Die Moral des Feierns

Im Kino In "Montag Morgen" erzählt Otar Iosseliani von der Allgegenwart der Rauchverbote und den Freuden der Verantwortungslosigkeit

Was geschieht mit Kinofiguren, wenn ihnen die Sprache entzogen wird? Wie verändert sich unsere Wahrnehmung, wenn ihr Handeln den Regeln der Pantomime unterworfen ist? Der Verzicht auf Dialoge stößt meist die Tür auf zur Vieldeutigkeit (sofern ein Regisseur seine Schauspieler nicht zu Nachdruck in Gesten- und Mienenspiel auffordert); ein breites Spektrum gegensätzlicher Empfindungen wäre also denkbar. Von der Diktatur der Sprache befreit, könnten die Figuren an Leichtfüßigkeit gewinnen. Ebenso plausibel wäre es, wenn die Wortlosigkeit schwer auf ihnen lastet und ihre Leinwandaura in Tristesse taucht. Unsere Vermutung, sie würden ihr Dasein in klaglosem Einverständnis zubringen, könnte genauso zutreffend sein wie die Unterstellung, ihr Schweigen sei ein Ausdruck von Resignation. Und vielleicht wäre es gar ein Indiz der Anarchie: Welche Pläne mögen sie schmieden, welcher Widerstand mag sich insgeheim in ihnen regen?

Es dauert geschlagene acht Minuten, bis in Montag Morgen zum ersten Mal gesprochen wird. Einmal abgesehen davon, dass diese Minuten von etwas handeln, das man gemeinhin in dumpfem Schweigen absolviert - frühzeitiges Aufstehen, die ersten Züge an der Zigarette, die man verhuscht auf dem Arbeitsweg nimmt, und schließlich der alltägliche Trott in der Fabrik - lässt diese Verschwiegenheit sämtliche der oben beschriebenen Deutungen zu. Der Dialog ist für Otar Iosseliani ein beiläufiges erzählerisches Element, ein Geräusch, das gleichberechtigt unter anderen ertönt. Als Ausdruck menschlicher Gemütsbewegungen erscheint er ihm nicht wesentlich zuverlässiger als das Rauchen oder einander Zuprosten. Diese pantomimische Reduktion birgt stets die Gefahr, die Figuren, derart einer eigenen Stimme beraubt, nurmehr als Komparsen zu behandeln. Tatsächlich entwickelt Iosseliani kaum je einen nennenswerten Ehrgeiz, Charaktere im vollendeten Relief zu zeichnen. Dabei ist Beiläufigkeit stets die Trumpfkarte seiner mit scheinbarer Gleichmut umgesetzten Szenerarien, die keiner erzählerischen, sondern einer musikalischen Logik gehorchen. William Lubtchanskys Kamera beglaubigt seine Grotesken der Normalität mit klaren, bedachtsam flanierenden Bildern.

Diesmal dient der (weitgehende) Sprachverzicht dem Regisseur als Anzeichen der Isolation, der Vereinsamung in Familie und Arbeitswelt. Er spinnt, neben vielen anderen, in Montag Morgen einen Handlungsfaden weiter, der sich bereits am Ende seines letzten Films, Marabus, ankündigte: auch dort verließ ein (von ihm selbst gespielter) Familienvater sein soziales Umfeld und folgte konsequent dem Lockruf von Abenteuer und Sorglosigkeit. Vincent (Jacques Bidou) stiehlt sich fort aus der Monotonie seiner Existenz als Chemiearbeiter und Ernährer (dessen dräuendsten Moment der Film im Titel führt); allein schon aus Empörung darüber, dass das Dasein eines Rauchers nur noch aus Verboten besteht. Ermutigt von den Ratschlägen seines fidelen Vaters und berauscht vom Wein, mithin ohne Schuldgefühle, macht er sich auf nach Venedig. Dort gerät er zunächst in die Fänge von Taschendieben und sodann in die Obhut verständnisvoller Trinkkumpane. In seiner Heimat besitzt man keinen Sinn mehr für das Trinken, klagt Vincent gegenüber einem Priester, es dient nur noch zur Begleitung des Essens. Sein Abstecher endet ernüchtert vor einem weiteren Fabriktor, auch hier herrscht rabiates Rauchverbot. Vincent kehrt zurück in die Heimat, nicht als reuiger Abtrünniger - zuhaus hat man ihn nicht wirklich vermisst -, sondern in der Erkenntnis, dass die Freiheit wohl unmöglich ist.

Iosseliani hat sich in seinen letzten Filmen als Schutzpatron der fröhlichen Zecher und Pflichtvergessenen erwiesen, die dem bürgerlichen Leben mit benebelter Skepsis beiwohnen. Die Nebenrollen, die er sich selbst dabei zugedacht hat (hier verkörpert er einen fintenreichen Adligen von dubioser Abstammung), sind ein unzweifelhafter Beleg dieser Parteinahme. Beim Feiern scheint Gemeinschaft noch denk- und greifbar. Mit solcher Gelassenheit von den Freuden der Verantwortungslosigkeit zu erzählen, ist eine nicht zu unterschätzende filmische Disziplin. Seine Apologien des Müßiggangs waren bislang freilich stets aufgehoben in einem zeitentrückten Ambiente. Die Perspektive des verschmitzt-moralischen Surrealismus à la Jacques Tati oder René Clair, mit der er nun die moderne, entfremdete Arbeitswelt ins Auge fasst - die Chemiefabrik stellt er sich als ein kurioses, buntes Inferno vor - ist mitnichten ein Instrumentarium, um sich diese ernsthaft zu erschließen. Aber sie belegt, wie tief empfunden Iosselianis Melancholie ist. Es ist eine erhabene, hellsichtige Katerstimmung, denn er weiß, dass die Feier immer nur die Ausnahme ist.

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