Wir waren nahe dran

IM KINO "Thirteen days" von Roger Donaldson stellt die 13 Tage der Kuba-Krise nach und zeigt Kennedy als strahlenden Zauderer

Welcher nationalen Mentalität entsprach das Führen des Kalten Kriegs wohl eher: der russischen oder der amerikanischen? Die legendäre Bilanz, die US-Außenminister Dean Rusk nach dem Ende der Kuba-Krise zog, könnte uns auf eine Spur bringen: "We were eyeball to eyeball, and I think the other fellow just blinked." ("Wir standen uns Auge in Auge gegenüber und ich glaube, der Andere blinzelte mit den Augen.") Rusk reduzierte den Konflikt damals für das US-Fernsehpublikum auf einen Showdown, bei dem es darum ging, die Nerven zu behalten und den Anschein von Furchtlosigkeit zu wahren. Aber jedem Fernsehzuschauer war aus unzähligen Western vertraut, dass sich der Tod nicht lange im Wartestand halten lässt und die Anspannung sich irgendwann entladen muss. Und dass der Gute fast immer gewinnt. Dieser Showdown wäre allerdings nicht mit Sechsschüssern ausgefochten worden, sondern mit Waffen, deren Zerstörungskraft sich zwar statistisch abschätzen, aber menschlich nicht ermessen ließ.

Das Ende der Kuba-Krise ist eine eigentlich unamerikanische Erfolgsgeschichte, und ihre Verfilmung kehrt die übliche Dramaturgie Hollywoods um: Hier richtet sich die große Hoffnung darauf, dass nichts passiert. Das US-Publikum hat zwar gemeinhin wenig Geduld mit Figuren, die das Kämpfen vermeiden wollen und zieht allemal tatkräftige und eindeutige Sieger vor. Und Atomexplosionen entfalten schließlich auf der Leinwand eine tückische Schönheit (der Roger Donaldson in der Vorspannsequenz beinah zu erliegen droht). Aber in diesem Fall ist es auch für die Nachgeborenen konsensfähig, dass es besser war, dass seinerzeit eine von beiden Parteien geblinzelt hat.

Thirteen Days bemüht sich mit großem Ernst, nicht nur bei der Besetzung der tragenden Rollen, um den Anschein einer authentischen Rekonstruktion jener 13 Tage im Oktober 1962, in denen die Welt nach der Entdeckung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba am Rande einer thermonuklearen Katastrophe stand. Auch wenn das Wissen um den Fortgang der Geschichte eigentlich gegen das Spannungspotenzial des Thrillers arbeiten müsste, lässt er in seinen besten Momenten eine Spur von der Beklemmung nachvollziehen, die damals herrschte. Dies verdankt sich nicht zuletzt dem geschickten Kunstgriff des Drehbuchautors David Self, die sowjetische Perspektive vollständig auszuklammern. Deren Strategie bleibt bis zum Ende ein banges Fragezeichen. (Wer weiß im übrigen, was dem Publikum da an holzschnittartiger Figurenzeichnung erspart geblieben ist.) Der Film wählt vielmehr die Innenperspektive des Weißen Hauses. Die Bedeutung der Rolle, die John F. Kennedys Berater Kenny O'Donnell während der Ereignisse spielte, ist historisch zwar nicht zweifellos verbürgt (während sich zugleich seine Prominenz im Film auch nicht völlig damit erklärt, dass sein Sohn ein Investor der Produktionsfirma des Films ist). Dem Film dient er als ein Vermittler, gleichermaßen des Zuschauers wie der Akteure. Er besitzt genug eigene Entscheidungsgewalt, um das Charisma eines amerikanischen Helden zu gewinnen (immerhin wird er von Kevin Costner verkörpert) und verschafft zugleich einen intimen Zugang zu jener Administration, welche die Medien damals ehrfürchtig mit dem Mythos eines neuen Camelot umgaben. Er begleitet die Kennedy-Brüder in respektvoller Nähe, Figur und Darsteller wissen sich im rechten Moment zurückzunehmen, um einen vertraulichen, bewundernden Blick auf den Menschen JFK in seiner schwersten Krisensituation zu gestatten.

Die Waffen, die in diesem Film eingesetzt werden, sind Worte. Die Rolle der Gegner hat der Film den Architekten des Kalten Krieges in den eigenen Reihen zugedacht: den Falken unter den Stabschefs, die den Krieg für zu wichtig halten, um ihn den Politikern zu überlassen und immer noch mit obsoleten Kategorien von Nationaler Sicherheit argumentieren. Deren tiefer Argwohn gegenüber dem appeasement, der Entspannungspolitik, lässt den Krieg über weite Strecken tatsächlich unausweichlich erscheinen. ("You'll never believe how close we came!" lautete der Werbeslogan in den USA.) Der Pazifismus eines fortschrittlichen Demokraten wie Adlai Stevenson wirkt eingangs wie ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko (obgleich der Film ihm später einen schönen, würdevollen Triumph bei der Versammlung der Vereinten Nationen beschert, als er den sowjetischen Gesandten zur Rede stellt).

Vergleichsweise selten gibt Donaldson dem Drang nach, den Mangel an äußerer Handlung zu beheben. Wenn der Film zur Blockade oder den Erkundungsflügen über Kuba schneidet, dann tut er es nicht nur, um die Suspense-Schraube weiter anzuziehen, sondern als Reflex, als Beglaubigung dessen, was in den Krisensitzungen verhandelt wird. Das Gefühl der Beklemmung entsteht aus der Konzentration auf verbale Konfrontationen, bei denen jedes Wort mit unerträglichem Gewicht belastet ist und ungekannte Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Die Auseinandersetzung mit einem unsichtbaren und schwer berechenbaren Gegner schildert der Film als Krise der Kommunikation: eine neue Sprache, neue Regeln müssen für diesen Konflikt gefunden werden. Es braucht Fantasie, um den Zwischenweg zwischen den unvermeidlichen Alternativen zu entdecken. Am Ende setzt der Film nicht nur Napoleons Diktum, Politik sei Fatalität, sondern auch die uramerikanische Skepsis gegenüber Zauderern außer Kraft. Die Entschlusskraft Kennedys speist sich aus einer Besonnenheit, die es ihm erlaubt, trotz aller Angst rational zu agieren. Der Film feiert sein heroisches Zögern. Aber immerhin war er ja auch nicht derjenige, der geblinzelt hat.

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden