Kalkül

Linksbündig Scheibchenweise werden wir an die neue US-amerikanische Kriegsdoktrin gewöhnt

Halbwahrheiten und Lügen sind ein alltägliches Mittel strategischen Handelns, besonders der Politik. Keine Rathaussitzung kommt ohne sie aus. So ist der verbreitete Zynismus hinsichtlich der Aussagen und Versprechungen von Politikern vollkommen berechtigt. Ihm steht aber ein tiefes Bedürfnis nach Vertrauen gegenüber, auf dem Autorität und Folgebereitschaft gründen.

Einem Politiker zu vertrauen bedeutet damit letztlich, ihm zu glauben, dass er für die "richtigen" - nämlich gemeinsam geteilte - Ziele lügt. Seine Anhänger sind dann bereit, ihm (fast) jede Täuschung zu verzeihen - zumindest so lange er Erfolg hat. So legitimiert der Verlauf des Irak-Kriegs diesen offenbar für die meisten Amerikaner, auch wenn die vorher vorgetragenen Kriegsgründe immer unglaubhafter werden. Egal ob diese anfangs schon als Lüge durchschaut oder nur nachträglich als solche akzeptiert werden - die zumal in den USA weitgehend fehlende Empörung zeigt, dass hier weniger eine Täuschung des Publikums, als eine implizite Aufforderung zur Komplizenschaft vorlag: Der Krieg sollte unterstützt werden, obwohl seine wahren Ziele (noch) nicht weltöffentlich artikulierbar oder durchsetzbar waren.

So folgte denn auch bald die nachträgliche Korrektur der Begründungen - schließlich wird die gleiche Lüge kaum ein zweites Mal so wundervoll funktionieren: Wolfowitz´ Äußerung, das Thema "Massenvernichtungswaffen" sei nur ein Vorwand zur Mobilisierung der Kriegsbereitschaft im In- und Ausland gewesen, ist weder ein unbedarftes Eingeständnis, noch eine Vorwärtsverteidigung angesichts fehlender Beweise. Sie ist vielmehr wohl eine genau geplante Etappe in der schrittweisen Gewöhnung der Weltöffentlichkeit an die neue imperiale Kriegsdoktrin der USA.

Deren Legitimation des "pre-emptive strike" bricht ja mit der völkerrechtlichen Definition des Präventivkriegs, die eine "klare und unmittelbare" feindliche Kriegsdrohung voraussetzt. Statt dessen wird nun jede Bekämpfung einer auch nur für möglich gehaltenen künftigen Bedrohung zur erweiterten Selbstverteidigung umdefiniert. Diese wahnwitzige Argumentation hat die FAZ jüngst einfühlsam unterstützt: "Das Problem war nicht, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte, sondern dass unter Saddam nie ganz auszuschließen war, dass sich das Land (irgendwann) welche beschaffen würde." Schon die denkbare künftige Gefahr soll also den "vorsorglichen" Angriff legitimieren. So werden ständige Kriege gegen potentielle künftige Feinde und Rivalen geradezu zur patriotischen Pflicht, so lange sie nur gewonnen werden.

Für die Bushisten setzt denn auch "Sicherheit" die totale militärische Überlegenheit voraus und ist letztlich nur durch eigene Unverwundbarkeit zu erreichen - die zugleich das völlige Ausgeliefertsein aller anderen bedeutet. Dieses geradezu wahnhafte, nicht auf Kooperation und wechselseitig kontrollierbare Verpflichtungen, sondern allein auf Überlegenheit, Einschüchterung und "Abrüstungskriege" setzende Sicherheitsverständnis zielt nicht nur auf die politische, sondern ebenso auch auf die ökonomische Weltherrschaft: Schon lange wird ja die weltweite Kontrolle über Ressourcen und Handelswege in den "erweiterten" Sicherheitsbegriff einbezogen. Die militärisch abgestützte Weltherrschaft der USA soll deren ökonomische Dominanz dauerhaft unangreifbar machen - und damit auch die Extraprofite ihrer die Politik bestimmenden Oligarchie sichern.

Fraglich bleibt allerdings, ob dies Projekt eines globalen amerikanischen Imperiums nicht zwangsläufig, dazu führt, dass sich eine Gegenmacht bildet - Ansätze dazu gibt es ja schon. Aber nicht nur äußerer Widerstand oder eine ökonomische Krise, sondern auch mangelnde eigene Fähigkeit und Bereitschaft zur imperialen Herrschaft könnten das Projekt gefährden.

So stehen Imperium und Demokratie in einem komplexen Spannungsverhältnis: Zwar ist der "Demos" - wie der Imperialismus um 1900 zeigt - durch die Verbindung (pseudo-)moralischer ("white man´s burden") und ökonomischer (Rohstoffe, Absatzmärkte) Begründungen und durch den Hinweis auf rivalisierende Mächte durchaus zur Herrschaft über fremde Völker zu motivieren. Unklar bleibt aber, ob das amerikanische Volk heute wirklich mehrheitlich bereit wäre, eine offen imperiale Politik zu unterstützen und die daraus resultierenden eigenen menschlichen und ökonomischen Opfer zu tragen. Also werden wohl Lügen fürs Imperium noch länger notwendig bleiben.

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