Es war stets unfassbar, mit welcher Plötzlichkeit die Gewalt in den früheren Filmen Takeshi Kitanos hervorbrach. Sie war eine derart eruptive Kraft, dass man zuvor kaum merkte, wie sie bereits in seinen Figuren schlummerte. Und erst danach wurde einem klar, wie lange sie gezögert hatten. Ihre Dynamik gewannen die Gewaltszenen aus dem Gegensatz zwischen Reglosigkeit und brüsker Beschleunigung.
Kitano hat sie in seinen Yakuza-Filmen inszeniert wie einen Gag: im Wechselspiel von Erwartung und Überraschung, und voller Faszination an Mechanik und Koordination. Die lakonischen Gewaltausbrüche seiner Helden waren eine Wette mit der eigenen Geschicklichkeit und gegen die Übermacht seiner Feinde. Die Gesten der Gewalt wirkten dabei stets fragmentiert, isoliert. In Zatoichi, seinem ersten Ausflug in das Genre des chambara, des Schwertkampffilms, genügt die Vereinzelung der Geste nun nicht mehr, sie muss sich mit einem Mal in einen Rhythmus fügen; beinahe so, wie ein Einzelner in der Gemeinschaft aufgehen kann.
Kitano lässt eine der populärsten und langlebigsten Figuren des japanischen Kinos wiederaufleben, die des wandernden, blinden Masseurs Zatoichi, in dessen Gehstock sich eine todbringende Klinge verbirgt und der über verblüffende Fähigkeiten als Schwertkämpfer und Glücksspieler verfügt. Anfang der sechziger Jahre leitete Zatoichis erster Auftritt eine kommerzielle Renaissance des zuvor von den amerikanischen Besatzern geschmähten Genres ein; seine Abenteuer lieferten bis spät in die achtziger Jahre hinein Stoff für insgesamt 25 Kinofilme und eine Fernsehserie mit rund 100 Folgen. Kitanos Film knüpft an die episodische Struktur der Vorlagen an, die durch Entwurzelung und Wanderung des Blinden vorgegeben ist. Es verschlägt ihn in ein Bergdorf, dessen Bewohner von verbrecherischen Clans unterdrückt und ausgebeutet werden. Eine attraktive, ältere Bäuerin gewährt ihm Obdach. Gemeinsam mit ihrem Neffen und zwei wehrhaften Geishas, die in Wirklichkeit Bruder und Schwester sind und den Mord an ihren Eltern rächen wollen, spielt er die verfeindeten Banden gegeneinander aus. Aber vor den endgültigen Sieg der Guten hat das hochritualisierte chambara-Genre noch die Konstellation des dem Helden in der Kampfkunst ebenbürtigen, herrenlosen Samurai gestellt, der sich aus Not auf der falschen Seite verdingen muss. Tadanobu Asano spielt diesen Ronin, den die Sorge um seine schwindsüchtige Frau antreibt (und tritt damit gewissermaßen in die Fußstapfen Tatsuya Nakadais, der in den großen chambara-Filmen Akira Kurosawas und Masaki Kobayashis regelmäßig die Rolle des Gegners von Toshiro Mifune spielte). Mit ihm wird Zatoichi die entscheidende Konfrontation ausfechten müssen, einen Stellvertreterkampf, der nicht auf Feindseligkeit beruht, sondern ein unausweichliches Kräftemessen ist.
Die rohe, orgiastische Anschaulichkeit der Schwertkämpfe, deren Ertrag sich in machtvollen Blutfontänen erweist, wird sacht gedämpft durch die entsättigten Farben, in welche der Kameramann Katsumi Yanagijima den Film getaucht hat. Ihr Wesen, ihre Dynamik liegt ohnehin in der Beherrschtheit des Kämpfenden. Zwar folgen sie der vertrauten Technik Kitanos, dem abrupten Wechsel von Immobilität und Heftigkeit. Aber die reglose Mimik des Darstellers Kitano ließ zuvor nicht unbedingt auf spirituelle Versunkenheit schließen, nun verrät sie ein Gesammeltsein, das über die Kaltblütigkeit hinausweist. Der Bewegungsrausch bleibt in den Actionszenen befristet, da sie einem strengen Rhythmus von Ruhe, Gewalt und wiedergewonnener Ruhe gehorchen. Den Furor muss der Kämpfer in sich selbst ausklingen lassen, es ist ihm keine überflüssige Geste gestattet. So sind beide Handwerke Zatoichis auf merkwürdige Weise miteinander verbunden: nicht nur, weil auch die Massage Präzision verlangt, sondern durch ein gemeinsames Ziel, das Lösen der Anspannung.
Die Moral des Films ist dann auch eine des Widerhalls der Motive und Bewegungen. Das Leben folgt einem übergeordneten Rhythmus, dem die Feldarbeit der Bauern ebenso gehorcht wie der Tanz, mit dem Dorfbewohner am Ende ihre Befreiung feiern. Kitanos grimmiger Schwertkämpferfilm findet regelmäßig zur Leichtigkeit einer Musikkomödie. Seine dramaturgischen Bewegungen werden vom Ohr mehr noch als vom Auge vorgegeben: die Erzählstränge werden akustisch miteinander verknüpft, Rückblenden ausgelöst durch Geräusche, die Erinnerungen wecken. Kitano treibt zwar manchen Schabernack mit dem Blindsein seines Helden (etwa subjektive Einstellungen aus dessen Sicht), zugleich eröffnet sie ihm aber auch eine Fabel über den trügerisch Anschein und ein Hohelied auf die Kompensationskraft der Sinne.
Das Spiel, der heitere Zeitvertreib sind seit jeher ein unverzichtbarer Teil von Kitanos Universum - man denke nur an die Kinderspiele, mit denen sich die Yakuza in Sonatine am Strand die Wartezeit verkürzen -, in Zatoichi könnten sie ein Bindeglied werden zwischen dem Einzelgänger und der Gemeinschaft. Das Bündnis der Außenseiter wäre offen für den blinden Helden. Aber stärker noch als der ursprüngliche Zatoichi unterhält der von Kitano verkörperte keine tiefen affektiven Beziehungen. Er bleibt ein amüsierter Betrachter der menschlichen Komödie, den es weiter zieht. Beim Freudenfest am Ende fehlt er. Das könnte für uns allerdings ein Grund zur Vorfreude sein: auf sein nächstes Abenteuer.
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