Die große Verunsicherung

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Das Unbehagen am globalen Spätkapitalismus ist in der CDU angekommen. Zumindest hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für die ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ einen Beitrag geschrieben, der nahelegt, dass selbst die Spitzen der politischen Elite in der derzeitigen Krise ins Grübeln gekommen sind.

Der Text mit dem Titel „Sind wir zu satt für Gott?“ beginnt mit einigen Gedanken darüber, dass sich Menschen in Krisen- und Notzeiten auf die Religion besinnen. Selbstverständlich weist Schäuble auf diese Binsenweisheit der Religionskritik nicht in religionskritischer Absicht hin. Vielmehr rät er den Menschen zu mehr Demut vor Gott, um dann auf die aktuelle Krise zu kommen:

„Die Krise der Banken und später der Wirtschaft und ganzer Staaten, mit der wir seit 2008 konfrontiert sind, wurde nicht zuletzt durch die grenzenlose Gier nach immer höheren Gewinnen an den Kapitalmärkten ausgelöst. So erfolgreich das marktwirtschaftliche Modell ist – und niemand kann im Ernst seine Abschaffung fordern –, sosehr beruht es auf Mechanismen, die, wenn sie nicht kontrolliert und begrenzt werden, im Wortsinn unmenschliche Konsequenzen hervorbringen.“

Das „grenzenlose Profitstreben“, so Schäuble weiter, gefährde letztlich sogar das Überleben der Menschheit. Und folgert deshalb: „Wir brauchen Grenzen.“

„Sosehr wir uns für die Beseitigung des Hungers überall in der Welt einsetzen müssen, sosehr sollten wir uns andererseits in unseren eigenen westlichen Ländern für eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums einsetzen. (...) Die westlichen Volkswirtschaften haben ein gewisses Maß an Saturiertheit erreicht; (...)“

So viel Richtiges an diesen Ausführungen sein mag: Grenzen des Wachstums sind mit der „Marktwirtschaft“, deren Abschaffung man laut Schäuble nicht einmal fordern kann, nicht vereinbar. Dazu braucht man nicht einmal Karl Marx, dafür reicht sogar Adam Smith. Kapitalismus ist die Wirtschaftsform, in der die Produktion um der Produktion willen betrieben wird und die Bedürfnisse der Menschen – siehe „Abschaffung des Hungers“ – eher nebenbei befriedigt werden. Zumal dann, wenn diese als Lohnarbeiter für die Mehrwertproduktion nicht (mehr) gebraucht werden.

Dennoch: Wenn selbst Wolfgang Schäuble auf die Idee kommt, der Kapitalismus könnte am Ende gar nicht die beste aller Welten sein, dann scheint wirklich einiges in Bewegung gekommen zu sein. Wir erleben merkwürdige Zeiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hanning Voigts

journalist – „das unglück muss überall zurückgeschlagen werden“

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