Schicksal Mit der US-Armee im Kosovo gelandet, die älteste Freundin verloren, alles Ersparte weg. Aber Rosi Gäbler-Bumbu sagt: Sei’s drum. Eine Wirtshausgeschichte aus Oberfranken
„Da fühlt sie sich vielleicht des Öfteren als Single auf der sicheren Seite und serviert der Rosi einen Kloß mit Soß“
Foto: Daniel Karmann/dpa
Es war bei Einbruch der Dämmerung an einem Spätsommerabend, als ich Rosi Gäbler-Bumbu traf, die ich bis dahin nicht kannte – eine Freundin der Wirtstochter in einem klassischen alten Gasthaus in Pilgramsreuth, dem Dorfwirtshaus neben der evangelischen Kirche unterhalb des Kornbergs, einer Erhebung des oberfränkischen Fichtelgebirges, wo früher das Försterehepaar Hümmer, deren einzige Tochter später als Zahnärztin die Gegend verließ, ebenfalls einen kleinen Gastbetrieb führte, mit Spezialitäten vom frisch geschossenen Wild und Klößen.
Die Hümmers sind nicht mehr, aber das Gasthaus Luding gibt es noch, einstöckig mit kleinen Fenstern, einem großen Schieferdach und Traditionsgerichten der Gegend wie Geba
d wie Gebackenes Blut oder Wellfleisch mit Sauerkraut, alles in allem ein vom Lauf der Zeit unbehelligter Ort fränkischen Lebens, den auch gern Promis besuchten, wenn im nahen Hof in der Freiheitshalle Fernsehshows aufgezeichnet wurden. Dann fuhr man zum Luding, dem Vater der Wirtstochter, die seine Originalität wohl geerbt hat, und der Hansgorch, der kugelrunde kleine Wirt, setzte sich an den Tisch zu Gästen, die er nicht kannte, und fragte frank und frei: „Wer bist denn du?“Viele ziehen heute wieder in Hotels familiäre Solidität dem „Sterne plus“-Rummel vor, genau wie die alten Gasthäuser, die einen regelmäßig aus der Zeit holen. Sofas für die Seelen wie in Pilgramsreuth bei der Wirtin Christine, bekannt für ihre blonden Dauerwellen und ihre Fähigkeit, sich mit drei Tischrunden gleichzeitig zu unterhalten. Ihr ansteckendes Lachen bezeugt einen angeborenen Optimismus, der ihr über viele Misslichkeiten hinweghilft. Wenn das Öl wieder einmal zu teuer ist, der Winter in der Gegend zu lange dauert oder an ihrem alten, grünen Opel Caravan der Auspuff hustet oder die Hecktür klemmt und sie nicht aufladen kann, um das Fleisch vom Metzger in Hof in die Küche zu schaffen, wo ihre Schwester Friedlinde kocht, von früh bis nachts, und noch nie an Streik gedacht hat. Friedlinde arbeitet backstage und hat nur manchmal Zeit, sich in die Gastzimmerkommunikation einzuschalten.Ruhige DenkbewegungenIn Pilgramsreuth fühlt sich auch Rosi Gäbler-Bumbu zu Hause und hat sich mit der Wirtstochter angefreundet, 70 die eine, 49 die andere und beide reuelos alleinstehend. Rosi stammt aus dem fränkischen Ansbach und „der Gäbler“, wie sie ihren ersten Mann nennt, muss nicht ohne gewesen sein, in jungen Jahren ein Stenz, der mit der Prawda unterm Arm durch Nürnberg spazierte und in Paris ein Literaturstudium seiner Jazzleidenschaft opferte, weshalb Rosi auch Louis Armstrong in den Clubs begegnete. Aber weil er den Jazz – später wurde er dann Arzt – auch ihr vorzog, ging sie für zwei Jahre als Au-pair-Mädchen nach New York.Eigentlich wollte sie Masken- und Kostümbildnerin werden, hatte sich auch mit Theater beschäftigt, und es kam ihr zugute, dass die Mutter vom Gäbler Bibliothekarin war. Das bürgerliche Trauerspiel sei nie ihr Fall gewesen, eher die vorchristliche griechische Tragödie. „Haben uns nicht genau diese Götter zu ihren Abbildern geschaffen, die allesamt keine wirklich guten waren?“ Sie sehe sich zwar selbst zu moralischem Handeln aufgefordert, es aber zugleich von anderen zu erwarten, halte nur auf und führe zu Enttäuschungen. Moral leiste man sich doch heute wie einen malträtierten Hund aus einem Tierheim.Ihre Kleidung ist betont städtisch, und ein leichtes Lispeln gibt der dunklen Stimme und dem Schuss Fränkisch etwas Apartes. Ihren kleinen Toyota Aygo fährt sie unbekümmert, vermeidet aber Rückwärtseinparken nach links. Das entzieht sich ihren Möglichkeiten. Sie kocht raffiniert, gern italienisch, und zitiert Eichendorff und andere aus dem Stegreif.Zu so ruhigen Denkbewegungen kann Christine dagegen nicht ansetzen, weil dazu die Zeit fehlt. Sie steht noch mitten im Wettbewerb. Sind die Gäste weg, sitzt sie über ihren Abrechnungen und den Steuerangelegenheiten. Neulich hat eine Küchenhilfe bei einer Konfirmandenfeier alle Klöße abkochen lassen, dann sind sie außen zu weich und innen zu hart, in Franken eine Art Super-GAU. Es bleibt ihr letztlich philosophisches Lachen. Spaßeshalber haben wir uns früher mal ein superschickes Rotlichtlokal ausgedacht, mitten im Kornbergwald, mit Schlittenabholung im Winter und Jean Genet – und anderen Lesungen als Pflicht. Schließlich hängt sie seit je in ihrem Gasthaus Zeitungen wie Die Zeit auf und ist mit Künstlern oder Schreibern bekannt.Rosis Leben nahm eine ungeahnte Wendung. Im fränkischen Fürth, gleich bei Nürnberg und unweit ihrer Heimatstadt, waren die Amerikaner stationiert. Rosi hatte nach New York keinen Job und ging in die Kasernen, arbeitete zuerst im Lager, dann im Verkauf, stieg zum Store-Manager auf. Eine Frau unter lauter Männern, das war noch nicht die Zeit der Soldatinnen, was ihr, sie musste sich schließlich durchsetzen, eine etwas rauere Schale einbrachte und ihr bisweilen vorgehalten wird.Tiefe Nacht war es und noch immer heiß, als sie aus dem Schlaf schreckte, weil sie Schüsse zu hören glaubte und Detonationen. Da war sie mit der amerikanischen Armee im Kosovokrieg gelandet. „Schlaf weiter“, sagte ihr eine Frau, die sie nicht kannte, von der Pritsche nebenan. „Die sprengen nur die Minen, die sie gefunden haben.“ Sie war im Rang eines Captains, wenn auch unbewaffnet, unterwegs für die Verpflegung aller beteiligten Nationen, im Auftrag der Amerikaner. Kilometerlange Massengräber habe sie gesehen, sagt sie, und immer wieder einen Satz gesprochen, allgemein adressiert an die kriegerische Männerwelt: „Jetzt hört doch endlich amal auf!“Als sie einen Kosovo-Albaner fragte, warum er denn nicht nach Albanien gehe, habe er ihr geraten, diese Frage nicht noch einmal zu stellen. Die Klüfte zwischen diesen Menschen seien unüberbrückbar gewesen, sagt Rosi, die in Militärmaschinen mitfliegen musste, in denen sich in Hängematten schweigend die Soldaten gegenübersaßen, nicht einmal eine Toilette an Bord, nur hinter einem Vorhang ein Eimer. Oder sie bewegte sich mit Konvois, ein Jahr lang ohne einen freien Tag. Angst habe sie nicht gehabt und auch nichts bereut. Sie habe doch das Leben kennengelernt. Wenn auch in großer Hitze streng hineingezwängt in eine Uniform, die man nicht ablegen durfte. Sexuelle Kontakte in der Truppe waren eigentlich verboten, aber sie habe haufenweise Kondome verkauft. Im Bunker sei gebumst worden, dass die Wände wackelten. Und die Verpflegung sei hervorragend gewesen, man musste ja die Leute bei Laune halten, rund um die Uhr.Zum Solidarischen befähigtEinmal habe sie eine Krankenschwester zu den Ärzten gerufen: „Come, Rose! We have a german patient!“ Da wurde ein Schäferhund behandelt, der als Suchhund durch eine Mine ein Bein verloren hatte. Man hat ihn versorgt und mit der nächsten Maschine nach Ramstein ausgeflogen. Das sei inmitten der Zerstörung und größten Verrohung ein besonders anrührender Moment gewesen. Die Sehnsucht nach einem liebenden Umgang mit der Kreatur und anderen Umständen. Mitten im Lager sah sie zwei Soldaten Tango tanzen. Perfekt. Für sie war es der Kommentar schlechthin.Später in Afghanistan habe sie das Lager nie verlassen dürfen und im Grunde nichts gesehen, alles sei viel strenger gewesen. Nach allen Erfahrungen sei sie jedenfalls nicht in der Lage, am Ende ihres Lebens auf nette Oma zu machen, die auf Kaffeekränzchen umstellt. Obwohl sie eine einfühlsame, zum Solidarischen befähigte Frau ist.In der Liebe blieb das Glück aus. Nach Gäbler kam Bumbu, ein Rumäne, der es nur auf einen Pass und ihr Geld abgesehen hatte, überdies aggressiv. Jetzt hatte sie manchmal wirklich Angst. Aber dann wurde sie „vom Blaumeier“, einem Schulfreund, der inzwischen Richter war, schnell und relativ problemlos geschieden, schon wegen Bumbus tätlicher Übergriffe.Sie sei nach der Scheidung allerdings nicht zum Analytiker gerannt, weil sie Frauen sowieso nicht verstehen könne, die glauben, sie seien der einzige Scheidungsfall im Universum. Das Leben habe aber so seine Seiten, und der Bumbu war das schiere Pech, wie es nun einmal vorkommt. Und ihre größte Liebe, ein Architekt aus Venedig, den sie in einem leeren Hotel außerhalb der Saison in Rimini kennengelernt hatte, bekam schließlich ein Kind mit einer Venezianerin. Aus die Maus. Man könne eben nicht alles haben, sagt sie, was auch bei Christine zutrifft. Auch ihre Begegnungen mit der Männerwelt waren keine Glücksgriffe. Aber auch sie hat sich nicht damit aufgehalten, sich als Opfer zu verstehen. Eher so, wie es in einem Wiener Lied heißt: „Wenn der Herrgott ned will, nutzt des gar nix. Sei ned bös, ned nervös, sag, es war nix.“ Außerdem kennt sie als Gastronomin die Geschichten der anderen. Da fühlt sie sich vielleicht des Öfteren als Single auf der sicheren Seite und serviert der Rosi einen Kloß mit Soß.Die lebt jetzt in dem oberfränkischen Städtchen Selb, früher durch die Porzellanfabrik Rosenthal bekannt, nicht weit von Pilgramsreuth entfernt. Sie hatte mit einer anderen Freundin, ihrer „Lebensfreundin“, ausgemacht, wenn es zum Rentenalter kommt, zieht die von beiden, die allein ist, der anderen nach. Die Lebensfreundin hatte inzwischen in Selb einen Arzt geheiratet, und so zog Rosi ins Fichtelgebirge. Aber dann kam es zu einer Situation, wie man sie aus Dramen Thomas Bernhards kennt, wo ein ungeklärter Fleck im Badezimmer eine lebenslange Feindschaft bewirkt.Rosi führte den Hund ihrer Lebensfreundin aus, es kam zu einem von ihr nicht verschuldeten und geringen Unfall. Die Folgen verursachten vor vier Jahren das Ende der Freundschaft. Kein Wort wurde mehr gewechselt. Auch ihre Wohnung hat sie verloren, durch einen mobbenden Vermieter, und musste umziehen. Eine Glaukom-Operation wurde glücklich überstanden.Jetzt begegnet man ihr immer mal wieder bei Einbruch der Dämmerung im Gasthaus Luding, wo sie ihre Freundin Christine trifft. Sie lebt von einer schmalen Rente, und ihr Erspartes wurde durch eine schlechte Finanzberatung vernichtet. Männer, Banken, Trennungen – die können die beiden nicht stoppen: „Man muss sich mal vorstellen, ich wäre in Ansbach hocken geblieben. Jeden Tag Ansbach“, sagt sie.Es ist schon spät, und Christine schließt ihr Wirtshaus zu: „Ich bin gern da, das ist doch mein Zuhause.“ Und zum Abschied sagt Rosi: „Das Happy End ist in einem oder nirgends.“
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