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Dokumentarfilm Charly Hübner porträtiert die linke Band Feine Sahne Fischfilet
Ausgabe 15/2018

Feine Sahne Fischfilet sind keine einfache Band. Das hat nichts mit feinsinnigen Texten oder einer intelligenten Performance zu tun. Denn die Musik klingt einfach wie bei einer Schülerband, die sich mehr und mehr in Richtung Tote Hosen entwickelt. Der Sound ist also eine ziemliche Geschmackssache, was wiederum schade ist, denn eigentlich wirken die Mitglieder menschlich sympathisch, politisch in Ordnung und sind außerdem noch aus Vorpommern. Wenn man selbst von dort kommt, hat man nicht so viel Anlass für Lokalpatriotismus.

Wildes Herz, der erste lange Dokumentarfilm von Charly Hübner, handelt von Band und Bundesland. Hübner ist selbst im südlichen Mecklenburg aufgewachsen. Er drehte vor einigen Jahren für das Kurzfilm-Doku-Projekt 16 x Deutschland die Episode über Mecklenburg-Vorpommern und traf dabei auf Jan Gorkow, Bühnenname Monchi, den Sänger von Feine Sahne Fischfilet. Für Wildes Herz hat er die Band, speziell Gorkow, über mehrere Jahre begleitet, hat Konzerte besucht, Freunde und Eltern interviewt und auch Jarmen angeguckt, das Kaff, in dem Gorkow zwischen Discountern und Peene aufgewachsen ist.

Aufwachsen in Vorpommern

Aufwachsen ist in Vorpommern so eine Sache. Einmal sind es die üblichen Umstände, wie anderswo in der Provinz: immer dieselben Gesichter, der nächste Ort mit Kneipe, Club oder Kino 30 Kilometer entfernt, der Linienbus kommt drei Mal am Tag, nach 18 Uhr und am Wochenende nie. Dazu dann aber auch noch: Rechtsextremismus, nicht erst seit ein paar Jahren, sondern fast schon als Tradition. Das Nebeneinander zwischen Normalos und Rechtsextremen ist Alltag, bei so wenig Einwohnern kennt man sich.

Die Mehrheit im Nordosten ist wahrscheinlich nicht mal rechts, sondern einfach ziemlich gleichgültig, was das angeht. Gorkow erzählt, wie unproblematisch es sich ganz, ganz früher anfühlte, rechte Musik zu hören und nebenbei zu kiffen. Gleichzeitig kann aber jeder Opfer rechter Gewalt werden, wenn sie oder er zur falschen Zeit am falschen Ort ist, das falsche Aussehen hat, sich mit den falschen Leuten anlegt.

Einer der ersten Schritte, die Feine Sahne Fischfilet zu der Band machten, die sie heute ist, ist daher die Entscheidung, sich von solchen Verhältnissen zu distanzieren. Heißt, keine rechten Konzertbesucher mehr zu dulden, die es ebenfalls ganz, ganz früher gab. Denn auch Rechtsextreme mögen Lieder übers Saufen, und darum geht es bei Feine Sahne Fischfilet auch – ganz, ganz früher noch mehr als heute. Wildes Herz handelt von klaren Statements und Entscheidungen. Und vom Nicht-Weichen.

Ein Großteil des Films spielt während des Landtagswahlkampfs 2016: „Der fette Monchi will jetzt mit seiner Kapelle übers Land ziehen und die Leute bekehren“, so der O-Ton in den Hater-Foren. „Noch nicht komplett im Arsch“ heißt die Kampagne gegen AfD, NPD und Rassismus, mit Konzerten, Lesungen und Fußballspielen, in Orten wie Gessin, Demmin und natürlich Jarmen.

Die Tour hat eine doppelte Bedeutung: als Treffpunkt für Menschen aus der Region, die eben nicht gleichgültig oder rechtsextrem sind, als Angebot für eine alternative Jugendkultur. Dazu noch als Signal: Vorpommern ist keine nationalbefreite Zone oder dergleichen. Dort gibt es Leute, die sich gegen rechts engagieren, in der Regel unter weit widrigeren Bedingungen als in einer westdeutschen Großstadt. Trotzdem wird in Wildes Herz realistisch geblieben: „Die Scheiß-Drecks-Nazis sind auch morgen und übermorgen wieder da“, ruft Gorkow in Anklam in die Menge, „aber heute – heute gehört das hier uns.“

Für die Musiker und ihr Umfeld ist das Engagement nicht ungefährlich. Immer wieder gab und gibt es offene Drohungen, Anschläge auf Veranstaltungsorte, Probenräume und Fahrzeuge. Trotzdem machen Feine Sahne Fischfilet weiter, aus ziemlich pragmatischen Gründen. Für Gorkow bedeutet Vorpommern Heimat, der Ort, an dem er alt werden möchte – und das in einem für ihn angenehmen Umfeld.

Sein Heimatbegriff hat nichts mit rechten Vorstellungen zu tun, bezieht sich nicht auf eine Nation und lebt auch nicht von idealisierten gegenwärtigen oder vergangenen Zuständen. Heimat ist hier subjektiv, einfach die Gegend an der Ostsee, die rau sein kann und in der es etliche Probleme gibt, in der es sich aber trotzdem zu leben lohnt. Für eine Region, aus der viele junge Menschen lieber wegziehen, ist das eine beherzte Einstellung.

Wut auf den Staat

Wildes Herz ist ein Film über Feine Sahne Fischfilet und ihr Schaffen, ein bisschen Musikerbiografie, ein bisschen Gesellschaftsbild. Auch kritischen Aspekten, wie Gorkows Vergangenheit als Fußball-Ultra oder der Sache mit dem Verfassungsschutz, weicht Wildes Herz nicht aus. Über mehrere Jahre wurde die Band im Bericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erwähnt und hat noch heute in einigen Kreisen den Ruf als staatsfeindlich weg, weil sie von Gewalt gegen Polizisten singt – geboren aus der Hilflosigkeit eigener Erfahrung.

Und weil die Band klar sagt, dass man sich Pazifismus erst mal leisten können muss. Im Bericht von 2013 wird argumentiert, dass sich Feine Sahne Fischfilet kaum auf künstlerische Freiheit berufen können – denn sie selbst sagen über sich, dass sie ihre Konzerte nicht als Kunst, sondern als Werkzeug sehen, um ihre Wut auf Rassismus, Sexismus, Homophobie und den Staat zu artikulieren.

Was sie dadurch von anderen Musikern unterscheidet, denen es ebenfalls nicht ums reine Entertainment geht, sei dahingestellt. Genauso, ob Wut auf den Staat einen zum Feind der Verfassung macht. Ab dem Bericht für 2015 wird die Band nicht mehr erwähnt – obwohl sich die Haltung vermutlich wenig geändert hat. Oder glücklicherweise, wie Wildes Herz bezeugt.

Info

Wildes Herz Charly Hübner Deutschland 2017, 90 Minuten

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