Gemetzel überall

Klassenkampf Der unabwendbare Erfolg von Bora Dagtekins Film „Fack ju Göhte 2“: Anmerkungen zur Schulkomödie
Ausgabe 37/2015

Wie wird man ins Leben geführt? Durch die Eltern. Durch die Straße. Durch Dinge und Techniken. Durch Medien. Und durch die Schule. Das wird, mehr und mehr, ein seltsam unwirklicher, analoger Ort in der digitalen Wirklichkeit. Die Schule spielt, ob man sie erleidet, genießt oder einfach übersteht, immer noch eine enorme Rolle in der Biografie. Als Ort der Entscheidungen und der Erinnerungen. Und sie spielt, ob idealisiert, vernachlässigt oder problematisiert, eine enorme Rolle in den sozialen Diskursen. Als Ort von Kultur- und Klassenkämpfen. Immer wird die Vergangenheit bewahrt, als Lernstoff einerseits, als mikrosozialer Modellfall andererseits, und immer wird die Zukunft verhandelt. Einschließlich des Mangels an ihr.

Daher muss es, solange es Schule gibt, auch Romane, Comics, Fernsehserien und Filme über sie geben. Nicht um ihre Realität abzubilden, sondern um sie erträglich zu machen. So hat jedes Land und jede Generation angemessene Schulfilme, manchmal ganz ernste und sonderbar melancholische, im Allgemeinen aber handelt es sich um Komödien. Darin geht es um die Peinlichkeiten und die Lüste der Pubertät, um das Aushandeln von Autorität und Solidarität, um das Ausbalancieren von Intimität und Öffentlichkeit, um Mechanik und Sprache von Inklusion und Ausschließung, um soziale Differenzen, sogar um „Bildungsinhalte“ geht es am Rande, wie auch, ähnlich marginal, um „die Welt da draußen“.

Wer am lautesten lacht

Es gibt offensichtlich unkaputtbare Konstanten im Genre der Schulkomödie: das Rollenrepertoire, also Streber, Clown, lustiger Dicker, Nerd, Freak, Bully, Sportkanone, Schlampe, Ziege, Mauerblümchen. Es gibt den komischen Generationenkonflikt zwischen den alten und den jungen Lehrern, sogar der komische Hausmeister ist von den deutschen Lümmel-Filmen über die Simpsons bis zu Frau Müller muss weg eine feste Einrichtung des Genres. Sogar die Lebens- und Drehräume sind eng begrenzt: Das Klassenzimmer (dramatische Intimität), die Aula (organisierte Öffentlichkeit), das Treppenhaus und der Schulhof (kontingente Öffentlichkeit) und, unabdingbar, die Toilette (Brennpunkt der guten wie der furchtbaren Körperlichkeit, Lust und Demütigung) und das Büro des Direktors (Ort der Macht und, in aller Regel, von Korruption und Verrat in der Schule).

Dann gibt es die Variablen im Genre, die natürlich dem Zeitgeist und der Mode geschuldet sind. Auch hier, bei den Sprechweisen, der Kleidung, den Lebensentwürfen, den sozialen Praxen, darf das Genre so hemmungslos übertreiben wie sonst keines. Zugleich aber kommt es, das liegt in der Produktionspraxis und -geschwindigkeit der audiovisuellen Medien, strukturell immer zu spät. Man lacht immer über Schulen, Jugend und Moden, die schon wieder Vergangenheit sind. Der Nostalgieeffekt stellt sich also nicht erst später ein – kleiner Feldversuch: Am lautesten lachen in Fack-ju-Göhte-Filmen Menschen, deren Schulzeit schon ein paar Jährchen in der Vergangenheit liegt –, sondern er ist dem Genre immanent.

Zu den Variablen des Genres gehört die schulische Wirklichkeit. Sie ist zwar nicht das Thema, aber das Material der Filme. So erzeugt, nur zum Beispiel, die Prekarisierung der pädagogischen Einrichtungen und ihres Personals die Figur des bad teacher, wobei man „bad“ durchaus in der aus dem Jargon gewohnten Doppeldeutigkeit verstehen muss. Es ist der Aushilfslehrer (dem wir etwa in dem italienischen Film Rot und Blau von 2012 nahekommen), der Seiteneinsteiger, der Mensch ohne große pädagogische Ausbildung und ohne diesbezüglichen Ehrgeiz, aber gerade deswegen auch jemand, der wieder credibility und Offenheit in die Institution bringt.

In unseren Träumen, im Comic Mr. Lowe von Mark Pett, im Film Bad Teacher (2011) in Gestalt der schlampig schönen Cameron Diaz und schließlich als der Zeki Müller des Elyas M’Barek in den beiden Fack-ju-Göhte-Filmen, wird aus eben dem bad teacher der einzig ideale Lehrer – ein Verbündeter im Kampf gegen eine vergreiste, korrupte und ausgebrannte Institution. Leider nur im Traum, und auch da muss sich die Traumarbeit der Popfantasie gewaltig anstrengen, um die Wandlung vom Verweigerer und Schaumschläger zum, naja, Verantwortungsträger zu erklären. Aber wahrscheinlich kommt es darauf auch nicht so sehr an. Die Metadramaturgie einer Schulkomödie, von allen Sex-, Gewalt- und Gute-Laune-Fantasiebildern abgesehen, liegt darin, dass fast alle am Ende merken, dass sie die Schule mehr lieben als hassen.

Daher auch die Mischung des Genres: Ein Drittel transgressive Comedy (in diesem Fall etwa: ein Pingpongball in der, echt jetzt, „Mumu“ einer Schülerin; Chili im Präservativ, um temporäre sexuelle Enthaltsamkeit zu erzwingen), ein Drittel Trauma- und Konfliktbewältigung (die Inklusion des Quotenbehinderten, das Lachen über eine besonders vertrottelte alte Lehrerin – Uschi Glas als lebendes Fossil der alten Pauker-Filme in einer Szene, die als direktes Zitat erscheinen mag; der plötzliche Anfall von freiwilligem Lernen, ein stets wiederkehrendes Motiv) und ein Drittel irreales Kuschelsentiment (die vom bad teacher eingefädelte Kommunikation mit den entfremdeten Eltern). Das Ganze in einem Stil, der nie zu nahe an die Wirklichkeit gelangt, aber auch vor echtem Trash und echter Bosheit zurückschreckt. Daher förderungs- und fernsehtauglich.

Ein sozialer Job

Einen Film wie Fack Ju Göhte 2 zu kritisieren wäre also ziemlich hirnrissig. So ein Film entsteht nicht, um als Filmkunst anerkannt zu werden, er muss nur handwerklich funktionieren; und er entsteht nicht, um uns schwerstens über die Institution Schule ins Grübeln zu bringen. Er ist aber auch keineswegs „unschuldiges“ Entertainment; die Mischung aus Lachventile öffnen, Nostalgie bedienen, angerissene Probleme wegsentimentalisieren und nebenbei noch ein paar Werbe- und Tourismusattraktionen einbauen, die man aus dem Genre gewohnt ist. Nein, Filme wie diese haben einen sozialen Job zu erledigen. Sie sollen Erfahrung, Gesellschaft und Institution Schule miteinander versöhnen. Sie sollen die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern erträglich machen.

Der Traum von einer demokratischen, menschlichen und offenen Schule ist indes weitgehend ausgeträumt. Die Institution ist, sieht man einmal von Nischenangeboten für Besserverdienende ab, zu ihrer alten Brutalität zurückgekehrt, und man weiß nicht, welche von den drei beteiligten Gruppen die Rolle des Bösewichts am besten ausfüllt: die Schülerinnen und Schüler mit Strategien von Anpassung, Rebellion, Verweigerung, Gewalt, Paranoia; die Lehrer, zwischen Zynismus und Idealismus, Herren und Herrinnen über Lebenswege und Selektionen, zugleich Getriebene und Gedemütigte; oder die Eltern, gleichgültig und überfordert oder turboaktiv, rücksichtslos im Kampf für die Aufstiegschancen der Kinder. Wir wissen nur eins: Es finden sich in aller Regel mehr Horrorexemplare unter den Beteiligten als solche, die ihren Anforderungen gerecht werden, ohne dabei zu unerträglichen Arschlöchern zu werden. Das macht das fulminante Defizit des Genres aus – der fulminante Mangel an sympathischen oder auch nur interessanten Figuren. Hier treffen Karikaturen auf Traumbilder, that’s it.

Konsequenterweise musste auch die Schule zum Spiegelbild des Neoliberalismus werden. Und das heißt: mehrheitlich Prekarisierung, daneben „Elitebildung“, dazwischen ein paar Nischen und Kompromisse. Die alte Schule, das war der Ort, dem Versteinerung, Vergreisung und Reaktion drohten, und eben davon handelten viele Schulfilme. Die neue Schule, das ist der Ort, dem soziale Verwahrlosung ebenso wie die Verwandlung in ein brutales Karriere- und Wettbewerbsinstrument droht.

Davon, zum Beispiel, handeln Filme wie Sönke Wortmanns Frau Müller muss weg (2014), wo sich eine Gruppe von Eltern entblößt im Versuch, eine Lehrerin zu verdrängen, die man als Hindernis für den hoffnungsvollen Nachwuchs identifiziert hat. Der Gott des Gemetzels zeigt sich überall, auch in der Schule. Und so wie Frau Müller muss weg den Schulfilm mit Motiven der kleinbürgerlichen Gruppenkatastrophe verbindet, so bieten die Fack-ju-Göhte-Filme eine Verbindung mit den populären „Proll-Komödien“. Es geht immer auch um Klassenkampf.

Fack ju Göhte 2 spielt zum größten Teil nicht in den Mauern einer Schule, sondern auf einer „Klassenfahrt“ nach Thailand, ins Tsunamigebiet. Das erlaubt etliche weniger vernutzte Handlungswendungen und Schauplätze, aber es macht das Versöhnungsmedium Schulkomödie auch gefährlicher, als es sein müsste. Denn ohne es zu wollen, plaudert dieser Film ein Geheimnis aus: Menschen, die aus solchen Schulen kommen, werden zu einer kulturellen Gefahr für den Rest der Welt.

Fack ju Göhte 2 Bora Dagtekin Deutschland 2015, 115 Minuten

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