Pille für alle

Geschlechter Für Frauen gibt es zig Verhütungsmittel, für Männer Kondome. Zwei Studentinnen wollen das ändern
Ausgabe 08/2021

Die Zeit ist reif für gleichberechtigten Sex, finden Jana Pfenning und Rita Maglio. Die beiden Berliner Studentinnen haben eine bundesweite Kampagne gestartet, mit der sie mehr Verhütungsoptionen für Männer und gleichberechtigte Aufklärung fordern. Mit ihrer Initiative „Better Birth Control“ konnten sie bereits über 80.000 Unterschriften sammeln und prominente Unterstützung aus der Politik gewinnen: Katarina Barley, Kevin Kühnert und Lars Klingbeil werben für das Projekt.

2021 feiert die Pille hierzulande ihren 60. Jahrestag. Dass Verhütung oft noch immer Frauensache ist, macht Pfenning und Maglio wütend. Aktuell bietet sich für Männer lediglich das Kondom als reversible Verhütungsmethode an: „Wir sagen nicht, dass das Kondom nicht genutzt werden sollte, es schützt neben dem Lecktuch nämlich als einziges Verhütungsmittel vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Aber wir wollen Männern die Möglichkeit zu weiteren Verhütungsmitteln geben“, erklärt die 24-jährige Maglio. Sie und Pfenning haben sich Anfang 2020 im Europaparlament kennengelernt. Pfenning, die inzwischen Internationale Beziehungen im Master studiert, arbeitete als Referentin für Katarina Barley, Maglio absolvierte ein Praktikum. Nach Feierabend saßen die beiden Frauen mit Leuten aus verschiedenen Parteien in einer Bar zusammen und kamen zufällig auf das Thema Verhütung zu sprechen: „Wir haben gemerkt, dass die Verantwortung überwiegend bei uns Frauen liegt. Parteiübergreifend waren alle unzufrieden damit“, erinnert sich Pfenning.

Furcht vor geringer Nachfrage

Im September kommt ihr die Idee zu dem Projekt. Sie kontaktiert Maglio, sie brainstormen, rekrutieren Freund*innen für die Kampagne, finden über Social Media Unterstützung für Redaktion und Website und planen das Vorgehen. Im Januar gehen sie online und sind überwältigt von den Wellen, die „Better Birth Control“ schlägt: „Wir hatten eigentlich mehr Zeit eingeplant und arbeiten gerade enorm viel“, so Maglio. Aber „die Menge an Unterschriften macht deutlich, dass die Gesellschaft auf eine breitere Palette an Verhütungsmitteln wartet“, stellt Pfenning klar. Dass diese Palette sich fast nur an Frauen richtet, habe auch ökonomische Gründe, erklären die beiden: „Die Pharmaindustrie nimmt in der ganzen Debatte eine zentrale Rolle ein. Sie hat theoretisch genug Geld und Kapazitäten, um die Forschung voranzubringen, aber sie tut das aus finanziellen Gründen oft nicht“, meint Maglio. Das prominenteste Beispiel ist wohl der Pharmakonzern Schering, der an der Pille für den Mann forschte. Als Bayer ihn 2006 aufkaufte, wurde die Studie gestoppt: „Nicht nur wegen der Nebenwirkungen, sondern wohl auch, weil sie davon ausgegangen sind, die Nachfrage würde zu gering sein und sie könnten mit dem Produkt kein Geld verdienen“, sagt Maglio.

Auch die Forschung, die die WHO seit 2009 zur Entwicklung einer Hormonspritze für Männer betreibt, bleibt erfolglos. Bei den Probanden traten Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, Akne und Libidoverlust auf – all diese Dinge stehen auf dem Beipackzettel der gewöhnlichen Pille. Die Studie zur Hormonspritze wurde 2011 abgebrochen. Seither hat sich wenig verändert: „Es wird in Deutschland momentan einfach nicht zu männlicher Verhütung geforscht. Auf europäischer Ebene gibt es nicht mal Fördergelder“, kritisiert Jana Pfenning.

Außerhalb Europas scheint die Forschung jedoch weiter zu sein. So wird in den USA momentan ein Hormongel entwickelt, das Männer sich nur auf die Schulter schmieren müssen. Die Gestagene und Östrogene, die zu einem festen Zeitpunkt, wie bei der Pille, aufgetragen werden müssen, zeigen bisher Wirkung. Genauso wirksam scheint das Samenleiterventil zu sein. In einer Operation bekommen Männer dabei ein Ventil in den Samenleiter eingesetzt, das über einen Schalter gesteuert werden kann. Möchte der Mann verhüten, wird der Schalter so eingestellt, dass die Spermien seitlich geleitet und vom Körper abgebaut anstatt in einer Ejakulation herausgetragen werden. Ist Nachwuchs geplant, kann der Schalter einfach umgestellt werden. Eine Sicherung, damit das nicht aus Versehen geschieht, ist ebenfalls eingebaut. Laut Aussage des Erfinders Clemens Bimek ist diese Verhütungsmethode sicher und wirksam, er hat sich das Ventil selbst einsetzen lassen. Jedoch fehlen Bimek die finanziellen Mittel für Studien und Investoren, um sein Produkt auf den Markt zu bringen.

Pillenmüde und genervt

Dabei bestätigen Studien, dass Männer durchaus dazu bereit sind, bei der Verhütung mehr Verantwortung zu übernehmen. 61 Prozent von 9.000 befragten Männern gaben im Jahr 2005 an, sich aktiver an der Verhütung beteiligen zu wollen. „Seitdem hat sich viel getan, die Gesellschaft hat in den letzten Jahren so große und wichtige Schritte gemacht, jetzt müssen wir die Verhütung angehen“, sagt Maglio, die in Potsdam Politikwissenschaft studiert. Sie selbst hat fünf Jahre lang die Pille genommen. Doch nicht nur bei ihr, sondern bei vielen Frauen hat sich eine sogenannte Pillenmüdigkeit eingestellt: „Viele Frauen, die die Pille nehmen, haben mit physischen und psychischen Nebenwirkungen zu kämpfen. Sie sind genervt von der Zeit und dem Geld, das sie in Verhütung investieren“, resümiert Pfenning. Ihre Beobachtung bestätigt die Techniker Krankenkasse, die jüngst herausfand, dass Frauen unter 20 inzwischen seltener die Pille nehmen als noch vor 20 Jahren.

Damit es nicht nur mehr Optionen für Männer, sondern auch mehr nebenwirkungsarme Verhütungsmittel für Frauen gibt, wollen Pfenning und Maglio mit Entscheidungsträger*innen ins Gespräch kommen: „Zivilgesellschaft, Pharmaindustrie und Politik müssen miteinander reden. Wir wollen alle an einen Tisch bringen“, erklärt Maglio. Dabei sei die Petition nur der erste Schritt: „Ganz konkrete Forderungen im Hinblick auf ein bestimmtes Forschungsbudget haben wir erst mal nicht, damit wir offen in Gespräche gehen können. Unsere Petition ist ideell, um zu zeigen, dass Leute aller Geschlechter Interesse an dem Thema haben und dass es wichtig ist, über Verhütung zu diskutieren“, ergänzt Pfenning. Das nächste Ziel seien Gespräche mit dem Familien- und Gesundheitsministerium. Angesichts prominenter Unterstützung, besonders aus den Reihen von Grünen und SPD, dürfte der Weg dahin nicht mehr weit sein. Doch auch diese Parteien haben sich mit dem Thema in den letzten Jahren nicht beschäftigt: „Keine Partei ist dieses Thema bisher angegangen. Verhütung hatte einfach keine Lobby, die für Gleichberechtigung eingetreten ist. Wir sind die Ersten.“ Noch dazu sei die fehlende Diversität im Bundestag, auch mit Blick auf die Altersstruktur, problematisch: „Verhütung betrifft vor allem junge Menschen unter 40. Im Bundestag hingegen sind die Abgeordneten im Durchschnitt 50 Jahre alt“, sagt Pfennnig.

Trotzdem wacht die Öffentlichkeit langsam auf, meinen die Gründerinnen. Wichtig sei ihnen bei der Kampagne, nicht ein bestimmtes Verhütungsmittel zu verteufeln, sondern eine Auswahl zu ermöglichen. „Die ideale Welt in zehn Jahren sieht so aus, dass es viele Verhütungsmittel mit wenig Nebenwirkungen gibt und die Krankenkassen die Kosten zu 100 Prozent übernehmen“, wünscht sich Pfenning. Bei „Better Birth Control“ ginge es darum, diese Art der Verhütung allen, auch nichtbinären und trans Menschen, zu ermöglichen. „Natürlich sind unsere Ziele sehr sportlich“, findet Rita Maglio, „aber wenn der Wille da ist und genügend Mittel zusammenkommen, können wir diese Ziele in naher Zukunft erreichen.“

Greta Linde ist freie Journalistin und schreibt unter anderem für Zeit online

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden