Die Premiere von L´avventura (Die mit der Liebe spielen) 1960 in Cannes war eine Katastrophe. Das Publikum fing bereits während des Vorspanns an, nervös zu lachen. Aber am nächsten Tag konnten die Festivalbesucher einen Anschlag lesen, den die wichtigsten Regisseure und Kritiker unterschrieben hatten. "Gestern abend", erklärten sie, "haben wir den schönsten Film gesehen, der je auf einem Festival lief."
Der Preis der Jury, den Michelangelo Antonionis Film am Ende erhielt, besiegelte, dass das Kino an einem Wendepunkt angekommen war. Mit L´avventura hielt die Moderne Einzug ins Kino. Antonioni machte das Publikum mit der Leere vertraut, konfrontierte es mit dem Verlust von Sinn und Perspektive. Das Bedürfnis des Zuschauers nach Identifikation mit den Figuren wurde nachhaltig düpiert. Bereits nach wenigen Minuten verschwindet die Heldin des Films (wie zur gleichen Zeit in Hitchcocks Psycho), ohne je wieder aufzutauchen und ohne dass ihr Verschwinden erklärt würde. Keiner der langen, raumgreifenden Schwenks wird sie wieder entdecken.
Nach dem weltweiten Erfolg des Films galt Antonioni als ein Visionär der Entfremdung, der Vergeblichkeit der Kommunikation. Wie der ehrgeizlose Architekt in L´avventura, der während des ganzen Films von prachtvollen Bauwerken umgeben ist, sind seine Figuren ohne Ziel, suchen etwas, das ihnen stets entgleitet. Immer wieder hat er Künstler in das Zentrum dieser filmischen Suchbewegungen gestellt - Regisseure in Die Dame ohne Kamelien (1953) und Identifikation einer Frau (1982), einen Fotografen in Blow up (1966). Aber selbst der Protagonist von Beruf: Reporter (1973) muss sich der Erkenntnis beugen, dass sich die Mysterien des Lebens und der Identität nicht aufklären lassen.
Wie kein zweiter Filmemacher hat der 1912 in Ferrara geborene Antonioni die Möglichkeiten des Kinos immer wieder neu überdacht. Er war einer der ersten, die auf Video drehten (Die Mysterien von Oberwald", 1980); noch nachdem ihn ein Schlaganfall 1985 fast vollständig lähmte, experimentierte er in Installationen und Filmen mit innovativen Techniken. Die Moderne faszinierte ihn als Ungleichzeitigkeit, als Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und den Gefühlen, die altmodisch bleiben.
Aus seinen Filmen der frühen sechziger Jahre spricht ein wehmütiges Staunen über die moderne Welt. Das urbane Ambiente wirkt in L´eclisse (Liebe 1962) und Die rote Wüste wie eine von den Menschen unbegriffene Botschaft der Entfremdung. Die Architektur animierte ihn zu beklemmenden Stillleben, denen die Musik und Tondramaturgie eine Aura der Bedrohlichkeit verleiht. Nur jemand, der so empfindsam für Landschaften und Räume war wie Antonioni, konnte die Verlorenheit der Menschen darin mit einer solch melancholischen Präzision filmen. Auch wenn ihre Isolation das letzte Wort behält, lässt der Regisseur es zu, dass die Charaktere eine fast magische Beziehung zu den Requisiten und Räumen eingehen können.
Sein Blick wirkte damals provozierend kühl und distanziert, er schien nurmehr Spuren der Gefühle ausmachen zu können. Dabei besitzen Antonionis Kadragen eine erstaunliche Großzügigkeit, zeigen sich offen für Ausblicke und Fluchten. Die Figuren werden zwar in das Bild komponiert (und nicht das Bild um sie herum). Ihr Raum ist prekär, oft sind sie nur im Anschnitt zu sehen oder verdeckt durch Requisiten und Dekors. Dennoch hat man nie den Eindruck, ihr Regisseur würde sie nur als Objekte betrachten. Subjekte sind sie vor allem dank des Temperaments von Antonionis Darstellerinnen: Lucia Bosé in den frühen Filmen der fünfziger Jahre, später Lea Massari und vor allem Monica Vitti. Beim heutigen Wiedersehen verblüfft, wie ausgelassen und kapriziös sie mitunter agieren. Diese unverhoffte Lebendigkeit ist vorbehaltlich, wird von Antonioni aber nie als frivol oder oberflächlich desavouiert. Das Spielerische, Sprunghafte seiner Frauenfiguren markiert ein Zögern, ein Ausweichen vor der Hingabe: Die Liebe scheitert an der Flüchtigkeit, am Terror der Zerstreuung.
Den Prozess ihres Verschwindens erzählt Antonioni als Chronik des tragisch ausgeschlagenen Erlebens. Paare, die gerade zusammengekommen sind, die gerade entstehen, machen in seinen Filmen die Erfahrung der Vereinsamung. Gleich zu Beginn verlieren die Liebenden den Antrieb. Das Rendezvous am Ende von L´eclisse findet nicht statt, nur die Kamera trifft am verabredeten Ort ein. Das Gewicht dieses Verlustes ist bei Antonioni ganz in der Konkretion, der Immanenz aufgehoben, in einer berückenden Sinnlichkeit der Gesten, die daran gemahnt, welche Vergeudung das Unglück ist. Wenn Alain Delon in L´eclisse zuvor verstohlen in das von duftigem, weichem Sonnenlicht umspielte Dekolleté Monica Vittis schaut, fällt es schwer zu glauben, dass die Liebe unmöglich sein soll. "Manche Leute meinen, ich mache Filme mit dem Verstand, ein paar andere finden, ich mache sie mit dem Herzen", hat der am vergangenen Montag im Alter von 94 Jahren verstorbene Regisseur einmal gesagt. "Aber ich glaube, ich mache sie aus dem Bauch heraus."
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