Eist eine Hölle light. Hier sieht sie aus wie ein Arrangement von Ikea: ein weißer Plastik-Barhocker, ein zum Sofa entfaltbares, schwarzes Sitzpolster und als Blickfang ein Rokoko-Sessel. Das ist der Ort, den sich der Journalist und Literat Garcin, die Postangestellte Inès und die in einer Zweckehe gut situierte Estelle für die Ewigkeit teilen werden.
Das Stadttheater Naumburg eröffnete die neue Spielzeit mit dem Stück Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre. Ein Klassiker des Existenzialismus, in dem Sartre zeigt, wie die aus Freiheit geborenen Wünsche des einen am auf Freiheit gegründeten Handeln des anderen zerschellen. Und auch wenn das Stück schon 1944 erstaufgeführt wurde, geht es den heutigen Zuschauer an, nicht nur des beziehungsreichen Titels wegen oder aufgrund der körperlichen Distanz, die die Akteure auf der Bühne zelebrieren. Es geht um die Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Liebe, auch nach Respekt und Anerkennung, die mancher in Zeiten von Corona unerfüllt sieht. Das ist auch im Stück so, und dass die drei leiden, kann der Zuschauer wohl gut nachvollziehen.
Bei Sartre allerdings leiden sie nicht an der gesellschaftlichen Situation. „Die Hölle, das sind die anderen“, sagt Garcin. Sartre beklagte später, Garcins Satz sei oft missverstanden worden. „In welchem Teufelskreis wir auch immer sind, wir sind frei, ihn zu durchbrechen“, erklärt er. Wir können uns aus einer fraglos angenommenen Rolle lösen. Den drei Verdammten in Sartres Hölle gelingt das nicht. Als sie feststellen, dass die Tür nicht verschlossen ist, geht keiner hinaus. Es gelte, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, so Sartre. Mancher, der gegen Anti-Corona-Maßnahmen demonstriert, wird das für sich in Anspruch nehmen. Doch wer mit Recht persönliche Freiheitsrechte gewahrt sehen will, etwa zu reisen, sein Gesicht nicht hinter einer Maske zu verbergen, muss sich fragen, was das für die Freiheit anderer bedeutet, etwa deren Freiheit der körperlichen Unversehrtheit.
Zur Freiheit verurteilt
Für die drei auf der Bühne wäre der Schritt aus der Hölle lediglich der aus der eigenen Hölle, Gemeinsamkeit oder Solidarität, von Garcin vergebens angemahnt, auch erfleht, gelingt nicht. Für den französischen Philosophen gibt es im Ringen um Freiheit notwendig Verlierer. Insofern ist Sartre in Corona-Zeiten auch eine Provokation für jeden, der wie Hegel meint, dass Freiheit ohne Anerkennung der Freiheit des jeweils anderen nicht denkbar ist.
Zwischen den Protagonisten entfaltet sich eine dynamische Choreografie, das quälende Spiel um Liebe und Macht, Zurückweisung und Verzweiflung. Der Folterinstrumente bedarf es nicht, schmerzhaft sind die Lebenslügen. Garcin etwa, der überambitionierte Durchschnittsmensch, tut sich schwer mit der Selbsterkenntnis. „Man ist, was man will“, versucht er an seinem Selbstbild festzuhalten. Doch Inès zerstört seine Illusion: „Nur Taten entscheiden über das, was man gewollt hat.“ In diesem psychologischen Kammerspiel führte der Philosoph Sartre dem Dramatiker Sartre die Feder: Unsere Handlungen sind nicht die Kinder unseres Wesens, sondern deren Eltern. Wir sind das, was wir aus uns machen.
Man kann Garcins Aufforderung „Also, machen wir weiter“, mit der das Stück endet, so verstehen, dass es Erlösung aus dem zwischenmenschlichen Dilemma nicht gibt und die Hölle ewig dauert. Man kann aber auch im Sinne Sartres zu dem Schluss kommen, dass es auf das eigene Handeln ankommt. Verurteilt ist der Mensch nicht zu ewiger Verdammnis, sondern zur Freiheit. Und das Lachen der Akteure, das diesem Satz vorausgeht, interpretiert Intendant und Regisseur Stefan Neugebauer als Gemeinschaft stiftend. Der Zuschauer kann sich davon ermuntert fühlen. Ursprünglich nicht geplant, wurde das Sartre-Stück aufgrund der Corona-Situation ins Programm genommen. Auch ganz pragmatisch. „Weil es anders als das ursprünglich geplante Liebesdrama Romeo und Julia auch mit Abstand funktioniert“, sagt Neugebauer. Es gelingt ihm sogar, aus dem äußeren Zwang Gewinn zu ziehen. Die Suche nach Nähe etwa, die den Protagonisten stets aufs Neue misslingt, wird ins Tänzerische übersetzt. Das bringt in die existenzialistische Tristesse des Stücks eine überraschende Leichtigkeit.
Das Theater Naumburg sagt von sich, es sei das kleinste Stadttheater Deutschlands. Die Spielstätte, eine frühere Gastwirtschaft, die einst das Puppentheater Naumburg beherbergte, bietet schlechte Bedingungen. Je nach Bühnenaufbau finden in normalen Zeiten bis zu 80 Zuschauer im Saal Platz. Die Pläne für eine neue Spielstätte, seit Jahren im Gespräch, sind inzwischen konkreter geworden. 16 Mitarbeiter sind am Theater fest angestellt. Das Budget, zu zwei Dritteln von der Stadt, zu kleineren Teilen auch von Kreis und Land mitgetragen, umfasste in der vorvorigen Spielzeit 930.000 Euro, gibt Neugebauer Auskunft. Das Stadttheater in Aalen in Baden-Württemberg, hinsichtlich der Mitarbeiterzahl mit dem Naumburger vergleichbar, habe eine Spielzeit zuvor über 1,6 Millionen verfügen können, weiß er. Da es ab März auch in Naumburg keine Aufführung mehr gab, sind dem Theater laut Intendant Einnahmen von rund 50.000 Euro weggebrochen. Immerhin bietet die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln eine gewisse Sicherheit.
Den Spielplan hat die Corona-Pandemie auch an anderer Stelle durcheinandergewirbelt. Ein Schauspiel über die Malerin Frida Kahlo etwa. Intendant Neugebauer hofft, dass den Darstellern in festen Kleingruppen eine größere Nähe auf der Bühne ermöglicht wird. Und natürlich reagierte das Theater mit Begrenzung der Zuschauerzahl. In der Marien-Magdalenen-Kirche, in der die Theaterleute schon wiederholt gastierten, wurden diesmal 64 Besucher eingelassen, für die die Plätze in den Bankreihen genau gekennzeichnet waren. Normalerweise fasst dieser Spielort 100 Gäste: Während manchen die freie Sicht auf die Bühne freute, fanden andere es eher bedrückend, jede der Kirchenbänke mit nur einem Paar besetzt zu sehen.
Info
Geschlossene Gesellschaft Jean-Paul Sartre Neuübersetzung von Traugott König, Regie und Ausstattung: Stefan Neugebauer, Theater Naumburg, Termine unter theater-naumburg.de
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