Das Runde im Eckigen: Ball und Buch

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Wer - wie ich - weder über Kabel- noch Satellitenanschluss verfügt, gerät neuerdings während der Champions League-Wochen in ein seltsames Dilemma zwischen Entzug und Entlastung. Dieser Zustand mag eine solide Basis fürs kulturkritische Lamentieren über das Zusammenwirken von medialer Überfütterung und Niedergang der Fußball-Kultur abgeben; er lässt aber auch eine Reihe von Rezeptionspositionen unbesetzt, die weder durch Radio- noch Zeitungs-Konsum befriedigt werden. Obs zwischendurch vielleicht mal wieder ein Buch sein darf?

Sogar der oberste FIFA-Boss rät zu diesem Medium: "Ein Buch ist stets greifbar und ohne technische Hilfsmittel aufklappbar und es setzt den Leser keinem zeitlichen Konsumzwang aus. Der Sprache wird die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, womit ein Beitrag zur wichtigsten Kulturerhaltung gemacht wird." Ich würde allerdings empfehlen, den opulent-aufgeblasenen Prachtband über Zauberwelt Fußball, in dessen Vorwort Josef Blatter solchen Tiefsinn absondert, zu ignorieren und gleich zu einem jüngst erschienenen, unscheinbaren Taschenbüchlein von Christoph Biermann und Ulrich Fuchs zu greifen. Im Gegensatz zum herrschenden Trend intellektueller Fußballbücher wird dort weder die fußballerische Gegenwart satirisch in die Pfanne gehauen, noch die glorreiche Vergangenheit der siebziger Jahre nostalgisch verbrämt. Die Art und Weise, in der die beiden Sportjournalisten unter dem Titel Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann unaufgeregten Sachverstand kurzweilig präsentieren, hebt sich auch wohltuend ab vom inflationären Wortgeklingel vieler Zeitungen.

Wer gerne mit Begriffen wie "Viererkette", "ballorientierte Gegnerdeckung" oder "Pressing" jongliert, kann seinen Wortschatz hier mit dem nötigen Fachwissen unterfüttern. Wer sich schon immer geärgert hat über ereignislosen Sicherheitsfußball im Mittelfeld, kann nachlesen, warum die Verkleinerung des Raumes, den moderne Fußballspiele nutzen, mit der rasanten Veränderung kultureller und ökonomischer Rahmenbedingungen zu tun hat. In - mitunter ein bisschen arg detaillierten - Rückblicken wird eine Kulturgeschichte des Fußballspiels entworfen: vom österreichischen, ungarischen und tschechischen "Donau-Fußball" der zwanziger und dreißiger Jahre - für den sich übrigens auch Alfred Polgar und Friedrich Torberg begeisterten - über den "Schalker Kreisel" und die ungarische Nationalmannschaft der fünfziger Jahre - ihrer Zeit weit voraus und doch 1954, im Finale von Bern, niedergekämpft - bis zum französischen Weltmeisterteam von 1998. Dass der Stil den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem schönen Spiel ausmacht, mag eine Binsenweisheit sein. Selten allerdings habe ich soviel sachkundige Argumente für diese Binsenweisheit gelesen; selten auch so fundierte Ableitungen der populären These, dass in modernen Spielsystemen die multikulturell gemischten Teams besonders erfolgreich seien.

Obwohl Christoph Daum dieses Buch im Klappentext zum "Muss" erklärt, "um Entwicklungen und Veränderungen im modernen Fußballsport zu verstehen", ist zu befürchten, dass die Mehrzahl derer, die ihn betreiben oder goutieren, dies auch künftig ohne Buch tun werden. Jene Fans beispielsweise, die (in Chemnitz und anderswo) Aktionen farbiger Spieler in der gegnerischen Mannschaft mit Urwaldgeräuschen untermalen. Oder Thorsten Legat, ein kampfstark-schlagkräftiger deutscher Fußballer wie er im Buche steht; er wurde zwar vom VfB Stuttgart nach rassistischen Sprüchen gegen seinen dunkelhäutigen Mannschafts-Kollegen Pablo Thiam entlassen, wird seine unverhoffte Freizeit aber ganz sicher nicht mit Lektüre verbringen.

Was tun? Abschalten, auswandern, lesen? Auf die Gefahr hin, mich als Schönwetter-Fan zu enttarnen, der im Zweifel das Buch als Vehikel zur Flucht aus den Niederungen der Realität nutzt, empfehle ich letzteres. Als nächstes vielleicht Eduardo Galeanos vor zwei Jahren auf deutsch erschienenes, wunderschönes Konglomerat aus Notaten, Assoziationen, Analysen, Episoden und Kurzporträts: Der Ball ist rund und Tore lauern überall. Eine Kulturgeschichte des Fußballs und seiner Heroen, die - in scheinbar beiläufigen politischen Querverweisen - originelle Seiten-Blicke auf die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wirft. Am Alltag ändert so ein Buch natürlich nichts. Aber ein bisschen besser ertragen kann man ihn damit schon.

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