Er suchte die Freiheit

Literatur Wolfgang Haugs Biografie des Schriftstellers Theodor Plievier ist ein beeindruckendes Zeugnis antiautoritären Denkens
Ausgabe 07/2021

Theodor Plievier (1892 – 1955) gehört zu den heute weiterhin lesenswerten und doch weitgehend vergessenen Schriftstellern. Er zählte zu den im Nationalsozialismus geächteten Autoren, als Anarchist, Kommunist, Marxist, Antimilitarist – die Zuschreibungen sind vielfältig – passte Plievier auch nach 1945 nicht in eine Zeit, die von baldiger Wiederaufrüstung, Restauration und Antikommunismus geprägt war. Seit einigen Jahren findet nun eine Wiederbesinnung auf Plieviers Werke statt, die sich auch in Neuauflagen spiegelt. Erstmals liegt nun auch eine Biografie vor, die wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen vermag.

Die Biografie hält sich streng an chronologische Eckdaten. Die Wendungen und Wandlungen und, vor allem, die Kontinuitäten in Plieviers Leben lassen sich damit gut nachvollziehen. Gelegentlich hätte man sich eine stärkere Kontextualisierung in ideengeschichtliche Zusammenhänge gewünscht. Ein Beispiel: Der Autor Wolfgang Haug erwähnt in seinem Kapitel über die Uracher Kommune am „Grünen Weg“, dass der Kommunegedanke jener Zeit eine vielfältige theoretische Fundierung hatte, die Eingebundenheit in die geistigen Strömungen jener Zeit findet sich dann aber nur angedeutet und bleibt etwas farblos.

Haug verteidigt Plieviers lebenslange Sympathie dem Anarchismus gegenüber. So lässt sich ab 1923 zwar eine Abkehr von Organisationen feststellen – Plievier arbeitet mehr an seiner Anerkennung als, durchaus anarchistischer, Schriftsteller –, die jedoch keineswegs mit einer grundsätzlichen ideellen Abkehr einhergeht. Insofern ist ein lebenslanger schwarzer Faden (ja, schwarz, nicht rot, da doch Schwarz die traditionelle Farbe des Anarchismus ist) in Plieviers Leben erkennbar. Detailliert geht Haug auf die Veröffentlichungsgeschichte von Plieviers Romanen und Erzählungen, die zeitgenössische Kritik, die Bühnenbearbeitungen durch Erwin Piscator und die Stellung zum „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ (BPRS) ein. Der literarische Durchbruch gelang 1930, nach dem Erscheinen von Des Kaisers Kuli, diesem dicht an der historischen Wirklichkeit angesiedelten historischen Roman über die kaiserliche Kriegsflotte. Zwei Jahre später sein nächster Bestseller. Mit dem erklärenden Titel Der Kaiser ging, die Generäle blieben knüpft Plievier an den Vorgänger an und erläutert, wie die Zeitläufe nach einer blutig niedergeschlagenen Revolution schließlich in den Faschismus münden mussten, nicht zuletzt, weil maßgebliche Teile des Personals aus der vorrevolutionären Phase verblieben waren und ihre Interessen buchstäblich schlagkräftig umsetzten.

Exil in der Sowjetunion

Die nationalsozialistische Machtübernahme hatte schon sehr bald unmittelbare Konsequenzen für Plievier. Insbesondere mit den beiden genannten aufsehenerregenden Büchern hatte er sich an exponierter Stelle ins Visier gebracht. Über Prag und Paris führte Plieviers Weg schließlich in die Sowjetunion. Wie er hier unter widrigsten Umständen auch in dunkelster stalinistischer Zeit überleben konnte – unter anderem mit viel Glück, aber auch der Fürsprache zum Beispiel von Johannes R. Becher –, wird hier sehr anschaulich beschrieben.

Die Schilderung der Lebensbedingungen im Exil und insbesondere der sowjetrussischen Zeit ist alleine schon die Anschaffung dieses Buches wert. Nach elf Jahren schließlich kehrt Plievier 1945 mit einer Gruppe von Kommunisten, unter ihnen Erich Honecker, nach Deutschland zurück. Johannes R. Becher gründet in kürzester Zeit den „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“, der wiederum den Aufbau-Verlag ins Leben ruft. Dort erscheint noch am Jahresende 1945 das Buch Stalingrad. Das Werk wird sogleich der erste Bestseller der deutschen Nachkriegszeit. Gut hundert Seiten widmet Haug schließlich Plieviers Jahren in Deutschland bis zu seinem Tod, weist auf dessen trotz zeitweise hoher Buchauflagen prekäre Situation hin und zeigt, wie das bei allen politischen Unterschiedlichkeiten doch langjährige Band zwischen R. Becher und ihm schließlich zerbrach.

Plievier begegnete in seinem Leben zahlreichen Persönlichkeiten, die zum Teil in ihrem weiteren Lebenslauf größere Bekanntheit erlangten als er selbst. Das Personenregister ist zum Erschließen der zahlreichen Querverbindungen sehr hilfreich. Haugs Biografie sprudelt nur so von enormem Detailwissen, es ist beeindruckend, in welchen Briefwechseln beispielsweise er Hinweise zu Plievier aufspürte.

Über 1.100 Anmerkungen stellen bei dieser Veröffentlichung einen wahren Fundus an biografischen und literarischen Verweisen dar. Die trotz dieser Anmerkungsfülle sehr gut lesbare, mit vielen Zitaten illustrierte Veröffentlichung führt tief in die Geschichte – keineswegs nur die Literaturgeschichte – des 20. Jahrhunderts ein. Plievier war, wie der Biograf hier überzeugend verdeutlicht, zeitlebens ein Freiheitssuchender. Auch unter schwierigsten Umständen lotete er stets seinen Möglichkeitsraum aus. Immer wieder mischte er sich im Namen der Freiheit in Debatten ein. Gegenwärtig ist zu beobachten, wie rechte und autoritärste Strömungen sich Raum verschaffen, wie in Mitteleuropa eine kaum mehr für denkbar gehaltene Staatshörigkeit in ungeahntem Ausmaß um sich greift, umfassendes Denunzieren inbegriffen. Und in Orwell’schem Ausmaß sind die autoritätshörigsten Kreise gerade jene, die am lautesten nach „Freiheit“ rufen (oder nach dem, was sie dafür halten) und sich dabei noch als „Querdenker“ gerieren.

Dieses Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis antiautoritären Denkens, ein Dokument wirklicher Freiheitssehnsucht. Es lohnt gerade in diesen Zeiten, sich auf einen Menschen wie Theodor Plievier zu besinnen und seine Werke zu lesen.

Info

Theodor Plievier – Anarchist ohne Adjektive. Der Schriftsteller der Freiheit – Eine Biographie Wolfgang Haug Edition AV 2020, 492 S., 24,50 €

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