Atem“. Denn in Verbindung mit Luft beginnt der Torf, sich zu zersetzen, und über 11.500 Jahre im Boden gespeichertes Kohlendioxid wird frei. Dann wird die Fläche von einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle – manchmal für Jahrhunderte. „Will man etwas für den Klimaschutz tun, muss man die Flächen nass halten, damit der Torf sich nicht zersetzt“, sagt Jörgen Birkhan, Campaigner im Projekt „Moorschutz in Niedersachsen“.
Aus dem abgebauten Torf wird das CO2 in nur wenigen Jahren frei. Bei Sumpfwiesen oder Äckern, aus denen für die Landwirtschaft das Wasser abgepumpt wurde, um sie nutzbar zu machen, entweicht es langsam aus dem Boden. Joachim Blankenburg, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Moor- und Torfkunde, erzählt von einem Versuch der niedersächsischen Landesregierung, alle landwirtschaftlichen Feuchtgebiete in dem moorreichen Bundesland 2013 unter Naturschutz zu stellen. Der Plan musste nach scharfen Protesten der Landwirte zurückgezogen werden. Sie können oder wollen auf die Nutzung ihrer Moorwiesen nicht verzichten. Um diese zu schützen, „müsste der Staat sie kaufen“, gibt Höper zu bedenken. Er glaubt: „Durch Gesetze allein kann man die Moore nicht schützen.“
Hans-Gerhard Kulp von „Moorschutz in Niedersachsen“ sieht das anders. Er setzt sich dafür ein, „die Landwirte zu verpflichten, dass sie die Entwässerung zurücknehmen“, also Gräben zuschütten und Pumpen abbauen, damit die Moore wieder „volllaufen“. Dafür sollten sie entschädigt werden, beispielsweise durch eine gezielte Förderung von Überflutungsflächen. Die gesamten landwirtschaftlichen Emissionen ließen sich so um ein Drittel reduzieren.
Heinrich Höper vom geologischen Landesamt möchte dagegen die Situation der Moore nicht dramatisieren. Viele frühere Moore würden heute renaturiert. Im Himmelmoor beispielsweise liegen Abbaugebiete direkt neben Flächen, auf denen schon wieder Ried wächst. Beim Torfabbau muss in Deutschland eine Schicht im Boden bleiben. Weil sie dicht ist, sammelt sich darauf Wasser und ein neues Moor wächst. Die Wiedervernässung ist wichtig, um die Emissionen zu stoppen. Höper räumt aber ein, dass der Schutz alter Moore viel effektiver ist als die Schaffung neuer: Weil Moorboden nur einen Millimeter im Jahr wächst, nimmt er lediglich ein Zweitausendstel des CO2 auf, das in alten Mooren gespeichert ist.
Der deutsche Torfabbau wird in wenigen Jahren Geschichte sein. Im Himmelmoor wird die Lorenbahn schon 2018 zum letzten Mal fahren, danach schuckelt sie nur noch an Wochenenden Touristen durch die Sümpfe. Klaus-Dieter und Monika Czerwonka arbeiten seit 40 Jahren hier. Sie wohnen einen Steinwurf vom Torfwerk entfernt im früheren Zuchthaus, dessen Gefangene schon im Moor gearbeitet hatten. Sie erzählen von Notzeiten, in denen die Landfrauen Torf im Brot verbacken haben sollen, und Bombenfunden aus dem Zweiten Weltkrieg im Moorkörper. Wenn das Torfwerk dichtmacht, werden die meisten der Baumschulen, die sie beliefern, aufgeben müssen. „Für sie gibt es keinen Ersatz, noch nicht. Kompost hat für die Bäume einen zu hohen pH-Wert“, sagen sie. Woher kommt unser Torf, wenn die deutschen Vorkommen aufgebraucht sind? „Aus dem Baltikum, das sind vier Fünftel des Marktes. Baltischer Torf geht nach Frankreich, Spanien, China. Unser Gemüse wächst ja auch nicht mehr hier, sondern in Südeuropa – auf osteuropäischem Torf.“ Fürs Klima ist es noch schlechter, wenn der Torf im Baltikum abgebaut wird: Er muss transportiert werden, und die Umweltauflagen sind dort weniger streng als in Deutschland.
Zurück zum Komposthaufen
Der Moor-Aktivist Hans-Gerhard Kulp fordert daher ein generelles Verkaufsverbot für Torfsubstrate. Am einfachsten wäre die Umstellung für Hobbygärtner, die heute mehr als 40 Prozent davon kaufen. Für den professionellen Gartenbau, wo die Gewinne klein sind und es „bei den Ersatzstoffen noch einen Engpass gibt“, schlägt Kulp Übergangsregeln vor. Torfsubstrate würden auch deshalb viel genutzt, weil sie billig seien, „viel zu billig, eigentlich müsste es eine Klimaabgabe darauf geben“. Initiativen auf freiwilliger Basis hätten nicht viel verändert. „Der Klimaschutzplan ist zu unverbindlich“, sagt Kulp. Er reiche nicht, um ein Aufheizen der Atmosphäre um weniger als zwei Grad zu erreichen, und „uns läuft die Zeit davon“.
Torffreie Blumenerde gibt es schon vereinzelt im Handel. Noch wird sie wenig gekauft, aber Kulp ist sich sicher, dass der Torf aus den Gartenmärkten verschwinden wird, „ähnlich wie die Käfigeier aus den Supermärkten verschwunden sind“, weil der Verbraucher sie nicht haben will. Wissenschaftler erforschen Ersatzstoffe wie Terra preta, „Schwarze Erde“, die auf Pflanzenkohle basiert. Es gibt Experimente mit Torfmoosen, die aber noch nicht ergiebig und schwierig zu ernten sind. Erde aus Kokosfasern wird mit viel Wasser gewonnen, durch den langen Transport hat auch sie keine gute CO2-Bilanz. Rohstoffe wie Holzschnitzel oder Kompost wandern eher in Biogasanlagen als in die Böden. Die Situation scheint schwierig zu sein. Oder auch nicht: Noch vor einigen Jahrzehnten hatte jeder Garten einen Komposthaufen. Der hat genug Erde für alle Beete produziert, in bester Qualität und kostenlos. Naheliegende Lösungen sind manchmal die besten.
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