Elefanten-Runde

FRANKREICH Jospins Verbeugung vor der Spektakel-Demokratie

Die Franzosen verklatschen ihre Revolutionen", schrieb Georg Friedrich Rebmann schon 1796 aus Paris. Der deutsche Schriftsteller vermisste die Ernsthaftigkeit der Bastille-Stürmer: Tagsüber die Weltgeschichte umkrempeln und abends in der Loge am Opernglas drehen. Frankreichs Sozialisten wollen heute längst keine Revolutionen mehr lostreten. Der Geschmack am Spektakel hat sich dafür erhalten. Weil der Premier seit Wochen merkwürdig überfordert scheint und durch allzu kesse Bemerkungen seiner Minister zusätzlich an Popularität verliert, hat es in Paris eine Revirement nach allen Regeln der Kunst gesetzt. Jospin stellte eine Art Aufgebot der "linken Konzentration" zusammen, das wohl politische Schwergewichte bündelt, aber so links nicht mehr ist. Er versuchte, die Basis seiner Koalition zu vergrößern und nahm je einen kommunistischen, einen grünen und einen sozialistischen Politiker des linken Flügels neu in die Regierung. So viel zum innovativen Teil der Unternehmung. Gleichzeitig fuhr der Premier auch noch Geisterbahn und brachte drei Lebendtote der Ära Mitterrand von unterwegs mit: Laurent Fabius, einst Premierminister und Parlamentspräsident; Jack Lang, Mitterrands legendärer Kulturminister, der zusammen mit Jean-Paul Belmondo und Frankreichs Ewig-Rocker Johnnie Halliday die schwere Last des Alterns teilt; Michel Sapin schließlich, den Wirtschafts- und Finanzminister aus der Endzeit des Magiers im Elysée, als die Sozialisten endgültig ihr Parteiprogramm über Bord geworfen hatten und im liberal-konservativen Mainstream der frühen Neunziger mitschwammen - bis sie bei den Parlamentswahlen von 1993 grandios untergingen. Verglichen mit den Altlasten der "Kaviar-Linken" nimmt sich die neue Kulturministerin Cathérine Tasca, die auch schon einmal Mitglied einer Regierung war, wie eine moralische Erneuerung aus.

"Barock" nannte einer der Oppositionsführer, der Liberale Francois Bayrou, das Kabinett "Jospin 2" angesichts des Muffs von 20 Jahren. So lange liegt nun bald der Sieg der Linken von 1981 zurück, als Mitterrand in den Elysée einzog und Frankreich den ersten Machtwechsel der V. Republik erlebte. Auch Jospin saß seinerzeit mit am Kabinettstisch, doch anders als Fabius, Lang Co. brach er mit dem Zynismus, der bald an Mitterrands Hofstaat üblich war. Als dann der gleiche Jospin 1995 selbst für das höchste Staatsamt kandidierte, war ihm Mitterrand so hilfreich wie heute Helmut Kohl seinen lieben Parteifreunden.

Das Ziel der Regierungsumbildung nach 1000 Tagen im Amt ist klar. Jospin will die nächsten Wahlkämpfe vorbereiten - die Regionalwahl in einem Jahr, die Parlaments- und Präsidentschaftswahl 2002, bei der er bekanntlich selbst antreten will. Insofern gerät dieses Ministerballett auch zum Lehrstück für eine TV- und Demoskopen-Demokratie im allgemeinen und den Pariser Politikbetrieb im besonderen. In Frankreich ist es möglich, durch Druck in der Öffentlichkeit ein Kabinett innerhalb weniger Monate zu zermürben oder einzelne Minister herauszuschießen. Es genügt eben nicht, dass ein Ressortchef nur als kompetent gilt wie der scheidende Finanzminister Sautter. Gefragt sind Talk-Show-Erfahrung und ausgewählt gute Kleidung, mitunter Betreuer-Qualitäten als Minister für Frankreichs neurotischen Bildungsbereich. - Lionel Jospin wollte einmal mehr als eine Regierung der Elefanten.

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