Kampf mit der Leichtgläubigkeit

Staatsschulden: "Entwarnung" im Zypern - Poker wird unsrer besten Regierung bis zu den Wahlen noch weitere beunruhigende Verfallsdaten ihrer Politik bescheren

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Beunruhigende Entwarnung im zypriotischen Poker

Geschichtliches im Heute
Die Entwarnungssirene klingt in den Luftschutzkellern damals trostlos und vermittelt doch ein wenig Hoffnung auf das Leben nach dem Krieg. Vereinfacht gedeutet, handelt es sich bei den Bombennächten um die Bezahlung eines Teils unfassbarer Schulden, welche das Nazi-Regime unbeirrbar auf Deutschland und die Menschheit abwälzt - stets überwiegende Zustimmung der zwiespältigen Art im totalitär angesetzten "Führerstaat" erwartend.
Wir dürfen nur von "einem Teil unfassbarer Schulden" sprechen. Denn die Bombennächte, die Trümmerwüste, die Todesfabriken, die Schlachtfelder und zuerst die Verwandlung Deutschlands in ein unmenschliches Zuchthaus sind die Erscheinungsformen, die das Nazi-Regime hervorbringt, in seiner Propaganda beschwört, in seiner Politik als "Umwertung aller Werte" verherrlicht. Zählt man die zivilisatorische Befriedigung von Entschädigungsansprüchen dazu, so sind allmählich die wahren Kosten zu ahnen, die sich in der Schuldenbilanz der auf kriegerischer Gewalt gegründeten Politik verstecken.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht hier und heute nicht um eine beliebige Meinung zu einem längst vergangenen Thema. Wir erleben gerade den komplexen Krisensabbat in seinen wirtschaftskriegerischen Schachzügen, die denselben fruchtbaren Schoß, aus dem damals die geplanten Todesraten kriechen, auch heute notdürftig verschleiern. Und heute wie damals macht eine scheinbare Petitesse uns alle zu Mitwirkenden wider Willen: Der Sozialcharakter der Leichtgläubigkeit. Diese beschäftigt uns als schwer berechenbarer Faktor des im >trial and error< Modus prozessierenden Euro - Krisenmanagements oder als Untertanenmentalität des Wählers. Der Anlass wird in der täglichen Nachrichtenlage als mittelschweres Krisensymptom, von der Regierung als Vorgang bewertet, der die Verordnung einer Beruhigungspille ratsam erscheinen lässt. Die Parlamentsabstimmung zur >Zypern-Hilfe< erscheint mal wieder als >alternativlose< Pflicht, vermeidet die Wahrheit, dass dieses kleine Land am Rande Europas niedergehalten werden soll.

„Man spricht wieder deutsch in Europa!“ Diese dümmliche Arroganz scheint nur den nachgeordneten Chargen erlaubt zu sein. Denn die Kanzlerin und ihr amtierender Finanzminister betreiben das Kerngeschäft mit den Schulden auf eine bemerkenswert nüchterne Weise. Sie fühlen sich so gut wie der Schuldner und Sparer in der zivilen Normalität, der in absehbarer Zeit keine neuen Schulden mehr machen muss. Diesem "Gefühl" bleibt auf die Dauer natürlich nicht die Ahnung verborgen, dass der um die Billionen verschuldete Staat eines Tages mit den entsprechend großen Reichtümern der "Privaten" kollidieren muss - wobei aus heutiger Sicht nur die konkrete Form sich ausbreitender Anarchie und Gewaltexzesse unbekannt ist.

Stark fühlen sie sich noch in der Gläubigerrolle. Beide Geschäftssphären, das konsequente Kaputtsparen und die gehemmte Kreditvergabe, behindern die aktuellen Geld- und Einkommensflüsse bei uns in Deutschland noch nicht so prekär wie andernorts. Pleiten in den verschiedenen Wirtschaftssektoren scheinen sich in Grenzen zu halten und werden durch manipulierte Enteignungen reguliert. Exportüberschüsse fungieren als Puffer, solange global zahlungskräftige Nachfrage vorhanden ist. So ist ein beruhigender Umgang mit dem allgemein geltenden Schuldensystem möglich. Auf ihm beruht unser aller Leben. Den einen zur Beruhigung, den anderen als tödliche Gefahr.

Kapital ernährt sich von Arbeit, Kredit speist die Hoffnung, der "Sparer" ist passiver Wahlkämpfer

Der Kredit verlängert das ungezähmte Leben des Kapitalsystems, das auf der realen Einheit von bezahlter und nicht bezahlter Arbeit der Menschen basiert. Es ist richtig, dass im Zuge der Entwicklung die romantisch verklärte und schillernde Figur des "Sparers" als von den Banken umworbener Inhaber von "Kapitalwerten" einen schwerwiegenden Gewichtsverlust hat hinnehmen müssen. Deswegen und trotzdem hält die Politik an diesem mit Illusionen befrachteten gesellschaftlichen Rollenspieler fest, nicht ohne ihm zu misstrauen und zu schmeicheln. Dieses depressive Wesen ist nämlich zugleich Wähler, will, wie wir seit dem Ausbau der Demoskopie wissen, in seinen Ansichten ernst genommen und bestätigt werden. Die bewusst wahrheitswidrigen Versprechen in den Wahlkämpfen, die methodische Irreführung und die zynische Verantwortungslosigkeit sind zugeschnitten auf den Wähler und seine Leichtgläubigkeit.

Facetten einer Pokerpartie

Irgendwie scheint das Vertrauen als gehobene Form der Leichtgläubigkeit immer mehr verloren zu gehen, das in zuverlässigen Handlungszusammenhängen zählt. Stattdessen überwiegt das Gefühl, dass man jederzeit Opfer undurchschaubarer Pokerpartien werden kann. Daher das teils aufgeregte Bemühen der Politik, "verlorenes Vetrauen" wiederherstellen zu wollen.

Unmittelbar nach dem Zypern-Beschluss der Euro Krisenmanager, den "Sparer" der griechisch-türkisch geteilten Mittelmeer-Insel, soweit er unter EU - europäischem Zugriff lebt und arbeitet, gegen gegebene Garantie um einen einmaligen Betrag zu enteignen, beobachten wir am Bildschirm die empörten Reaktionen der betroffenen Zyprioten. Der Run auf die Geldautomaten der geschlossenen Banken, deren international organisierte Eigentumsverhältnisse (Rolle der russischen Oligarchen im Bündnis mit dem Kreml?) zumindest undurchsichtig sind, werden von Protesten und Gegenbewegungen vor und hinter dem zypriotischen Horizont begleitet.

Und man wird sagen können, dass die aus gegebenem Anlass versuchte, engstirnige Abwälzung der Staatsschulden zur "Rettung" der Staatstätigkeit, die so von den verantwortlichen Politikern Zyperns nach brutalen nächtlichen Erpressungsmanövern in Brüssel akzeptiert wird, nicht einmal ein Wochenende lang hält. Dann kommt die strukturierte "russische Lösung" und die prompte Reaktion des Kreml gegen die deutschen Parteistiftungen. Das ist nur ein untergeordneter Schlenker im internationalen wirtschaftskriegerischen Geschäftsgebaren. Das Kontrollbedürfnis aller Staaten bezüglich der Frage, wer über die als Eigentum frei bewegten Kapitalien verfügt, nimmt gleichzeitig mit der Verschärfung der internationalen Konkurrenz zu.

Das zypriotische "Geschäftsmodell" sei gescheitert und keineswegs "übertragbar" heißt, dass das kleine Zypern sich ungerechtfertigte Vorteile verschaffe und "auf Kosten" anderer lebe. Das ist ein wirklich schönes Argument, das in ihrem Arbeitsumfeld die Supermarkt - Kassiererin, in der Hektik des Alltagsgeschäfts das Flaschenpfand vernachlässigend, bereits kennt und mit ihrer Entlassung aus dem Job bezahlt.

Danach leuchtet ein, wenn an den dramatischen Wochenenden hinter dem Rücken des zypriotischen Publikums bei geschlossenen Bankschaltern das frei flottierende Kapital neue Häfen ansteuert. Ebenso leuchtet ein, wenn die Pensionskassen für brandenburgische Beamte durch weitsichtige Entscheidungen einer "linken" Landesregierung, Anlage in zyprischen Schuldverschreibungen suchend, ebenso entwertet werden wie die Geldvermögen der Pennerfraktion aus dem russischen Haus der Oligarchen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! Ganz zu schweigen von den inneren Zusammenhängen der zyprischen und griechischen Schuldensituation.

Die Führungselite Zyperns ist vor den Eurofightern in Moskau. Wer da sonst noch spekuliert -in Deutschland sind ja die Fälle bekannt-, auf die Gehaltslisten der russischen Musterdemokratie zu gelangen, lässt sich momentan schwer einschätzen. Der Widerschein der deutschen Sprache auf Zypern heißt jedenfalls eindeutig NEIN! Die eingschüchterten reagieren, wie in Griechenland, demonstrativ mit der historischen Symbolfigur des deutschen Terrorismus.
Man wird noch sehen, welche Wellen der kleine Stolperstein im Meer der internationalen Schuldenmalaise schlägt. Es könnte in einer höchst brisanten politischen Pokerpartie münden. Spekulationen auf den üppigen Reichtum, den das Erdgasfeld Aphrodite verströmen soll, kontrastieren mit dem Pleitegeier der Kreml Oligarchen, die auf Zypern ihr Paradies suchen. Nicht zu vergessen ist die beabsichtigte Verarmung der Zyprioten, denen offensichtlich noch nicht ganz klar ist, wer sie kontrollieren und beherrschen möchte.

Schuldenmalaise erfordert Alternative zu den nur notdürftig verkleisterten Gewalttaten des Kapitals

Und wie spiegelt sich der Poker um die zypriotischen Angelegenheiten in der politischen Öffentlichkeit Deutschlands? Vorsorglich haben gutgläubige Journalisten, und die Regierung natürlich selbst, für den „deutschen Sparer“ Entwarnung signalisiert. So beruhigend das auch empfunden wird, Tatsache ist die offen geäußerte „Besorgnis“, dass es zu „Vertrauenseinbrüchen“ im Bankensektor und bei den Bürgern kommt.

Als 2008 die Kanzlerin mit ihrem damaligen Finanzminister vor laufenden Kameras ein Garantieversprechen für den „deutschen Sparer“ abgab, war nicht abzusehen, dass dieses Versprechen gerade heute abläuft, obwohl es schon damals nur Wert als Irreführung hatte. Die Regierung lässt durch ihren Sprecher eine erneuerte Garantie mit diesem merkwürdigen Satz verkünden: „Es ist das Merkmal einer Garantie, dass sie gilt.“ Wir können da nur die Regel des Kleingedruckten hinzufügen: Eine Garantie gilt nicht, wenn die Bedingungen ihrer Geltung entfallen – andere Notbehelfe an ihre Stelle treten.

Risikoreicher werdende Notbehelfe (Schutzschirmpolitik, die auf immer umfassendere Haftung ausgedehnt wird) beunruhigen inzwischen nicht nur die Südeuropäer. Man darf gespannt sein als Beobachter der politischen Lernfähigkeit des deutschen Wählers, ob aus den noch eher gefühlsmäßigen Zweifeln an den vorherrschenden Stilelementen der Politik der Souverän unsrer erstarrenden Demokratie die parlamentarischen Verhältnisse auflockern kann. Hoffentlich nicht auf der rechten Überholspur. Ein eindeutiger Impuls zur Abschaffung des Fraktionszwangs bei der Bildung der Regierung wäre bereits eine hoffnungsvolle Tat - ähnlich vielleicht wie in NRW. Sonst bleibt es bei den freundlichen Gesichtern der autoritären Gesellschafts- und Staatsideologen, die nichts dabei finden, unsre heute farbig schillernde Untertanenmentalität schamlos auszunutzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden