Sie bereue nichts, sagt Susana M. Weder ihren Entschluss wegen der Liebe nach Deutschland gegangen noch Mutter geworden zu sein. Die 59-jährige Uruguayerin, die ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, sitzt in einem Café in Berlin-Neukölln. Sie wirkt elegant in den eng geschnittenen Hosen mit Schlangenprint und der hellbraunen Strickjacke. Sie rekapituliert ihr Leben.
„Eigentlich hat alles hier angefangen. Ich war zu Besuch bei einer Freundin und habe während dieser Zeit zufällig meinen Ex-Mann kennengelernt“, sagt Susana M. Dass aus dieser Urlaubsliebe irgendwas werden könnte, kann sie sich damals nicht vorstellen. Doch der Mann ist hartnäckig, er lässt den Kontakt nicht einschlafen und besucht sie regelmäßig in ihrer Heimat. „Diese Urlaube waren immer idyllisch“, sagt sie. Es ist lange her.
In Uruguay legt sie eine rasante Karriere hin, arbeitet nach ihrer Promotion als Rechtsanwältin, Prokuristin und Notarin. Sie wird Beraterin im Präsidialamt in Montevideo. Das Bild von der gläsernen Decke, an der Akademikerinnen weltweit auf dem Weg nach oben scheitern, ist ihr fremd. Für sie ging es einfach immer weiter: „Ich hatte eine eigene Kanzlei, die sehr gut lief. Ich war immer erfolgreich“, sagt Susana M.
Er kifft, sie backt Kuchen
Als sie ihren Ex-Mann kennenlernt, ist sie 40 Jahre alt, in einer Phase, in der sie ihre Lebens-und Familienentscheidungen noch mal hinterfragt. Auch er wünscht sich Kinder. Sie gibt ihr altes Leben auf und folgt ihrem Freund nach Deutschland. Sie heiraten. Alle Bewerbungen für Positionen, die ihrer Qualifikation entsprechen, laufen ins Leere. Es folgen Minijobs, befristete Beschäftigungen, Teilzeitstellen. Ihr Mann hatte ihr versprochen, sie würde schnell Deutsch lernen. Aber sie hat Sprachprobleme, es fällt ihr schwer, Verben, in ihren Kopf zu bekommen, die man teilen kann, komplizierte Wortzusammensetzungen zu entwirren.
Binationale Paare müssen lauter bürokratische Hürden überwinden, ein Hin und Her zwischen Standesämtern, Ausländerbehörden und Botschaften – „Ausprobieren“ geht nicht, wenn der Partner oder die Partnerin nicht aus einem EU-Land kommen. Sie müssen auch gegen gesellschaftliche Vorurteile ankämpfen. „Das kann ja nicht gut gehen!“, ist nur einer dieser Sätze, den Menschen, die einen ausländischen Partner lieben, zu hören bekommen. Aus einem Märchen wird Ernüchterung.
Susana M. hetzte in Montevideo von einem Business-Meeting zum nächsten, nun hockt sie zu Hause und backt Kuchen. Sie bekommt einen Sohn. Ihre Ehe zerbricht, nicht mit großem Knall, eher leise. Ihr Mann sagt immer öfter, er sei „gelangweilt“ von ihr, er geht am Wochenende alleine aus, hilft nicht mehr im Haushalt, raucht Joints. „Wenn er kiffte, war er apathisch. Wenn er nicht rauchte, war er aggressiv.“ Sie organisiert Kindergeburtstage, er sich seinen Spaß. 2011 trennt sie sich.
Es kommt zum Streit, bei dem Susana M. verletzt wird, sagt sie. „Am nächsten Tag ging ich zur Polizei, um meinen Mann anzuzeigen. Doch meine Anzeige wanderte direkt ins Archiv.“ Ihr Mann verschwindet für eine Weile von der Bildfläche, irgendwann nimmt er wieder Kontakt zu Susana M. auf, „wegen des Kindes“. Die Scheidung und ein zermürbender Sorgerechtsstreit folgen. Das hätte sie finanziell ruiniert. In Berlin bleibt sie nur, damit der Kontakt zu ihrem Sohn nicht vollkommen abbricht. Susana M. arbeitet heute als Pädagogin in einem Kindergarten, ihr Sohn ist mittlerweile ein Teenager.
In Deutschland hat sich der Anteil der deutsch-ausländischen Paare innerhalb von zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt. 2017 lebten rund 1,5 Millionen heterosexuelle Paare zusammen, bei denen ein Partner einen ausländischen Pass hat. Das sind sieben Prozent. 1996 waren es nur drei Prozent. Politiker und Experten deuten das oft als Zeichen gelungener Integration: Wer täglich mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen zu tun habe, der sei einfach „interkulturell kompetent“.
Julia Schroedter ist Soziologin an der Universität Zürich und hat sich in ihrer Doktorarbeit intensiv mit Ehen zwischen Einheimischen und Zugereisten beschäftigt. Diese würden einerseits signalisieren, dass beide sich als „sozial Gleichgestellte“ erleben, „andererseits kann eine binationale Ehe vorteilhaft sein, da der ausländische Partner in dieser Partnerschaft mehr über das Land und über das Bildungssystem erfährt, seine Sprachkenntnisse verbessert und weitere Kontakte zu Einheimischen bekommt. Das kann sich auf dem Arbeitsmarkt auszahlen.“ Das klingt wunderbar, ist in der Realität aber komplizierter.
Wer herzieht, muss um die Anerkennung der Bildungsabschlüsse kämpfen, streitet mit Behörden, bangt um Jobs, stolpert über kulturelle Unterschiede und sprachliche Missverständnisse: Das, was man sagt, und das, was gemeint ist, kann sehr unterschiedlich sein. Da geht es nicht nur um Grammatik. Bei Paaren aus verschiedenen Kulturen kann es zu einem Machtgefälle kommen, wenn der einheimische Partner die Sprache besser spricht, einen Beruf, ein festes Einkommen, ein größeres soziales Netzwerk hat. Gemischte Paare scheitern mit höherer Wahrscheinlichkeit als andere. Experten, zuletzt Wissenschaftler vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels, belegen immer wieder, dass binationale Ehen instabiler sind als die zwischen Partnern gleicher Herkunft. Aber wie geht es danach weiter?
Mercedes Hervás Megía ist Anwältin und nach einer Trennung häufig die erste Anlaufstelle für Frauen wie Susana M. Sie berät ihre Mandanten auf Deutsch, Spanisch und Portugiesisch. Sie möchte Frauen auf Trennung vorbereiten, erklärt ihnen den rechtlichen Rahmen von binationalen Trennungen, der nicht immer eindeutig ist. Sie hat sich auf das Thema spezialisiert.
Im hellen Seminarraum in Berlin-Prenzlauer Berg, Blick ins Grüne, sitzen an einem Vormittag 15 Frauen in U-Form zusammen. Einige der Getrennten kommen aus EU-Ländern, die meisten aus Mittel-und Südamerika.
Lektion in Familienrecht
Hervás Megía spricht über das deutsche Familienrecht und das Ausländerrecht, das Europäische Kinderschutzrecht und das Internationale Kinderrecht. Es gebe da Lücken und „vor allem die Folgen einer Trennung hängen häufig vom Ermessensspielraum des jeweiligen Sachbearbeiters ab“, sagt sie. Es gebe Spielraum, gerade wenn es um Kinder geht. Für sie sei es immer hart, wenn sie ausländische Elternteile gegenüber deutschen Institutionen vertritt: „In den Institutionen gibt es immer noch viele Vorurteile. 80 Prozent der Jugendamtsmitarbeiter glauben zum Beispiel, dass Deutsche ihre Kinder besser betreuen können als ausländische Eltern.“
Sorgerechtsfragen sind gerade bei internationalen Trennungen kompliziert und gefürchtet. „Darf ich mit meinem Kind nach einer Trennung in meine Heimat zurückkehren, auch wenn der Vater nicht damit einverstanden ist?“, fragt eine Frau in die Runde. Das sei strafbar und ein „Kindesentzug“, erklärt Hervás Megía.
Pierre B. (auch er will nicht unter seinem richtigen Namen auftreten) fand nach der Trennung einen anderen Weg. Er konnte sich mit seiner Ex- Frau einigen, auch ohne Ämter. Er ist Franzose, Anfang 50, ein charmanter Mann mit gebräunter Haut, silbrigem Haar und ruhiger Stimme. Fünf Jahre sind vergangen, seit er und seine deutsche Frau auseinandergingen. Für den Pariser stellte sich nie die Frage, ob er die Tasche packen und das „Kapitel Deutschland“ abschließen soll. Muss er auch nicht, Pierre B. ist erfolgreicher Meditationstrainier, er ist finanziell abgesichert. Er weiß noch, was er gefühlt hat, als er sie kennenlernte, damals in Indien, wo sie beide für eine Nichtregierungsorganisation arbeiteten: „Diese Frau ist genau das, was ich will“ – modern, feministisch und engagiert sei sie gewesen. Sie konnten über alles reden, zuerst auf Englisch, wie viele binationale Paare das tun: „In Indien waren wir zwei Europäer – mit gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Geschichte.“ Als seine Frau schwanger wird, möchte sie zurück nach Berlin, da sei das Leben mit Kindern angenehmer, da habe sie Freunde. Pierre B. zögert, folgt ihr letztlich. Dann ändert sich ihre Beziehung drastisch. „Das Schlimmste für mich war, dass ihre Freunde auf einmal wichtiger wurden als ich“, sagt Pierre B. Er fühlt sich ausgegrenzt, das liege nicht nur an der Sprache, eher an sozialen Kontakten. „In Diskussionen hatten für meine Frau grundsätzlich immer ihre Freunde recht.“ Das sei schwer gewesen. Er spürt, er passt nicht mehr in ihre Welt.
Er versucht Anschluss zu finden, kocht, lädt andere Paare zum Essen ein. Wenn er nach einem netten Abend – so wie es in Frankreich Sitte ist – seine Gäste anruft, um sich für ihren Besuch zu bedanken, stößt er auf Unverständnis. Einmal sei eine Frau vollkommen geschockt gewesen. „Sie fragte mich nur, was ich denn von ihr wolle – sie sei schließlich verheiratet und ich auch.“ Seine Frau erklärt ihm nur, dass man so was in Deutschland nicht mache.
Es gehe in binationalen Partnerschaften nun mal oft um die vorgefertigten Bilder, die man sich von seinem Partner gemacht habe: „Wenn ich ein genaues Bild davon im Kopf habe, wie ein Franzose oder eine Uruguayerin ticken könnten oder ticken sollten, dann kommt es unweigerlich zu Konflikten. Denn mit der Realität haben diese Bilder nun mal eher wenig tun“, sagt Hiltrud Stöcker-Zafari von Verband binationaler Familien. Viele Paare würden die Dynamik unterschätzen, die durch solche Konflikte entstehen kann.
Pierre B. will so lange in Berlin bleiben, bis sein Sohn Abitur macht. Er und seine Frau sind mittlerweile gleichberechtigt für ihren Sohn da. Silvester will die Familie nach Indien fahren, zu ihren Ursprüngen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.