Verschleierter Konkursbetrug

Demission des SPD-Vorsitzenden Eine ehrliche Haut musste von diesem Amt überfordert sein

Matthias Platzeck hat einen Hörsturz erlitten und tritt als SPD-Vorsitzender zurück. Die Gesundheitsgründe sind einleuchtend und deshalb zunächst nicht weiter zu kommentieren. Allenfalls erscheint ein Rückblick auf die Ursachen von Platzecks plötzlichem Aufstieg zum SPD-Bundesvorsitzenden sinnvoll.

Durch ihre Aufholjagd im Bundestagswahlkampf 2005 verschaffte sich seine Partei die Chance zum Konkursbetrug. Die Agenda 2010 und Hartz IV hatten sie so viel Glaubwürdigkeit gekostet, dass Regeneration in der Opposition dringend geboten war. Dies hätte zugleich bedeutet: innerparteiliche Bestandsaufnahme und Selbstkritik. Da weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb eine Mehrheit hatten und sich ein Zusammengehen mit der Linkspartei aus mehreren Gründen verbot, konnte die Bereitschaft zur großen Koalition fast schon wieder als staatsbürgerliche Tat erscheinen: eine Rolle, in die die SPD seit 1914 und 1930 immer wieder gerät, wenn sie keine eigene Tagesordnung mehr hat. Allerdings hatte sie nunmehr eine Leiche im Keller: die unbewältigte Blamage von sieben Jahren Schröder.

Wird der Hauptkonflikt nicht bearbeitet, kommt es zu nervösen Ticks und merkwürdigen Zuckungen an unvermuteten Stellen. Der Vorsitzende Müntefering stürzte nicht deshalb, weil er Schröder Flankenschutz gegeben und danach eine Aufarbeitung verhindert hatte, sondern über die weltbewegende Frage, ob Cajo Wasserhövel oder Andrea Nahles ein Amt erhalten sollten, das vorher schon für überflüssig erklärt worden war: das des Generalsekretärs (oder der Generalsekretärin). Jetzt wäre noch einmal Gelegenheit gewesen, Bilanz zu ziehen.

Dies wurde durch die Wahl Matthias Platzecks vermieden. Das Abstimmungsergebnis - über 99 Prozent - war angesichts der Situation gespenstisch. Der Neugewählte wurde genötigt, sich von Anfang an unter Wert handeln zu lassen: als lustiger Kasper, der für gute Laune zu sorgen hat, der Klinsmann der SPD. Das kann anstrengend sein, besonders dann, wenn die Stimmung der Truppe nicht nur kurzfristig, sondern auf längere Dauer besser sein soll als ihre Leistung.

In der großen Koalition setzte Müntefering, so weit es an ihm lag, Schröders Kurs fort: die Erhöhung des Renteneintrittsalters wurde noch schneller eingeführt als vorher angekündigt, junge Arbeitslose werden schlechter gestellt. In der Koalitionsklausur von Genshagen ist die steuerliche Bevorzugung von Besserverdienenden durchgesetzt worden. Die Kanzlerin machte partout keinen Fehler, den die SPD hätte nutzen können.

Der Parteivorsitzende hatte den Job, dies alles zu kommunizieren. Eine ehrliche Haut musste davon überfordert sein. Und so gab es dann bald Kritik an Platzeck - zunächst aus der Partei, dann auch vom Wahlvolk: am 26. März verlor die SPD in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und (in Kreisen und Gemeinden) in Hessen. In Rheinland-Pfalz erreichte sie die absolute Mehrheit, aber ihr eigener Zugewinn war nur gering. Ihr halfen zusätzlich die zu einem Mandat nicht ausreichenden Stimmen für die WASG, die nach der Wahlarithmetik auf die im Landtag vertretenen Fraktionen aufgeteilt wurden. Dabei wird die stärkste Partei mehr begünstigt als die anderen.

Weil das so ist, sind auch gesundheitliche Zusammenbrüche, anders als bei einem Privatmann, nicht aus einer desolaten politischen Situation herauszulösen. Auf seiner Rücktritts-Pressekonferenz berichtete Platzeck nicht nur vom Hörsturz, sondern überdies von einem Nervenzusammenbruch.

Zunächst kommissarischer - dann wohl auch regulärer Nachfolger - wird der Sieger von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck. Schon im Wahlkampf 2005 hat die marktliberale Zeitschrift Cicero ihn als ihren Wunsch-Sozialdemokraten vorgestellt: wirtschaftsnah, Partner der FDP, Ministerpräsident eines relativ florierenden Bundeslandes, zugleich ein Volksmann.

Ob dies ausreicht, um die SPD zu sanieren, muss wohl bezweifelt werden. Aber es ist zu wünschen, dass nicht ein weiteres Mal ein sympathischer Mann in einer unlösbaren Aufgabe unter Wert agieren muss und sich daran ruiniert.


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