Der Solidarische

Porträt Karamba Diaby sitzt für die SPD im Bundestag. Von den Schüssen auf sein Bürgerbüro lässt er sich nicht einschüchtern
Ausgabe 04/2020
Er kam mit einem Stipendium in die DDR, in Halle studierte er Chemie, um dann über den Nährstoffgehalt in Böden von Kleingärten zu promovieren
Er kam mit einem Stipendium in die DDR, in Halle studierte er Chemie, um dann über den Nährstoffgehalt in Böden von Kleingärten zu promovieren

Foto: TF-Images/Getty Images

Die Rosen in den Einschusslöchern verwelken schon, aber Normalität ist ins Bürgerbüro von Karamba Diaby noch nicht wieder eingekehrt. Eigentlich wäre der Parlamentarier an diesem Dienstag lieber schon wieder zur Bürgersprechstunde hier in Halle (Saale) gegangen, wo Mitarbeiterinnen sechs Tage zuvor Einschusslöcher in der Fensterscheibe mit seinem Konterfei gefunden hatten. Das Büro wollten sein Team und er daraufhin nicht schließen: „Das wollen diese Leute doch“, sagt Diaby. Aber weil er abends bei Markus Lanz über Gewalt gegen Politiker sprechen soll, hat Diaby es an diesem Tag nicht in seinen Wahlkreis geschafft.

Stattdessen erreicht man ihn nachmittags im Zug. Die Verbindung ist schlecht, mehrmals leiern Bahndurchsagen dazwischen. Diaby hält inne, dann sagt er kichernd: „Ich hab wirklich kein Wort verstanden.“ Es ist ein leises, ansteckendes Lachen, ein bisschen Normalität. Auf die Frage, wie es ihm gehe, wird er wieder ernst: „Relativ gut. Ich habe mit dem Thema jetzt viel zu tun. Man kann so was natürlich nicht einfach wegstecken und in den Alltag übergehen.“

Diaby telefoniert dieser Tage viel mit der Presse. Die Anteilnahme ist groß: Von Bürgerinnen über Kollegen bis hin zur Kanzlerin haben sich nach dem Anschlag auf sein Büro viele hinter ihn gestellt. Am Fenster kleben neben den fünf Einschusslöchern nun Botschaften, mit denen sich Hallenser bei ihm für sein Engagement bedanken. Mit Lippenstift hat jemand „nur Liebe“ an die Scheibe geschrieben. Im Netz haben Followerkampagnen ihm mehr Reichweite verschafft.

„Ich will nicht in einem gepanzerten Raum sitzen müssen. Wie soll ich dann noch meine Arbeit machen, nah an den Bürgerinnen und Bürgern bleiben?“, fragt Diaby. Sein Büro ist barrierefrei, für jeden zugänglich und einsehbar, von zwei Seiten normal verglast. Der SPD-Politiker weiß, dass er als Mitglied des Bundestages vergleichsweise hohen Schutz genießt: Mit dem Landeskriminalamt sucht man gerade einen Termin, um eine Sicherheitsstrategie auszuarbeiten. Die Aufmerksamkeit wird eher überregional, wenn es um Angriffe auf Bundespolitiker geht; Kommunalpolitiker sind gesetzlich schlechtergestellt: sie fallen nicht unter Paragraf 188 des Strafgesetzbuches, der „üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ ahndet. Diaby will das ändern und nutzt dafür die Aufmerksamkeit, die er nun hat. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat bereits Unterstützung signalisiert.

In Diabys Büro steht eine Metallskulptur im Regal: Zwei Figuren helfen einer dritten, eine steile Wand zu erklimmen. Diaby war von 2009 bis 2015 Stadtrat in Halle, seit 2013 sitzt er im Bundestag. Zu seinen Themengebieten gehört erst neuerdings auch Integrations-, vor allem aber Bildungs- und Sozialpolitik. Er war der erste in einem afrikanischen Staat – 1961 im Senegal – geborene schwarze Bundestagsabgeordnete. Seine Mutter starb drei Monate, sein Vater sieben Jahre nach seiner Geburt. Als Waisenkind habe er früh erfahren, wie wichtig Zusammenhalt und ein solidarisches Miteinander seien, schreibt Diaby über sich selbst. „Meine ältere Schwester nahm mich in ihre Familie auf und zog mich wie den eigenen Sohn groß. Ihr verdanke ich sehr viel.“ Mitte der 1980er Jahre kam er über ein Studienstipendium in die DDR, belegte einen Deutschkurs und studierte in Halle Chemie. Hier hat er seine Frau kennengelernt, mit der er heute in Halle lebt und zwei Kinder hat. Promoviert hat er in Geoökologie – über den Nährstoffgehalt in Kleingartenböden. Seit 2001 ist Diaby deutscher Staatsbürger.

So wichtig ihm Solidarität ist, so groß ist sein Staatsvertrauen, wenn er sagt: „Wir haben einen funktionierenden Rechtsstaat.“ Diaby fordert eine Klarnamenpflicht im Netz: „Wenn wir auf dem Boden des Grundgesetzes unsere Meinung und Kritik äußern, brauchen wir uns nicht hinter einem Pseudonym zu verstecken“, argumentiert er. „Wir leben in einer Demokratie. Wer unter diesen Spielregeln seine Meinung sagt, muss keine Angst haben.“

Man könnte seinen Fall auch umgekehrt lesen: Immer mehr Menschen fühlen sich bei ihrer Hetze sicher, während demokratische Politiker um ihr Leben fürchten müssen. Wenige Tage vor den Einschüssen kursierte bei Twitter ein Video des rechten Hallensers Sven Liebich, der vor einem Supermarkt Diaby beim Mittagessen belästigt und übel rassistisch beleidigt. Diaby reagiert nicht, lässt sich nicht provozieren, isst weiter. Daneben packt eine Frau ihre Einkäufe ein – ohne einzuschreiten. Sie sei hinterher zu ihm gekommen, erzählt Diaby. „Sie hat gesagt, dass sie sich für solche Menschen schämt, sich aber nicht getraut hat, was zu machen.“ Liebich hat ein Unternehmen für T-Shirt-Druck, er hetzt unter Klarnamen, zeigt im Video sein Gesicht.

Diaby spricht dennoch lieber über Solidarität als über Hass. Nicht nur auf der Straße, auch im Netz solle die demokratische Mehrheit den Rechten zeigen, was sie sind: eine laute Minderheit. Am Abend nach dem rechten Terroranschlag im Oktober, bei dem wenige Gehminuten von Diabys Bürgerbüro entfernt zwei Menschen erschossen worden waren, gedachte er auf dem Marktplatz bei einer spontanen Mahnwache der Opfer. Auf demselben Platz lädt Liebich zu rechten Montagsdemos. „Wenn einmal 5.000 Leute auf dem Marktplatz sagen würden, wir wollen diese Hetze nicht mehr, würden diese Leute nicht wiederkommen“, ist Diaby sicher.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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