Dem Jahr 1959 haftet der Ruf eines bemerkenswerten Literaturjahres an: Günter Grass brachte seine Blechtrommel heraus, von Heinrich Böll erschien die Schuldsaga Billard um halb zehn, und der bis dahin unbekannte Uwe Johnson veröffentlichte 25-jährig seinen ersten Roman Mutmaßungen über Jakob. Johnsons Entdeckung galt als eine der ersten Großtaten des neuen Suhrkamp-Leiters Siegfried Unseld, der den Verlag erst kurz zuvor übernommen hatte.
Im selben Jahr erschien die Bibliothek Suhrkamp in neuer, nüchterner Ausstattung: Die Krakelschrift und die matten Farben der Nachkriegsjahre wichen der schlichten Schriftart Baskerville, dem linksbündig gesetzten Namen des Autors und dem zweckmäßig darunter genannten Titel. Ein farbiges Band zog
nannten Titel. Ein farbiges Band zog sich auf glänzend weißem Grund waagerecht um den Buchumschlag. Verblüffend einfach, von großer Klarheit und an den Prinzipien der Bauhaus-Schule orientiert war das Design. Es verkörperte den Anspruch, eine „Bibliothek der Moderne“ zu präsentieren, perfekt.Entworfen hatte den neuen, sachlichen Auftritt Willy Fleckhaus, ein junger Gestalter, der bis dahin vor allem mit dem Gewerkschaftsmagazin Aufwärts in Erscheinung getreten war. Der biederen DGB-Verbandspostille hatte er ein neues Format und ein großzügigeres Erscheinungsbild verpasst und das Spartenblättchen handstreichartig zu einer weltläufigen Kulturzeitschrift umfunktioniert, die Bildessays und Reportagen druckte, über Mode, moderne Kunst und Neues Bauen berichtete, mit Hemingway und Grosz, Le Corbusier und Cartier-Bresson aufwartete.Es war der Auftakt zu einem überfälligen Aufbruch aus dem Mief der Adenauer-Jahre, ein zunächst vorläufiger Befreiungsschlag, der die jugendliche Rebellion gegen das nationalsozialistische Erbe der Eltern medial einleitete.Lange erinnerte sich kaum jemand an den 1925 im Rheinland geborenen Grafikdesigner Fleckhaus, der selten ins Rampenlicht trat, im Hintergrund jedoch neue Horizonte öffnete. Zum ersten Mal würdigt ihn nun eine Ausstellung: Design, Revolte, Regenbogen im Museum für Angewandte Kunst in Köln dokumentiert Fleckhaus’ Schaffen und erzählt dabei gleichzeitig eine erkenntnisreiche und auch äußerst unterhaltsame Kulturgeschichte der jungen Bundesrepublik.Lebenslänglich CDUSiegfried Unseld und Willy Fleckhaus fuhren damals also in Unselds VW Käfer von Stuttgart nach Marbach. So erzählte es Unseld später in einer Würdigung von Fleckhaus’ Arbeit. Und Fleckhaus sagte, man könne nicht Brecht, Adorno oder Benjamin, die den Geist jener Zeit ausdrückten, in Büchern publizieren, deren Umschläge diesem Geist nicht entsprächen. Vernünftiger müssten die Bücher aussehen, moderner eben. Es war die inhaltliche Argumentation, die Unseld überzeugte: Die Oberfläche, so verführerisch Fleckhaus sie gestaltete, war nur ein Vehikel, um Inhalte zu transportieren. Gehalt und Gestaltung flossen stimmig ineinander. Unseld attestierte Fleckhaus, dass er es auf geradezu magische Art hinbekam, den komplexen Inhalt der Bücher zu transportieren. Sie verkauften sich gut. Der markante Stil der Bibliothek Suhrkamp ist bis heute unverändert geblieben und scheint dabei kein bisschen in die Jahre gekommen zu sein.Das blieb kein Einzelfall: 1971 entwarf Willy Fleckhaus die suhrkamp taschenbücher, in denen Peter Handke, Max Frisch oder Peter Weiss literarisch glänzten, 1973 erfand er den dunkelblauen Mantel für die suhrkamp taschenbücher wissenschaft, in denen den deutschen Studierenden Foucault und Derrida erschienen, und er gab der Frankfurter Schule in der edition suhrkamp ihr Zuhause – jener 1963 als farbige Antithese zum edlen Weiß komponierten Regenbogenreihe, die dann der Studentenbewegung als bibliophiles Erkennungszeichen diente.Placeholder gallery-1Fleckhaus, so sagt es der Kurator der Ausstellung, Hans-Michael Koetzle, habe der Revolte ein Gesicht gegeben. Er war Autodidakt, besaß weder Schulabschluss noch Studium, umso überraschender scheint es, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich den Größen internationaler Geistesgeschichte anverwandelte. Vielleicht lag aber auch hier das Geheimnis seiner Unbeschwertheit und seiner Respektlosigkeit gegenüber überlieferten Geschmacks- und Denkmustern und einer Publizistik, die inhaltlich allzu oft von Landsergeschichten oder Heimatkitsch, gestalterisch von einem textorientierten Gedränge mit Schmuckornamenten und personell von den übrig gebliebenen Kadern der nationalsozialistischen Presselandschaft geprägt war.Fleckhaus kam aus kleinbürgerlich-katholischen Verhältnissen. Früh organisierte er sich in der kirchlichen Nachwuchsarbeit und entwickelte eine dezidiert christliche Haltung. Als er mit 17 zur Wehrmacht eingezogen wurde, raubte ihm der Krieg einen entscheidenden Teil seiner Jugend. Deren verlorenem Glück schien er lebenslang nachzuspüren. Nach dem Krieg begann er eine Laufbahn als Journalist, bevor ihm klar wurde, dass er lieber mit Bildern argumentieren wollte als mit Sprache. Zeituntypisch teilte er nicht die etwa von Otl Aicher vertretene Skepsis gegenüber dem Bild als Mittel der Verführung und Manipulation, sondern sah die visuelle Kultur als Motor der Aufklärung. Er orientierte sich früh international und legte eine in ihrer Zusammensetzung mitunter rätselhafte Freigeistigkeit an den Tag. Fleckhaus blieb zeitlebens gläubiger Katholik und auch überzeugter CDU-Wähler und trat emphatisch gegen jede Art moralischer und politischer Engstirnigkeit an. Er provozierte gern und huldigte einer Jugendkultur, die mit Musik, Mode und Glamour zum visionären Kosmos eines neuen Zeitalters verschmolz.1959 gründete Willy Fleckhaus gemeinsam mit Adolf Theobald die Zeitschrift twen, deren kreativer Kopf er wurde und die bis heute wohl eine große, singuläre Ausnahme in der bundesdeutschen Zeitschriftenlandschaft darstellen dürfte. Hier inszenierte er gesellschaftliche Tabubrüche in großem Stil und fand dafür eine vollkommen neue, bildgewaltige Sprache, die großformatige Fotostrecken in den Mittelpunkt stellte, plakativ, suggestiv und dramatisch komponiert. Es ging um Jazz und Rock ’n’ Roll, um John Coltrane, die Beatles und die Rolling Stones, um die Nouvelle Vague und um Romy Schneider, um freie Liebe, Abtreibung und Homosexualität. Frauen inszenierten sich selbstbewusst und unabhängig, rauchten, zeigten nackte Haut, schwangere Bäuche und redeten über Sex. Es gab Texte von Norman Mailer, William S. Burroughs und Truman Capote zu lesen und doppelseitige Bilder von Starfotografen wie Irving Penn oder Bruce Davidson zu bestaunen. Mehr als einmal landete twen auf dem Index für jugendgefährdende Schriften.Fleckhaus bediente sich frei an transatlantischen Vorbildern und ließ sich unverblümt von Zeitschriften wie Harper’s Bazaar und der revolutionären Ästhetik ihres Designers Alexei Brodowitsch inspirieren, während er sich gleichzeitig an grafischen Regeln des Schweizers Max Bill orientierte, die dem Design seine Struktur, seine Logik und sein Kalkül gaben. Die Ausstellung zeigt Fotoabzüge und die Zeitschriftenstrecken, die daraus wurden. Mit dem FAZ-Magazin fand der gestalterische Visionär, nun ganz offiziell zum Art Director geadelt, ab 1980 erneut internationale Anerkennung.Fleckhaus starb 1983 mit 57 Jahren an einem Herzinfarkt, ohne ein Archiv zu hinterlassen. Kurator Koetzle trug das Material für die Ausstellung in 20 Jahre dauernder Forschungsarbeit zusammen. Weder die populäre Zeitschriftenlandschaft noch die deutsche Alltagsrealität haben sich die progressiven Ideen von Willy Fleckhaus einverleibt oder zu ihrem Standard erhoben. Es sind Independent-Magazine, Kunstzeitschriften oder eine Wirtschaftszeitschrift wie brand eins, die Fleckhaus’ gestalterisches Erbe aufgenommen haben und weiterführen.Umso eindrücklicher ist, wie er als Außenseiter die leidige Selbstreferenzialität bundesdeutscher Bildungseliten zugunsten einer rückhaltlosen Weltoffenheit überwand und wie er scheinbar mühelos ein populäres Kulturverständnis nach Deutschland brachte, das frei von jeder Attitüde war und sich den Idealen des Suhrkamp- Verlags ebenso verschreiben konnte wie der Aktion „Ein Herz für Kinder“, deren von Fleckhaus entworfenes Logo auch unverändert bis heute existiert.
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