Welt paradoxer Wahrheiten

Sozial gerecht Was beobachten wir auf der Reise zum >Steuersünder< in die Schweiz, zur >Energiewende< in Deutschland - und bei der Lektüre unsrer Stromrechnung ?

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Die erschütternde Tatsache, dass unsre Deutungskunst die verborgen gehaltene Wahrheit nicht sogleich begreifbar machen kann, nährt eine ständige Enttäuschung. So verirren wir uns im real existierenden System der organisierten Verantwortungslosigkeit. Oh, wie fühlten wir uns gut, ganz nah bei der Gerechtigkeit, als die Kanzlerin Angela Merkel, trotz einiger liberalistischer Bedenkenträger in ihrer Umgebung, entschlossen die CDs kaufte, die so viele nützliche Daten über vermögende deutsche >Steuersünder< enthielten. Sogar eine Kontroverse über Sinn und Zweck des Schweizer Bankgeheimnisses (und des deutschen) wollte gerade in Gang kommen.

Und dann entschlossen sich die beiden Regierungen, dem entlarvenden CD-Handel das Maul zu stopfen und seine Begleitumstände als Verbrechen zu brandmarken. Pauschale Abgeltung sollte die Form der Gerechtigkeit sein, die den reichen Sündern Gerichtsverfahren erspart und ihre Identität anonymisiert. Und bevor daraus Nägel mit Köpfen werden, schlägt plötzlich die Stunde der Opposition. In ihrem Lager sind ja bekanntlich weniger Millionenen schwere Gutverdiener zu Hause und sie setzt mit Blick auf den Wähler auf die Karte der >sozialen Gerechtigkeit<. Schau‘n wir mal, was sie sich da so zutraut!

Und jetzt habe ich eine TV-Sendung über die >Asse< gesehen, dieses inoffizielle atomare Endlager, das sich niemand getraut Endlager zu nennen, weil ihm dafür die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Der Wert ansehnlicher Immobilien sank nach Bekanntwerden der skandalösen Einlagerung >schwach radioaktiver Abfälle< (und vielleicht auch stark strahlender Substanzen) ins Uferlose. Der Bundesumweltminister, Peter Altmaier, ist sichtlich um Glaubwürdigkeit bemüht, wenn er die Rückholung des strahlenden Abfalls trotz der Milliardenkosten und höchster technischer Wagnisse aus einem absaufenden Salzbergwerk an die erste Stelle setzt. Selbst die Brief schreibende Bürgerin, deren schönes Häuschen sich wertmäßig in ein Nichts auflöst, findet seine angespannte Aufmerksamkeit. Eine allergische Reaktion trifft allerdings den Journalisten, der nach dem bekannten Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer in seinem Ministerium fragt. Von dessen Wirken weiß man, dass er all seine Fachkenntnisse gegen die Rückholung einsetzen wird, die der Minister der Öffentlichkeit so glaubwürdig verkauft.

Das Risiko der Kernenergie sei beherrschbar, das war ein lange umstrittener Glaubenssatz. Nach endlos erscheinenden Pannen, Unfällen, Katastrophen kam der Schrecken von Fukushima. Selbst die Unterdrückung der Berichte deutscher Atomexperten, die während der Katastrophe vor Ort waren, half nicht. Angela Merkel gab um der Machterhaltung Willen ihren technizistischen Glauben an die Beherrschbarkeit des atomaren Risikos öffentlich auf. Sie verfehlte in Baden Württemberg dennoch ihr Ziel und musste von einer >Energiewende< sprechen, die keine Laufzeitverlängerung der AKWs, sondern ihre Abschaltung verlangte – beginnend sofort.

Wir wissen aber auch, dass die Kanzlerin hinter den Kulissen engagiert Steuergelder ausgibt, um die exportfähige Atom-Industrie zu fördern, und dass sie fleißig spart bei der ungelösten Entsorgung. Sie schwankt und zögert, wo es um die zügige Modernisierung eines leistungsfähigen Stromnetzes geht. Und wenn es um die Aberntung des natürlich entstehenden Schuldenberges geht, kommt es zur Privatisierung – oder dazu, dass die sogenannten kleinen Leute den Strom großer Verbraucher bezahlen. Es könnte die Energiewende durchaus dahin führen, dass wir bei den großen Kapitalwerten in den Schweizer Tresoren wieder aufwachen.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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