Eine Frauensache

Generationenvertrag In Pedro Almodóvars "Volver" spielen Männer ausschließlich Nebenrollen. Der Film ist eine Hymne an die Mutterschaft als die verlässlichste Konstante des Lebens

Als Sole (Lola Duenas) zur Beerdigung ihrer Tante in ihr Heimatdorf zurückkehrt, irrt sie sich zunächst in der Tür. Sie führt auf den Innenhof des Trauerhauses, in dem die alten Männer des Dorfes Wein trinken. Unverwandt starren sie die Heimkehrerin an und finden kein Wort des Beileids für sie. Erst hinter der nächsten Tür verbirgt sich die weibliche Trauergemeinde, die sie herzlich aufnimmt. In der Welt, in die Pedro Almodóvars neuer Film sein Publikum entführt, sind die Lebenssphären der Männer und Frauen streng voneinander getrennt.

Die Inszenierung markiert immer wieder Schwellen, die nicht überschritten werden: Soles Schwester Raimunda (Penelope Cruz) weist den Nachbarn, der sie einst erfolglos umwarb, erneut im Türrahmen ab. Und zwischen sich und dem jungen Verehrer, der nun gern in ihr Leben treten würde, weiß sie stets architektonische Barrieren aufzubauen. Die Autarkie der weiblich bestimmten Dorfgemeinschaft haben Raimunda und Sole in ihren Alltag nach Madrid hinübergerettet. Sie verlassen sich nur aufeinander, Traumata und Schuld arbeiten sie in schwesterlicher Eintracht auf. Die weibliche Solidarität bewährt sich auch dann, als Raimundas Tochter Paula (Yohana Cobo) deren Ehemann ersticht, der versuchte, sie zu missbrauchen. Kein Polizeikommissar wird im Verlauf des Films diese Eintracht stören und nachträgliche Erkundigungen anstellen über den Verbleib des Ehemanns.

Die patente Großherzigkeit, mit der Raimunda die Verantwortung für diese Notwehr übernimmt, erscheint niemals als ein Opfer. Die mütterliche Hingabe ist vielmehr ein selbstverständlicher Teil ihres Wesens. Wie einst Joan Crawford in Mildred Pierce beweist sie dabei Improvisationstalent und unternehmerisches Geschick: Sie versteckt den Leichnam in der Kühltruhe des leer stehenden Restaurants, dessen Schlüssel ihr der Nachbar überlassen hat. Sie verrät dabei auch eine unerwartete Härte, als sie der Beerdigung ihrer Tante fernbleibt, um das Restaurant - zunächst zur Tarnung - wieder zu eröffnen. Den ersten Speisenplan bestreitet sie dank der Bodenständigkeit ihrer Madrilener Nachbarinnen, die Spezialitäten aus ihren Heimatdörfern beisteuern.

Volver, die Rückkehr, die der Titel des Films ankündigt, hat eine gleich mehrfache Bewandtnis. Almodóvar sucht die Wiederbegegnung mit vertrauten Themen, mit drei seiner Lieblingsschauspielerinnen (Penelope Cruz, Carmen Maura und Chus Lampreave) und seiner Heimatregion Mancha, wo Cervantes´ Windmühlen durch Windräder-Parks ersetzt wurden und der Solano genannte Wind so unablässig weht, dass er nachts Müllcontainer unternehmungslustigen Spielkameraden gleich durch die Gassen treibt. Der mehrere Generationen übergreifende Publikumserfolg, den Volver in Spanien hatte, verdankt sich zu einem Gutteil gewiss dem Fehlen jeglicher großstädtischer Überheblichkeit, mit dem der Regisseur diese Reise angetreten hat.

Er vergewissert sich noch einer anderen biographischen Wurzel. Gern erinnert er in Interviews daran, dass Mütter der Ursprung des Geschichtenerzählens sind. Volver ist eine Hymne an die Mutterschaft als die verlässlichste Konstante des Lebens. Sie vermag gar die Grenze zum Tod zu überwinden. Raimundas und Soles tot geglaubte Mutter (Carmen Maura) wacht als Revenant über das Leben ihrer Nachfahren und sucht zugleich Erlösung. Dieser filmische Generationenvertrag ist fest geschlossen. Umso dankbarer ist man dafür, dass Almodóvar dem Publikum den obligatorischen Mutter-Tochter Konflikt in der jüngeren Generation erspart. Die kleine Paula ist keine rebellisch pubertierende Göre, sondern glücklich darüber, nun auch innigen Kontakt mit ihrer Großmutter aufnehmen zu können. Augustina (Blanca Portillo) hingegen, die Nachbarin aus der alten Heimat, ist die tragischste Figur des Films. Sie ist zweifach aus dem Zyklus der Mutterschaft ausgeschlossen, da ihre Mutter verschollen ist und sie an Krebs sterben wird, ohne eigene Kinder bekommen zu haben.

Almodóvar verknüpft diese Schicksale mit einer Meisterschaft, die sich gleich in der ersten Einstellung ankündigt. Während die Vorspanntitel über die Leinwand ziehen, fährt die Kamera langsam an Gräberreihen entlang, die von Witwen, Töchtern und Enkelinnen hingebungsvoll gepflegt werden. Sie verrichten eine feierliche Sisyphosarbeit, indem sie die Grabsteine vom Staub und dem verwelkten Laubwerk befreien, das der Wind unerbittlich auf sie zurückweht. In dieser Einstellung sind beinahe sämtliche Motive des Films enthalten: die exklusive Gemeinschaft der Frauen, die Koexistenz von Lebenden und Toten, schließlich der Gesang als Ausdruck von Trauer und Lebensfreude.

Bereits in der Exposition manifestiert sich Almodóvars Selbstverständnis als klassischer Erzähler. Dies Selbstverständnis bedeutet auch, dass man nicht zuviel von der Handlung seines Films verraten sollte. Almodóvars Dramaturgie der unerwarteten Wendungen und Enthüllungen will respektiert sein. Sie besteht in dem allmählichen, gleichwohl zielstrebigen Heranführen des Zuschauers an die Aufklärung von dunklen Familiengeheimnissen. Es wäre ein kleinlicher Vorwurf, dass man diese Lösungen längst erahnt, bevor die Charaktere sie offenbaren. Er bedeutet, die Großzügigkeit misszuverstehen, mit der Almodóvar ihnen Zeit lässt, bis sie ihr Schweigen endgültig brechen können.

Ohnehin findet in dieser Fabel um die Wiederkehr des Verdrängten eine bezeichnende Verschiebung der Zeitebenen in eine noch andere Richtung statt: Es ist ein abergläubischer Film, der den archaischen Vorahnungen einen Platz in der Moderne einräumt. Augustina trägt ihr Haar schon kurzgeschnitten, lange bevor sie ihre Diagnose erfährt und sich einer Chemotherapie unterzieht.

Almodóvars großes Talent besteht darin, seine Zuschauer Wege beschreiten zu lassen, auf die sie sich sonst nie trauen würden. Seine Erzählstrategien besitzen eine heikle Verführungskraft, die es schwer macht, augenblicklich ein moralisches Urteil zu fällen. Die Transparenz, mit der er inszeniert, verleiht dem Handeln der Charaktere eine Selbstverständlichkeit, die man kaum je hinterfragt. Die Moral der unmittelbaren Reichweite, die es den Frauen gestattet, die Dinge unter sich zu regeln, gewinnt in Volver eine unbestrittene erzählerische Legitimität. Es gelingt Almodóvar regelmäßig, auch infames Verhalten in einer Ambivalenz zu halten (man denke an die Vergewaltigung der Komapatientin in Sprich mit ihr), aus der er sein Publikum nicht entlassen will. Er hegt große Achtung vor der Reinheit menschlicher Impulse, die manchmal auch abscheulichen Taten zugrunde liegen kann.

Almodóvars Moral ist eine der unbedingten, vorurteilslos den Figuren zugeneigten Schaulust. Er ist bereit, sich von ihnen faszinieren zu lassen. Sein Stilwille beschert den Zuschauern dabei eine beinahe ebenso beglückende Erfahrung der Nähe, wie sie aus der Begegnung mit diesen Figuren entsteht. Mit der Wahl jedes neuen, überraschenden Kamerawinkels meint man, gleichzeitig etwas Unerwartetes über sie und über ihren Regisseur zu erfahren.

Viel war im Vorfeld über den grandiosen Imagewechsel zu lesen, den Penelope Cruz in diesem Film vollzogen hat. Er verdankt sich einer besonderen Alchemie zwischen Darstellerin und Regisseur. Raimunda haben die beiden in einer staunenswerten Doppeldeutigkeit angelegt, die sie einerseits als Arbeiterin und erschöpfte Ehefrau glaubhaft wirken und andererseits mit ihrer erotischen Ausstrahlung prunken lässt. In einer atemraubenden Aufsicht (die man früher gewiss "gewagt" genannt hätte) gewährt die Kamera dem Zuschauer einen Einblick in ihr Dekolleté, während sie abends in der Küche den Abwasch macht. Cruz spielt eine Frau, deren Erotik eine Gabe ist und keine Strategie. Sie strahlt eine Sinnlichkeit aus, die man bewundern kann - ohne sie begehren zu müssen.


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