Und wieder: Bilder vom Krieg

ZWISCHEN »NORMALITÄT« UND VORAUSEILENDER ENTSCHULDIGUNG Die Kriegsberichterstattung im deutschen Fernsehen sitzt in der Bilderfalle

Seit dem Vietnamkrieg und seiner medialen Nachbereitung ist es ein Allgemeinplatz: Jeder Krieg ist auch ein Krieg der Bilder. Daß die USA, als Nation, als Gesellschaft, als Kultur das Eingreifen in Ex-Jugoslawien für notwendig empfand, obwohl es diesmal weder um eigene Sicherheit noch um Öl oder andere Ressourcen geht, erklärte der amerikanische Teilnehmer am sonntäglichen Presseclub im deutschen Fernsehen entwaffnend einfach: Man mußte auf die Bilder reagieren, die aus Europa in die amerikanischen Medien gelangten. Wenn also der Vietnam-Krieg der erste gewesen sein mag, der durch die Bilder beendet wurde, der Krieg gegen Saddam Hussein der erste, der vor allem für die Bilder geführt wurde, so mag der Krieg gegen Milosevic der erste sein, der durch Bilder ausgelöst wurde.

Entsprechend destabilisiert sich die eigentliche Bilderproduktion dieses Krieges selber, der auch insofern seine Dramaturgie auf den Kopf stellt, als er sich schon über die eigene Zerknirschung inszeniert. Es ist ein Krieg, der sich »Begeisterung« und Faszination strikt verbietet, sich zugleich aber darin adelt, nach seinem Sinn, seiner Moral, seinem Ziel erst suchen zu müssen. Es ist ein Krieg, der nur als moralische Übersprungshandlung, gegen das Recht, gegen die Vernunft, am Ende wohl auch gegen die Menschlichkeit verstanden werden kann. Der Mythos der Kriegs-Erklärung funktioniert diesmal sozusagen über seine blinden Stellen; der Krieg wird gleichsam in ein Vakuum hinein, in ein Nicht-Wissen, ein Nicht-Bild geführt. Und das eben scheint das Wesen der »Balkanisierung« der Wahrnehmung zu sein, daß sie weder erkennbare Fronten noch einen mythischen Ort erzeugt. Kein Dschungel, keine Wüste, die als Metaphern dem Krieg seine Natur zurückgeben könnten, es ist Mitteleuropa, ein diskursiver Brei der historischen Erinnerungen und der Versäumnisse. Dort hat, vielleicht, der Zweite Weltkrieg nie ein Ende gefunden.

Was aber suchen wir in Bildern eines Krieges, den wir schon als Idee nicht begreifen können, ohne darüber den Verstand zu verlieren? Seine blutige Trivialität oder seine auch moralische Unübersichtlichkeit? Nein, irgendeine Mitte, eine Klarheit, die wenigstens eine »Haltung«, eine »Meinung« stützen könnten. Eine wirkliche Unterscheidung zwischen Propaganda und Information gibt es daher nicht mehr. Die Medien wollen nicht mehr auf die Bilderproduktion der militärischen Propaganda und der politisch gesteuerten Desinformation hereinfallen, wie es im Golfkrieg der Fall war, aber ihr Mißtrauen richtet sich auf alles mögliche, nur nicht auf sich selbst. Und die Propaganda hat gelernt, noch dieses Mißtrauen gegenüber den Bildern für sich selbst zu benutzen. Wenn man Bilder strategisch verwenden kann, dann kann man auch Bilderlosigkeit strategisch verwenden. Weil Bilder stets als frivoler und obszöner gelten müssen als der Diskurs, versucht sich dieser moralische Krieg in gewisser Weise zu reliterarisieren. Zu diesem Krieg wird mehr erzählt als gezeigt.

Im Grunde gibt es nur drei Bilder, drei Geschichten vom Krieg, die in ihrer jeweils neuesten Form eine vollständige Erklärung des Geschehens abgeben sollen:

  • Die menschliche Betroffenheit und das Engagement für die Lebenden (Wolldecken und Medizin für die Bevölkerung; Mitgefühl für die Frauen und Mütter der Soldaten)
  • Die Bosheit des »eigentlichen« Feindes (der Schlächter, der Massaker und Völkermord befiehlt; wenn schon Saddam Hitler war, dann ist Milosevic´ erst recht Hitler)
  • Der Glanz unserer Waffen, der Triumph unserer Siege. Ein Stealth Bomber wird abgeschossen oder fällt aus anderen Gründen vom Himmel: schlechtes Bild. Ein Hubschrauber-Kommando holt in einem »kühnen Unternehmen« den Piloten aus dem Feindesland: gutes Bild. Bild, das jeder Kriegsfilm kennt: die Individualisierung der Kriegsmaschine. Die BILD-Zeitung belegt das Unternehmen denn auch mit dem Namen »Rambo« und rehabilitiert damit zugleich ein Kriegsbild, das vordem im Konsens verworfen war.

Erneut indes hat sich das Material, aus dem dieses Kriegsbild zusammengesetzt werden kann, entscheidend verändert. War der Skandal im Golfkrieg die CNN-Kamera im zerschossenen Bagdad, mit der man gleichsam die Einschläge der Raketen direkt von ihrem Ziel aus übertrug und gleich im Anschluß daran der Skandal der fortwährenden Fälschung der Bilder, so gehen wir nun von einem grundsätzlichen Mißtrauen gegen die Bilder aus. Kaum ein Fernsehbild, das sich nicht gleich vom Kommentar in Frage gestellt sieht. Trotzdem ist dies weniger einer wirklichen Kritik an den Kriegsbildern unserer Medien verdankt, sondern vielmehr eine erneute Wendung des Mythos: Es sind die Bilder »des Feindes«, des serbischen Fernsehens, von dem wir, zum Beispiel, nicht wissen, ob er uns mit Bedacht keine Opfer zeigt. Das Schlüsselbild des Krieges bislang ist das Bild tiefroter Flammen in der Nacht, die Versuche zu löschen, Trümmer zu beseitigen. Der Trotz der Bevölkerung in Belgrad, die sich mit Zielscheiben auszeichnen und Rockkonzerte veranstalten. Wieder eine Revolte des historischen Mythos: Die an die politische Macht gelangte »68er-Generation« führt Krieg gegen eine Woodstock-Nation.

Wie immer diese drei Bilder montiert werden, das dunkelrote Feuer, die Supertechnik und die flüchtenden Menschen, es wird kein klassisches Kriegsbild daraus. Es produziert vielmehr sehr unterschiedliche Schlußfolgerungen. Dieselben Bilder werden im italienischen Fernsehen zum Diskurs gegen den Krieg, zur Frage nach den Opfern, im deutschen Fernsehen dagegen zum Diskurs einer Suche nach dem Sinn dieses Krieges. Man begegnet hier dem nicht-bedeutenden Kriegsbild mit drei weiteren Mythen:

  • Deutschland gehört nun zu den »normalen Staaten«, die einen »normalen Kriegseinsatz« zu leisten haben, und man versucht, diese neuerliche Initiation mit ein wenig Würde zu absolvieren und dabei nicht gleich öffentlich vor Stolz und Lust zu platzen, was einigen unserer Politiker nicht sonderlich leicht zu fallen scheint. Deshalb scheint uns die Talkshow-Frage nach dem Sinn dieses Krieges durchaus erlaubt, so wie die Frage, wie es denn nun weitergehen soll. Und in der Erfurter Soldaten-Mutter Ilona Rothe haben wir ein Bild eines anrührenden Anti-Bellizismus. In ihr faßt sich alles, was sich moralisch gegen diesen Krieg sagen läßt, viel besser zusammen als in den rationalen oder legalen Argumentationsweisen. Aber man wird den Verdacht nicht los, der Inszenierung einer als »Ausgewogenheit« verkleinerten internalisierten Neufassung des alten Spiels von Sentimentalisierung und Brutalisierung beizuwohnen.
  • Die Konstruktion des Feindbildes als Kurzschluß zwischen der dämonischen Meta-Person und der Verallgemeinerung. Es geht um Milosevic´ und »die« Serben.
  • Die Distanzierung und Differenzierung als Ritual: die Ratlosigkeit, die offenkundig ständig neue Entgleisungen der Phantasie produziert, wird als »erwachsene« Nachdenklichkeit ausgegeben.

Es ist, was in diesen Bildern und Texten nach wie vor spukt, die Suche nach dem gerechten Krieg.

Aber je gerechter er scheint, desto absurder wirkt er auch (wenn er nicht eine machtpolitische Geste, sondern wirklich ein Befreiungskrieg sein soll, dann muß er totalisiert, dann muß er ein Bodenkrieg und vielleicht sogar ein Weltkrieg werden), und je effektiver er wäre, desto weniger kann er gerecht sein, desto mehr würde er eben das Bild vom Starken bestätigen, der den Schwachen bezwingt. Eine Beziehungsfalle. Eine Bilderfalle.

Nimmt man die mediale Widerspiegelung dieses Krieges in Deutschland als Gesamtkunstwerk, so berichtet sie zum einen von den zwei bedeutenden Paradigmenwechseln unserer Kultur in den letzten Jahren: Zum einen hat die 68er Generation die Macht nicht nur besonders gründlich und in gewisser Hinsicht verzweifelt, paranoid erlangt, sie muß sie gleichsam in all ihrer Konsequenz akzeptieren, was die Kriegsführung nicht nur mit einschließt, sondern so oder so sogar notwendig macht. Für Deutschland mag dieser Krieg also die Funktion eines doppelten Ini tiationsritus haben: Was den Vätern untersagt wurde, scheint den Söhnen (und auch Töchtern) erlaubt: der Krieg als Selbstidentifikation. In keiner anderen europäischen Gesellschaft und in keiner anderen medialen Präsentation ist die Inszenierung des nationalen Konsenses so im Vordergrund. Aber diese Generation hat die Macht nicht nur adaptiert, sie hat sie auch verwandelt. Das moralische Prinzip hat das Prinzip des Rechts abgelöst; so wie das »authentische« das rationale abgelöst hat. Die Bilder des Krieges und ihre Kommentierung im deutschen Fernsehen mögen in etwa aussagen: Dieser Krieg wird weder eine eigene Form, eine »Ästhetik« finden, noch wird er sich als sinnvolles, rationales und rechtsetzendes Geschehen retten lassen. Was es zu retten gilt, ist seine Moral. Und dies ist, erneut, die Moral der Wahrnehmung: »Wir konnten nicht weiter tatenlos zusehen«.

Mehr noch zu retten aber ist auch der nationale Konsens. Die Reaktion auf den Krieg und seine Bilder erlaubt zwar viele Meinungen, erlaubt auch Kritik, vor allem daran, was vorher versäumt wurde. Es gibt aber auch offenkundige Tabus. Nicht erlaubt ist eine Aufkündigung des national-moralischen Konsenses, unmöglich eine Rückkehr zur nicht-parteilichen Wahrnehmung, verpönt, so scheint's, jene Kritik an der Arroganz der Macht in Washington, die zum Beispiel die italienischen Medien hervorheben, wenn sie zu den Bildern des Krieges immer wieder jene Clinton-Ansprachen montieren, in denen er alles, was zu dem Krieg geführt hat in Sätzen erklärt, die mit dem Wort »Ich« beginnen.

Gegenüber den Bildern der Moralisierung haben es die Bilder der dritten Kategorie ausgesprochen schwer. Die technische Perfektion, die spinnenförmigen Stahlmonster, die Detonationen und Raketenschweife wirken ihnen gegenüber nicht nur ausgesprochen obszön, sondern auch in einem grotesken Mißverhältnis. Die Moral, in deren Namen dieser Krieg geführt wird, kann sich nicht vollständig in Technik auflösen. Sie will zurück auf die Erde, und vielleicht ist der in den Bildern und in der Bilderlosigkeit sich einnistende Gedanke an den Bodenkrieg nicht nur eine Konsequenz der verdrehten Logik dieses Krieges, sondern auch eine seiner Moralisierung. Die eigentliche Ästhetik des Krieges, die sich in seinen Waffen und in seinen Kampfhandlungen ausdrückt, wird eher verschämt präsentiert. Die Waffen wollen lieber tragisch als schön erscheinen; ihr phallisches Geprotze ist in der neuen Mitte eher peinlich. Ist das ein Fortschritt? Möglicherweise. Der vollständig moralisierte und daher vollkommen blutig-absurde Krieg schreckt vor seinen eigenen Konsequenzen zurück. Und schon sprechen unsere Kriegsbilder wieder mehr vom Selbstmitleid als von den wirklichen Opfern; wir sind empört darüber, daß es wieder nicht geklappt hat, zugleich zu den Gu ten und zu den Mächtigen zu gehören. Und unsere Medien-Inszenierungen, so widersprüchlich sie sich an der Oberfläche geben mögen, haben schon wieder ein gemeinsames Ziel: die vorauseilende Entschuldigung.

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