Ukraine unter dem Schreckbild Grosnys und Syriens

Putin handelt Putin lügt, weil er weiß, dass die staatliche Organisation der Ukraine in freier Selbstbestimmung nach demokratischen Prinzipien geformt worden ist. Allein das ist ihm ein Dorn im Auge. Es gibt keine faschistische Bewegung in der Ukraine.

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Ukraine unter dem Schreckbild Grosnys und Syriens Putin setzt seine Völkerrecht verletzenden Ankündigungen um

Hochrüstung und abnehmender Wille zur Rüstungskontrolle sind Symptome zunehmender Kriegsrisiken. Die noch bestehende Nachkriegsordnung des 20. Jahrhunderts in Gestalt der UNO gerät sichtbar ins Wanken und mit ihr der Frieden, wie wir ihn kennen. .

Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion täuscht sich auf tragische Weise, indem es glaubt, es gäbe einen leichten Zugriff auf neokoloniale Strategie, um Substanz für großrussische Träume zu gewinnen. Das könnte das verlustreichste Protektorat der Geschichte werden, nachdem der Kaukasus und Syrien bereits so ausgestattet sind.

Aus Putins Sicht lassen sich eine Woche nach seinem Angriff auf die Ukraine und der breit angelegten Invasion zur vollständigen Eroberung, nachdem er sie schon seit 8 Jahren der territorialen Integrität beraubt hat, eine unerwartete moralische Gegenbewegung und weltweit entsprechende politische Reaktionen beobachten. In der Vollversammlung der UNO erzielt er 4 Stimmen von Unterstützern, 35 Enthaltungen und 141 für eine Resolution, die seine mit unzähligen Opfern kalkulierende Aggression verurteilt.

Ein ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates hat ein anderes schuldhaft mit Krieg überzogen, und es ist momentan nicht abzusehen, ob und auf welche Weise dieser Krieg in Europa eingedämmt werden kann. Die politische Essenz einer unabhängigen Ukraine in einer europäischen Ordnung scheint aus der Sicht des politisierenden russischen Geheimdienstes eine gefährliche Bedrohung zu sein. Putin schießt daher scharf gegen 'Neonazismus' in der Ukraine, um rhetorisch einen Schleier der Verharmlosung über das Grauen der 'Entwaffnung', der humanitären Katastrophe, des millionenfachen FRlüchtlingselends zu legen. In Russland selbst wächst das Regime intensivierter Unterdrückung, und im Westen geraten lieb gewordene Freiheiten auch in Bedrängnis.

Im kollektiven Bewusstsein der Menschheit lassen sich Charakterbilder brutaler Kämpfe nicht einfach finden und verantwortungsbewusst als Beschreibung der Wirklichkeit anwenden. Da ja der Konflikt zwischen Putin und der Ukraine nicht von heute ist und in den Prozess der europäischen Integration sich hineinbewegt, sehen wir deutlich seine zwei streitenden Seiten: Dem transatlantischen Verteidigungsbündnis NATO mit seinen inzwischen 30 Mitgliedern auf der einen steht auf der anderen eine zu vertiefende Integration ihrer europäischen Elemente gegenüber.

Die Ukraine ist nicht Mitglied der Nato, wie z.B.Schweden und Finnland auch; ein rechtlich eindeutiger Verteidigungsfall mit weiteren Kriegsteilnehmern, spontane Mitgliedschaft der Ukraine in der EU wären brandgefährliche Optionen, die zwar aus Empathie, nicht aber rational begründet werden können. Es haben sich zwischen der Ukraine und der EU Beziehungen herausgebildet, die mit der spezifisch autoritären Diktatur Putins unverträglich sind. Wie hart der Kampf sein wird, lässt sich ermessen, wenn Putins Strategie hinsichtlich des Ziels verstanden wird: In der EU effektiv chaotisierend, imperial eingreifen zu können.

Europa interpretiert daher die gegenwärtigen Kämpfe in der Ukraine mit unerwarteter Solidarität, Opferbereitschaft, weil es spürt, dass seine Mitte inzwischen weiter ostwärts liegt.* Ein wichtiges Motiv dieser Deutung kennen wir schon aus anderen weltgeschichtlich bedeutsamen Vorgängen. Danach ist Putin in seiner Rolle als Schlächter des Freiheitswillens der Menschen und der Souveränität europäischer Staaten zu charakterisieren.

*Vgl. Karl Schlögel Die Mitte liegt ostwärts Europa im Übergang München 2002

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Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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