"Meine Freundin ist schön, sie ist nach der Wende gegangen, Weckt sie doch, bis sie sich regt, sie nahm uns sechs Wochen gefangen, sie hat unsre Sinne bewegt und wir haben uns in ihren Schatten gelegt." Diese, einem Puhdys-Titel aus dem Kultfilm Die Legende von Paul und Paula nachempfundenen Verse, stellt Helmut Pflügl, Kurator der bisher umfassendsten DEFA-Retrospektive, die Anfang 2001 in Wien stattfand, seinem ebenso poetisch überschriebenen Artikel Ein Dornröschen in Europas Filmlegende voran. Für mich ist er der eindrucksvollste Beitrag in dem an interessanten Beiträgen reichen Jahrbuch der DEFA-Stiftung, apropos: Film 2001. Ein, zugegeben, subjektiver Eindruck: weil der Autor im Abstand von einem Dutzend Jahren das ausdrückt, was ich als kritischer
Totgemachte leben länger
Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit Zum Jahrbuch der DEFA-Stiftung 2001
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was ich als kritischer Wessi-Chronist der Babelsberger Produktion schon zu DDR-Zeiten deutlich zu machen versuchte. Damals wurde man oft als DEFA-Apologet mit Skepsis rezipiert: von ostdeutschen Kollegen, weil sie westlichen Trash nicht kannten und deshalb zu Recht das Eigene gering schätzten, von dogmatischen Ideologen aus SED-Chefetagen, weil sie hinter dem Lob des "Klassenfeindes" mehr noch als seinen Verrissen Diversion argwöhnten, und im Westen, weil man hier mit wenigen Ausnahmen DEFA-Filme gar nicht zur Kenntnis nahm, eine Ignoranz, die nach der "Wende" auch in Äußerungen prominenter Vertreter der Branche offenkundig wurde.Bedürfte es einer adäquaten differenzierten Würdigung oder gar Rehabilitierung des DDR-Films, so wird sie in dem zitierten Artikel aus der neutralen Distanz eines Österreichers geliefert. Helmut Pflügl "widerspricht der Vorstellung, dass das DEFA-Kino eine von allen Außenwelteinflüssen abgekapselte, autoritätshörige und eintönige Filmproduktion von bloß lokaler Bedeutung gewesen sei. Im Fadenkreuz profaner Insignien einer kunstfernen Machtentfaltung fand sie sich mitunter verfangen, doch sie entwickelte trotz aller Niederlagen genügend Vitalität, um uns ein differenziertes Bild von einer Gesellschaft zu liefern, die man außerhalb der DDR gerne für sehr monolithisch gehalten hat. Die Propagandisten zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs begünstigten eifrig diese Lesart." Der Autor bescheinigt Filmen der "glorreichen Sieben einer verschenkten DEFA-Avantgarde" wie Wolf, Beyer, Klein, Günther, Kirsten, Carow und Kühn: in ihnen "spiegeln sich Traditionen des deutschen Stummfilm-Expressionismus ebenso wie Einflüsse aus dem Autorenkino Osteuropas und Frankreichs, die ganz individuell dem jeweiligen Sujet angepasst werden." Pflüge macht das besonders an zwei zu ihrer Entstehungszeit verbotenen und erst Jahre später aufgeführten Filmen - Ralf Kirstens Barlach-Biografie Der verlorene Engel (1966) und Heiner Carows Die Russen kommen (1968) fest. Er konstatiert, "dass die ästhetisch innovativste Phase der DEFA, wie beim sowjetischen und tschechoslowakischen Kino, bereits in den sechziger Jahren stattfand ... Ein innerdeutscher Vergleich jener Jahre ließe das Kino der Bundesrepublik künstlerisch verblassen. Den DEFA-Regisseuren wurde in diesem historischen Moment der verdiente Platz an der Sonne des internationalen Kino-Universiums von ignoranten und eitlen Staatsfunktionären mit haarsträubendsten Argumenten verwehrt, als hätte selbstgefällige Verblendung diese Leute veranlasst, den Kulturbereich in den kollektiven geistigen Selbstmord zu treiben."Die Feststellungen des Österreichers widerlegen ein ignorant-absurdes Urteil, das Kerstin Decker in ihrem lesenswerten, durch seinen manchmal zu pointensüchtigen Feuilletonismus aber zu den übrigen Jahrbuchbeiträgen kontrastierenden Essay über die Filme Andreas Dresens und Andreas Kleinerts leider ohne Quellenangabe als "kinematographischen Hauptsatz von 1992" zitiert: "Wenn es ans Ausmessen der DEFA-Geschichte geht, dann wird man feststellen, dass Die Mörder sind unter uns und Coming out zwar 43 Jahre voneinander entfernt sind - ästhetisch aber nur die Farbe hinzugekommen ist."Wie Frank Beyers Erinnerungsbuch Wenn der Wind sich dreht vielleicht nicht geschrieben worden wäre, ohne dass der Regisseur damit die Enttäuschung über das Scheitern seines TV-Projekts der Verfilmung von Uwe Johnsons Jahrestage (für das man dann Margarete von Trotta engagierte) kompensieren wollte, gäbe es auch das DEFA-Jahrbuch nicht ohne einen Verlust. Es ersetzt die traditionsreiche Zeitschrift Film und Fernsehen. Deren Überleben 1991 bis 1999 war dem selbstlosen Einsatz von Erika Richter als ehrenamtliche Redakteurin dieses bis zuletzt unverwechselbaren niveauvollen Unikats unter den wenigen deutschsprachigen Filmperiodika zu danken. Zusammen mit Ralf Schenk ist sie nun für die Redaktion des Jahrbuchs verantwortlich. Dessen Hauptaufgabe soll die wissenschaftliche Erforschung der DEFA sein, und hierzu lässt man auch Zeitzeugen zu Wort kommen. Im ersten Band apropos: Film 2000 waren es Jürgen Böttcher und Egon Günther, wobei die mit ihnen geführten Gespräche jeweils durch den Abdruck von Texten unverwirklichter Filmprojekte ergänzt wurden - eine Praxis, die, wie auch die übrige Konzeption, im zweiten Band beibehalten wurde.Untersuchungen zur DEFA-Geschichte, die bis 1990 unzugängliches Archivmaterial nutzen, bestechen durch akribische Recherchen, die ihnen den Charakter kleiner Dissertationen verleihen und sich manchmal wie ein Krimi lesen. Nachdem Günter Jordan, selbst Dokumentarfilmer, schon im ersten Jahrbuch mit dem Fall Alfred Lindemann die Geschichte eines "Aktivisten der ersten Stunde" rekapituliert hatte, dem die DEFA in ihrer Gründerzeit viel verdankte, den die SED aber nach zweieinhalb Jahren in der Direktion schnöde fallen ließ, als "Bauernopfer auf dem Altar der DEFA als Gesellschaft der sowjetisch-deutschen Zusammenarbeit", führt er im zweiten Jahrbuch seine Spurensuche in der DEFA-Frühzeit mit einer Akteneinsicht zum "Fall Walter Janka" fort: "An ihm war, nach dem Scheitern von Lindemann, der erste große Produzent eines neuen deutschen Films im modernen Sinne verloren gegangen." Während Jankas Name vor allem mit seiner Leitung des Aufbau-Verlags und der Haft von Dezember 1956 bis Dezember 1960 im Zusammenhang mit dem Harich-Prozess in Verbindung gebracht wird, ist seine DEFA-Tätigkeit, zu der auch noch die Zeit als Dramaturg von 1962 bis 1972 gehört, weniger bekannt. Jankas am 1. Juni 1948 übernommene Aufgabe als Ressortchef für Produktion, Wirtschaft und Verwaltung im DEFA-Vorstand fiel in die Zeit sich vertiefender deutscher Spaltung, was seine Bemühungen um den Erhalt und Ausbau von Kontakten zu westlichen Partnern erschwerte. Letztlich brach auch der Beginn des Kalten Krieges Janka bei der DEFA das Genick. - Das geschah über eine besonders perfide Intrige, die mit einer denunziatorischen Mitteilung Gustav von Wangenheims an die Personalpolitische Abteilung im ZK der SED veröffentlicht wurde, wonach "Gen. Janka bei seinem letzten Aufenthalt im Westen eine Liebschaft mit einer Frau P. angefangen" habe. Besagte Frau P., die bereits bei der DEFA mitgearbeitet hatte, wurde nun rasch zur amerikanischen Agentin stilisiert und Walter Janka schließlich am 8. Juli 1949 von seinem Posten abberufen.Ulrike Odenwald geht in ihrem ausführlichen Aufsatz Aufbruch zur Kontinuität. Die frühe DEFA-Kinderfilmproduktion den Anfängen eines Genres nach, das mit insgesamt über 150 Filmen, davon etwa 60 Märchenfilmen, eine Blüte erlebte, die in der deutschen Filmgeschichte einmalig dasteht. Über die Zeit eines hoffnungsvollen Aufbruchs der DEFA berichtet Jochen Mückenberger, Generaldirektor von 1961 bis 1966, in einem Gespräch mit Ralf Schenk. An damalige bis dato und auch später wieder fast ungeahnte Möglichkeiten erinnern auch Rainer Simon (Gewinner des Goldenen Bären der Berlinale 1985 für Die Frau und der Fremde), Claus Dobberke, Egon Schlegel und Dieter Roth, die 1961 ihr Studium an der Babelsberger Filmhochschule begannen und in einem von ihnen gegründeten "Kollektiv 63" zwölf Projekte realisieren konnten. Im offensichtlich experimentellsten, Vor der Bühne kniet - "quasi als Gesamtkunstwerk geplant, nicht nur mit Film- und Bühnenteilen, sondern auch mit Musik, Gesang und unter Einbeziehung des gesamten Zuschauerraums in die Aktionsfläche" -, wollten sie den "Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit" thematisieren, "dargestellt am Verhalten von Zeitgenossen, die wir satirisch mit Dogmatismus, Heuchelei, Liebedienerei, ideologischer Einfalt, maßloser persönlicher Überschätzung, Eitelkeit und Opportunismus ausstatteten". Leider ist das Material ebenso vernichtet wie das des zu 80 Prozent bereits abgedrehten Films Ritter des Regens von Dieter Roth und Egon Schlegel, einer Liebesgeschichte zwischen einem Aussteiger und einer angepassten verheirateten Frau, deren Held "sich gegen Formen des Zwanges, der übertriebenen Ordnung und gegen die forcierten Prinzipien wehrt". Nachzulesen in dem vom Jahrbuch veröffentlichten Drehbuch.Dem allem machte das berühmt-berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 ein Ende, spürbar auch für den profiliertesten DDR-Filmkritiker Fred Gehler, heute Direktor des Leipziger Internationalen Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm, der sich im Gespräch mit Ralf Schenk über Auf- und Einbrüche der sechziger Jahre äußert. Nach dem kulturpolitischen Kahlschlag flüchtete die DEFA zunächst einmal aus der problemreichen Gegenwart ins subversiver Konterbande weniger verdächtige Genre-Kino. 1968 kamen gleich drei Kriminalfilme auf die Leinwand. Der Entwicklung dieses Genres, das häufig agitatorisch in Dienst genommen wurde, widmet Michael Hanisch eine detailreiche Untersuchung. Die wird ergänzt durch eine ausführliche Darstellung des politisch instrumentalisierten, aber nach drei Jahren wegen gegenteiliger Wirkung bei einem jungen Publikum aus dem Verleih gezogenen Films Die Glatzkopfbande (1963) und seiner authentischen Hintergründe jugendlicher Randale auf einem Zeltplatz an der Ostsee von Ingo Bennewitz. Zu den Ausweichpositionen nach dem Plenumseinschnitt gehörte neben Musicals und historischen Abenteuerfilmen auch die publikumsattraktive und exportträchtige Serie der Indianerfilme, zu denen der bereits eingangs zitierte Helmut Pflügl konstatiert: "Keine andere Filmfirma hat sich um die historische Richtigstellung des Indianergebildes derart seriös bemüht."Neben Claus Lösers informativer Übersicht zur filmischen Avantgarde Westdeutschlands und Hans-Jörg Rothers Untersuchung des im Westen kaum mehr wahrgenommenen osteuropäischen Kinos nach 1990 darf schließlich das aus Gespräch, kommentierter Filmographie, Dokumenten und Briefen zusammengesetzte Porträt eines der wichtigsten DEFA-Regisseure, Roland Gräf, nicht unerwähnt bleiben, der in Drehbuchausschnitten vorgestellte interessante Nach-"Wende"-Projekte aus Desinteresse von Geldgebern nicht mehr realisieren konnte und zum Schaden des deutschen Films wie andere seiner Kollegen ins Abseits geriet. Trotzdem: Totgesagte leben länger, heißt es. Totgemachte auch: man kann es an der DEFA sehen. 160 ihrer Filme sind heute als Videokassetten erhältlich, 57 sogar in den USA. 30 mal haben sich allein 1999 verschiedene Buchautoren mit der abgewickelten DDR-Filmgesellschaft beschäftigt, und diese im ersten Jahrbuch genannten Zahlen müssen inzwischen schon wieder ergänzt werden. Das bald, diesmal im Bertz-Verlag, erscheinende dritte Jahrbuch der DEFA-Stiftung darf bereits jetzt mit Spannung erwartet werden - nicht nur von DEFA-Nostalgikern.Ralf Schenk/Erika Richter (Red.): apropos: Film 2001. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001, 400 S., mit zahlr. Abb., 17,50 EUR
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