Venedig, Werner Puczewski

REISE Dem verlorengegangenen gruppenreisenden Werner Puczewski eilte ich in Venedig zu Hilfe, als er in einem Café zunächst mit dem Kopf auf die ...

Dem verlorengegangenen gruppenreisenden Werner Puczewski eilte ich in Venedig zu Hilfe, als er in einem Café zunächst mit dem Kopf auf die Tischplatte sank, um im nächsten Moment seitlich vom Stuhl zu kippen, eingeschlafen, jedoch in keiner Weise betrunken, zumal ein Rausch in Venedig nicht unbedingt preiswert ist und Werner Puczewski als Pensionär der unteren Postlaufbahn über einiges weniger verfügt, als allgemein von Nichtbeamten angenommen.

Werner, an die achtzig, aus einer kämpferischen Ehe als Überlebender hervorgegangen, sah mich nach unsanftem Erwachen verwirrt an und erklärte mir im Laufe der nächsten halben Stunde, er schlafe seit Jahren nur noch sitzend in der Öffentlichkeit, während er sein nächtliches Alleinsein hellwach bestreite, um nicht vom Tod überrascht zu werden, was zwar für die meisten ein erstrebenswertes Ende sei, seiner Natur jedoch widerspreche, da er allen Eventualitäten seines Lebens immer vorausplanend ins Auge gesehen habe und mit dem Tod nicht anders verfahren wolle.

Als er sich in diesem Moment aschfahl erbleichend ans Herz griff, schlich sich ein unverkennbarer Triumph ins brechende Auge des langsam nach vorn Sackenden, dessen Überführung nach Wuppertal in die Doppelgruft die Versicherung des Reiseunternehmens zu zahlen hätte. Der Anführer durchhetzte bereits auf der Suche nach dem verlorenen Schaf den ewigen Trampelpfad Venezias zwischen Bahnhof und Marcusplatz, von dem abzuweichen niemand wagt, weil er fürchtet, sich zu verlaufen, was den Verlust der Gruppe und damit das Todesurteil bedeuten könnte.

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