Kurz nach der Landung der US-Truppen am Strand von Iwo Jima gerät der Sanitäter John Bradley in einen ethischen Konflikt, auf den ihn seine Ausbildung nicht vorbereitet hat. Ein Kamerad ist schwer verwundet worden und fleht um Hilfe. In diesem Augenblick greift ihn ein japanischer Soldat an, den er im Handgemenge niederstrecken kann. Beide Männer liegen nun nebeneinander vor ihm, dank der entsättigten Farbdramaturgie, die neben Grau- und Schwarztönen als einzigen kräftigen Akzent nur das Rot des Blutes zulässt, sind sie nicht voneinander zu unterscheiden.
Bradley zögert für eine Sekunde, ob er den Feind ebenfalls versorgen oder ihm mit dem Messer den Gnadenstoß versetzen soll. Er entscheidet sich, das Leben des Kameraden zu retten und tötet den Japaner. In diesem Dilemma findet Clint Eastwoods Flags of our Fathers die ganze Absurdität des Krieges aufgehoben, die Austauschbarkeit von Freund und Feind, die willkürliche Setzung, welche Seite gut und welche böse ist. Im streng kodifizierten Genre des Kriegsfilms wagt der Regisseur einen moralischen Konjunktiv; überdies holt er in Letters from Iwo Jima, seinem zweiten Film über die Schlacht, konsequent die japanische Perspektive auf die Ereignisse ein.
Eastwood, dessen Kino seit Erbarmungslos unter dem Vorzeichen einer melancholischen Revision amerikanischer Mythen steht, entlarvt in Flags of our Fathers die Repräsentation von Heldentum. Der Film reflektiert den Argwohn, dass im Pazifik womöglich nicht the greatest generation kämpfte, als welche die Veteranen 1998, nach dem Start von Steven Spielsbergs Der Soldat James Ryan gefeiert wurde. Dieser andere Krieg fand überwiegend im Dschungel statt, aus amerikanischer Perspektive also in der Abwesenheit jeglicher Zivilisation. Die Landschaft selbst ist lauernd feindselig, ihre Undurchdringlichkeit ein retardierendes Moment, ihr unerbittliches Gesetz die Desorientierung. Der Marsch durch den Dschungel wird zu einer Initiation in die Unmenschlichkeit. Die Wehrhaftigkeit gegenüber einem barbarischen Feind gehorcht anderen Regeln. Sie sollten sich an alles erinnern, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hätten, schärft Sergeant Stryker (John Wayne) in Sands of Iwo Jima (Todeskommando, Allan Dwan, 1949) seinen Rekruten ein - und dazu eine Menge Dinge, die nie in einem Lehrbuch stehen werden. Zeitgenössische Filme akzentuieren die zivilen Tugenden der GIs - die Truppen sind meist als einvernehmliche Repräsentation unterschiedlicher Ethnien und Gesellschaftsschichten besetzt, geführt von fürsorglichen und besonnenen Offizieren -, erst Ende der fünfziger Jahre ist es möglich zu zeigen, wie ansteckend die Berührung mit der Barbarei sein kann.
Dass die europäischen Gegner, Deutsche und Italiener, nicht Ziel rassistischer Schmähungen wurden, erklärt sich aus dem historischen Selbstverständnis der USA als Einwandererland. Die japs jedoch wurden als Spezies dargestellt, deren Daseinsberechtigung noch unterhalb der von Indianern lag. Der Rassismus, der in den combat movies der unmittelbaren Kriegszeit herrscht (etwa in Raoul Walshs Der Held von Burma von 1945), ist heute unfassbar. Dem Office of War Information, das die Hollywoodstudios bei Produktionen beriet und Drehbücher zensierte, war er durchaus ein Dorn im Auge: Man sorgte sich, farbige Soldaten könnten sich zu sehr mit den Japaner identifizieren. Eine ideologische Auseinandersetzung mit dem Gegner schien selbst in vergleichsweise liberalen Filmen wie Destination Tokyo (Delmer Daves, 1943) nicht nötig. Dort werden Heimtücke und Bestialiät zwar nicht mehr als Teil des japanischen Nationalcharakter geschildert, sondern als Folge der Indoktrination einer diktatorischen Regierung. Die kulturelle Differenz indes bleibt untilgbar. "Die Japaner", belehrt der U-Boat-Kommandant Cary Grant seine Besatzung, "haben nicht einmal ein Wort für Liebe."
Während die Allierten in Europa und Afrika gegen den Faschismus kämpften, musste im Pazifik vor allem Vergeltung für den "Verrat" der Japaner auf Pearl Harbor geübt werden. Das Kriegsgeschehen schrieb eine Dramaturgie des Danach vor, in dem die Amerikaner zur Rolle des Reagierenden verdammt waren. Insgeheim flößten Verschlagenheit und Todesmut ihrer Gegner ihnen Respekt ein: Kriegsfilme, die im Pazifik spielen, handeln überdurchschnittlich oft von alliierten Niederlagen. Die ersten Pazifik-Filme erzählen auch von der Schwierigkeit, sofort zu einer Haltung zu finden. Die grimmige Entschlossenheit der GIs, deren Dialoge von Euphemismen und Galgenhumor bersten, hat anfangs noch einen Zug von Todesgewissheit. Bereits während des Krieges wandelt sich die Botschaft, scheint sich die Niederlage mählich in einen Sieg zu verwandeln. Bezeichnenderweise entstanden in den vierziger Jahren kaum Filme über den europäischen Kriegsschauplatz. Die Pazifik-Filme hingegen arbeiteten resolut an Sinnstiftung und Legitimation.
Von den fünfziger Jahren an verschiebt sich das Erzählinteresse des Genres, es problematisiert die militärischer Führerschaft, lotet das Verhältnis von Furcht und Gehorsam aus. Der rassistische Furor lässt nach - nicht zuletzt, da Japan anfing, zu einem wichtigen Exportmarkt Hollywoods zu werden. Während die Ansätze zur Revision in den US-Produktionen der Nachkriegszeit diese nur bedingt zu ausgesprochenen Anti-Kriegsfilmen machen (zumal sie vor dem Hintergrund des Korea- beziehungsweise Vietnamkonflikts entstanden), vollzog sich im japanischen Kino eine gegenläufige Bewegung.
Das Land war bereits vor Pearl Harbor eine kriegsführende Nation; eine nennenswerte Tradition des Filmgenres existierte bis dahin jedoch noch nicht. Die Invasion der Mandschurai brachte zwei stilbildende Propagandafilme hervor: 1938 entstand Fünf Kundschafter (Tomataka Kasata) und zwei Jahre später Die Geschichte des Panzerkommandeurs Nishizumi (Kozabu Yoshimura). Sie feiern Kameradschaft und die Effizienz der unterschiedlichen Waffengattungen und akzentuieren ein rassisches Überlegenheitsgefühl gegenüber den Chinesen. Bereits 1942 kam der erste Film über Pearl Harbour in die japanischen Kinos. In der Folge entstanden allein drei Filmbiographien des siegreichen Admirals Yamamoto.
Die Kriegsfilme, die seit den fünfziger Jahren aus Japan in den Westen kamen, sind demgegenüber von einer entschieden anti-militaristischen Haltung geprägt. Masaki Kobayashi entwirft in seiner Barfuss durch die Hölle-Trilogie (1958-1960) ein Panorama aller Phasen des Krieges, von der Mandschurei bis zur Niederlage. Sein intimistisches Epos über den Verlust humanistischer Ideale verurteilt den japanischen Kolonialismus´ scharf; das Bild des Gefangenseins - im eigenen Körper, einer Ideologie, im eigenen Schicksal - zieht sich als tragisches Leitmotiv durch den rund zehn Stunden dauernden Zyklus.
Der Prozess einer individuellen Läuterung wird in Kon Ichikawas Die Harfe von Burma (1956) zu einem Gleichnis für die zu erbringende nationale Buße. Ein als Mönch verkleideter Kriegsgefangener kann fliehen, entschließt sich aber, in Burma zu bleiben, um seine Kameraden zu begraben und die Schande des Krieges durch sein eigenes Handeln zu tilgen. In den Filmen Shohei Imamuras wirft der Krieg die Menschen auf eine bloße Kreatürlichkeit zurück. Schwarzer Regen (1989) etwa erzählt von den physischen und spirituellen Verheerungen des Bombenabwurfs; auch am Ende von Dr. Akagi (1998) steht das Bild des Atompilzes.
Parallel zur beharrlich kritischen Auseinandersetzung dieser Autorenfilmer mit der eigenen Geschichte gab es stets auch eine patriotische Gegenlinie. Ken Watanabe, der Hauptdarsteller von Letters from Iwo Jima, erklärte in einem Interview mit den Cahiers du cinéma, die Nachdenklichkeit von Eastwoods Film würde sich wohltuend vom lärmenden Erzählgestus aktueller japanischer Historienfilmen abheben. Die Triebfeder seines Perspektivenwechsel ist indes in klassischen Kategorien von Heldentum gefangen: Ursprünglich war es der Respekt vor der militärischen Leistung des japanischen Befehlshabers General Kuribayashi, der ihn bewog, einen zweiten Film zu drehen. Die Schlacht hätte von den amerikanischen Truppen eigentlich schnell gewonnen werden müssen, zumal ihr ein zweimonatiges Bombardement vorausgegangen war. Die Insel wurde von rund 20.000 Japanern jedoch mehr als einen Monat lang gegen eine fünffache amerikanische Übermacht gehalten. Eastwood war empört, dass dieses Kapitel des Krieges bislang im japanischen Kino verschwiegen wurde. Ob sein Film eine noble oder aber anmaßende Geste der Wiedergutmachung ist, wird sich bei seiner europäischen Premiere auf der Berlinale zeigen.
Zur Geschichte von Iwo Jima s. auch Freitag 36/06
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