Im mazedonischen Niemandsland

Filme als Verteidigung gegen die Bilder von CNN Das 22. Film-Kamera-Festival in Bitola als Ort gelungener europäischer Kommunikation auf der Leinwand und davor

Das Festival ist ein apolitisches Niemandsland, ein Mikrokosmos, wie die Welt sein könnte, wenn die Menschen direkt miteinander kommunizieren und dieselbe Sprache sprechen könnten." Wenn es einer Rechtfertigung bedürfte, in den "Zeiten des Terrors" - wie die Wochen nach dem 11. September übertrieben verabsolutierend apostrophiert werden - ganz normal und planmäßig Filmfestivals stattfinden zu lassen: mit dem Zitat von Jean Cocteau würde sie geliefert. Es war deshalb auch sehr passend dem Katalog des Festivals von Bitola vorangestellt, einem unter den zahllosen weltweit veranstalteten Film-Wettbewerben weniger bekannten, aber besonderen und traditionsreichen.

Bitola ist das älteste europäische Kamera-Festival, das heißt, hier wie in den jüngeren Pendants von Madrid und Lodz (vorher Torun) werden die Filme nach Kriterien besonders herausragender Kameraarbeit ausgewählt und prämiiert. In den ersten Jahren nach der Gründung 1979 war das ein rein jugoslawisches Ereignis, 1993 machte die neu konstituierte Republik Mazedonien daraus ein internationales Festival. Der Zusatz "Manaki-Brüder" im Festivaltitel verweist auf die lokalen Wurzeln: Janaki und Milton Manaki (an die Thodoros Angelopoulos 1995 in seinem Film Der Blick des Odysseus erinnerte) waren so etwas wie die mazedonischen Lumières. Seit 1905 dokumentierten sie mit Fotoapparat und Filmkameras nicht nur das Leben im heimatlichen Bitola und Umgebung, sie wurden bald auch Chronisten friedlicher und kriegerischer Ereignisse auf dem weiteren Balkan. In einem eigenen Museum kann man neben ihren alten Apparaten die damit gemachten Aufnahmen bewundern: bärtige Priester und alte Frauen in Tracht, türkische Janitscharen und das ganze damalige diplomatische Korps von Bitola in ordensgeschmückten Uniformen oder Frack und Zylinder, daneben aber auch Fotos von gehenkten Revolutionären und martialisch posierenden Soldaten. Die Kanonen aus dem Balkankrieg wirken noch wie Spielzeug. Zuletzt sieht man Tito in Bitola. Den Zerfall des von ihm zusammengehaltenen Vielvölkerstaates haben die Manaki-Brüder nicht mehr erlebt.

Bilder von brennenden Häusern muslimischer Bürger gab es nirgends. Im Sommer war die zweitgrößte Stadt Mazedoniens, von deren 120.000 Einwohnern nur 2.000 Albaner sind, plötzlich in den Nationalitätenkonflikt hineingezogen worden, der sich sonst vornehmlich im Nordosten des Landes abspielt. Unter den verstümmelten Opfern eines UÇK-Überfalls auf einen Armee-Konvoi befanden sich vier junge Soldaten aus Bitola, worauf sich der Volkszorn gegen reiche Albaner richtete, von denen bekannt war, dass sie zu den Finanziers der Rebellen gehören. Ein paar Tage herrschte Ausnahmezustand, und es war unklar, ob das Festival würde stattfinden können. Doch den Ende September angereisten Cinéasten präsentierte sich Bitola als völlig normale Stadt. Polizei und Militär traten kaum in Erscheinung. Die abends auf dem Boulevard Marschall Tito dicht flanierenden jungen Leute boten ein rein ziviles Bild.

Im großen Kinosaal des Kulturhauses konkurrierten 14 Filme aus 13 Ländern um Goldene, Silberne und Bronzene Kameras. Darunter waren viele Arbeiten im Dogma-Stil, das meiste lief schon auf anderen Festivals, führte dort aber manchmal nur eine Randexistenz. So konnte man doch noch einige Entdeckungen machen. So etwa die absurd-surrealistische Endzeit-Groteske Songs from the 2nd floor des schwedischen Regisseurs Roy Anderson oder der atmosphärisch dichte Film noir aus dem Drogendealer-Milieu Pariser Kleinkrimineller Les marchands de sable von Pierre Salvadori. Bei der Preisvergabe orientierte sich die Jury unter Vorsitz von Andreas Höfer, der im Vorjahr für seine Kameraarbeit in Volker Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss Hauptgewinner wurde, offensichtlich nicht zuletzt auch an inhaltlichen Kriterien.

Die Goldene Kamera ging an Last Resort, die Geschichte einer Russin, die mit zehnjährigem Sohn auf ein Glück beim Verlobten in England hoffte. Da der aber nichts mehr von ihr wissen will, bleiben beiden nur die Bekanntschaft mit der Unwirtlichkeit eines Asylantenwohnheims und schließlich eine Rückkehr in die Heimat. Regisseur Pawel Pawlikowski und sein polnischer Landsmann Ryszard Lenczewski an der Kamera haben zuvor bereits einige erfolgreiche britische Produktionen, vorwiegend engagierte BBC-Dokumentationen, gemeinsam gedreht. Der versilberte deutsche Beitrag L´amour, l´argent, l´amour von Philip Gröning, der bei den Dreharbeiten zuletzt Sophie Maintigneux hinter der Kamera ablöste, brachte seiner Hauptdarstellerin Sabine Timotée bereits im Vorjahr auf dem Festival von Locarno einen Bronzenen Leoparden. Das im Titel angesprochene Geld spielt für das von ihr verkörperte Mädchen eine wichtige Rolle, weshalb es auch seinen Körper dafür verkauft. Die Liebe entwickelt sich erst allmählich zwischen ihr und einem Jungen, der sie auf einer ziellosen Reise begleitet. Der Film konzentriert sich ganz auf die Hauptfiguren, evoziert mit Musik und Landschaftsaufnahmen eine romantische Stimmung: ein märchenhaftes Road movie.

Die Bronzene Kamera für No Man´s Land honorierte den einzigen Film, der etwas mit der Realität auf dem Balkan zu tun hatte. Auch der Regiedebütant Denis Tanovic´ stammt aus Bosnien, lebt allerdings inzwischen in Belgien, das zusammen mit Frankreich, England, Italien und Slowenien - Heimat der Produzentin Dunja Klemenc - sowie einer Unterstützung von Eurimages diese Antikriegssatire ermöglichte. Trotz der vielen Köche ist kein "Europudding" herausgekommen. Nicht nur der Titel erinnert etwas an Victor Trivas´ pazifistisches Niemandsland, worin 1931 Ernst Busch eine Hauptrolle spielte: einer der ersten deutschen Filme, die von den Nazis verboten wurden. Die absurde Situation, die einen serbischen und einen bosnischen Soldaten in einem Schützengraben zwischen den Fronten zusammensperrt, was zuletzt noch Unprofor-Generalität, eine Kriegsreporterin und einen hilflosen deutschen Minensucher auf den Plan ruft, entlarvt die Absurdität jeden Krieges und lässt bald das Lachen im Halse stecken. Womit auch noch einmal die Feststellung des Festivalpräsidenten Gorjan Tozija bestätigt wurde, dass "Filme nichts als eine Verteidigung gegen CNN-TV-Bilder sind".

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