Im Haus des Rundfunks an der Masurenallee war in den ersten Nachkriegsjahren auch der Jazz zu Hause. Da residierte dort noch der sowjetisch kontrollierte Berliner Rundfunk. Im Großen Sendesaal gab's an den Sonntagen Matineen mit dem RBT-Orchester, neben dem auch noch eine kleinere Swingband des Berliner Rundfunks die Musik spielte, der die Nazis Radioverbot erteilt hatten. Im Kalten Krieg eiferten dann allerdings SED-Dogmatiker Goebbels nach und verdammten in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre den Jazz als dekadente Ausgeburt amerikanischer Unkultur. Das RBT-Orchester wurde aufgelöst. Schon 1948 war als Konkurrenz das RIAS-Tanzorchester gegründet worden - damals auch so etwas wie eine Waffe im nun Kalten Ätherkrieg.
Dies alles ist längst Schnee von vorgestern. Erinnerungen daran wurden nur wieder wach, als am 8. Dezember 2000 im nämlichen Haus des Rundfunks ein Solidaritätskonzert für den Erhalt der RIAS Big Band veranstaltet wurde. Während in den einschlägigen Lokalen der Bundeshauptstadt der Jazz boomt, ist er für die offizielle Kulturpolitik eine quantité négligeable.
Das gilt auch für die ortsansässigen Rundfunkanstalten. DeutschlandRadio und Sender Freies Berlin behandeln auch in ihren Programmen den Jazz höchst stiefmütterlich. Bei DeutschlandRadio Berlin ist er dreimal wöchentlich in ein nächtliches Ghetto verbannt, bekommt dann ab zwei Uhr drei Stunden Sendezeit, in der auch Jazzfans normalerweise schlafen. Im Stadtradio 88,8 des SFB sind mit Beginn des neuen Jahres die bisherigen fünf Stunden Jazz pro Woche auf eine zusammengestrichen worden. Und durch eine Programmreform wurde bei Radio Kultur des SFB der Jazz von bisher ebenfalls fünf Sendestunden auf drei zurechtgestutzt und in die Stunde vor Mitternacht abgedrängt. An eine auch ganz aktuelle Feststellung Manfred Krugs in seinem Protestbrief gegen die Auflösung der RIAS Big Band haben die Jazzverächter offensichtlich nicht gedacht: "Im Gegensatz zu jeder anderen Musik wirkt Jazz auf Nazis wie Knoblauch auf Vampire."
Doch nicht allein der Jazz ist von den Neuerungen bei Radio Kultur betroffen. Liedersprüche, das bisher zweimal wöchentlich gesendete Magazin für Lied, Rock und Kleinkunst, wurde gleich ganz ausgebootet, genauso wie Balladen, Blues und leise Lieder, das letzte Überbleibsel vom einstigen DDR-Jugendradio DT 64. Stattdessen nun rund um die Uhr jede Menge Klassik. Nichts gegen Klassik, aber genau das gibt's, jetzt sogar verstärkt, schon auf Radio 3. Das länger als ein Jahr dauernde Gerangel zwischen SFB und ORB ging also aus wie das Hornberger Schießen. Schlimmer noch: was verbessert werden sollte, wurde verschlechtert. Die Umstrukturierung des Programms war ursprünglich ja gerade dazu gedacht, die Konkurrenzsituation zwischen beiden Wellen zu beenden. Dazu wurde jetzt bei Radio 3, das nur noch von ORB und NDR ohne den SFB betrieben wird, der Wortanteil auf zehn Prozent beschränkt.
Auch das weiterhin als Gemeinschaftsprogramm von SFB und ORB firmierende erneuerte Radio Kultur leidet unter Worteinbußen, und sie treffen (Zufall?) ausgerechnet zwei traditionsreiche Programme, die einst im Geist von 1968 angetreten waren und sich noch einiges an kritischem Bewusstsein bewahrt haben. Das nachmittägliche Kulturjournal wurde um eine ganze Stunde gekürzt, und die aus feministischem Aufbruch hervorgegangenen Zeitpunkte, deren Existenz schon mehrfach bedroht war, müssen mittags eine Viertelstunde einsparen. Für das Live-Sonntagsgespräch Berlin Mitte, das seit 1997 über 125-mal diskussionsfreudig auch gelegentlich den sich als "neue Mitte" positionierenden Zeitgeist in Frage stellte, gibt es überhaupt keinen Platz mehr. Ein Teilnehmer der Abschiedsrunde erinnerte daran, dass schon vor zwanzig Jahren einmal ein Intendant im Hinblick auf kritische Wortsendungen gefordert hatte: "Weg mit dem Gequatsche!" Während sich MDR und Radio Bremen noch mehrstündige Kulturjournale leisten, folgt ausgerechnet der Hauptstadtsender dem Trend zum Kulturabbau in den Medien.
Er begann mit dem Verschwinden des letzten ostdeutschen Senders DS Kultur und setzte sich fort mit der Abwicklung von Radio Brandenburg. Personelle Reste dieser sozialkritischen, informativen und Kultur mit Unterhaltung vereinenden Stimme eines neuen Bundeslandes wurden in das 1997 auf Sendung gegangene Radio Kultur integriert. Nach der Reform ist der ORB hier nur noch mit zehn statt bisher 15 Prozent beteiligt. Das heißt, er steuert nur noch 650.000 DM und fünf statt bisher zehn Mitarbeiter bei. Ausgerechnet drei der kompetentesten "Ossis" werden nicht mehr zu hören sein: Danuta Görnandt, Moderatorin der Liedersprüche, und die beiden über Berlin hinaus ziemlich konkurrenzlosen Jazzexperten Ulf und Karlheinz Drechsel.
Wer und was auf Radio Kultur künftig außer Klassik den Ton angibt, wird man bald merken - auch im Berliner Salon, einem neuen Programmplatz am Sonntagabend, dessen Titel im modischen Trend liegt, aber hoffentlich etwas anderes beinhaltet als der von Medien gern mit dem Begriff identifizierten neuen Berliner Schickimicki-Gesellschaft. Allerdings in Zeiten, da die Trennung des Becker-Paares in Nachrichtensendungen bis hin zur sakrosankten Leitinstitution Tagesschau als Spitzenmeldung präsentiert wird, erscheint nichts mehr unmöglich.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.