In Wien wird die Kultur von der MA 7 verwaltet, eine von vielen Magistratsabteilungen. Als Claus Peymann in den achtziger Jahren als Direktor an das Burgtheater kam, wurde die MA 7 von der Kulturstadträtin Ursula Pasterk geleitet, genannt „die rote Ursel“, wegen ihrer Haarfarbe und ihres SPÖ-Parteibuches. In Retz, im Weinviertel, wo der heutige Staatsdramatiker Peter Turrini damals schon seinen Landsitz hatte, erholte sich auch die rote Ursel von den Wiener Intrigen, zusammen mit einer Katze.
Der inzwischen legendäre Helmut Zilk war damals Bürgermeister, vorher selber Kulturstadtrat, gut befreundet mit Falco und verheiratet mit dem Operetten- und Musicalstar Dagmar Koller. Er, ein aufgeklärter, kunstinteressierter Patriarch und die „Dagi“, eine Lady mit anarchischen Zügen, die sich wenig verbieten ließ. Wenn das Ehepaar nachts alkoholisiert und laut streitend durch die Naglergasse nach Hause zog, amüsierte sich toute Vienne. Am nächsten Tag aber wusste jeder wieder genau, was er wollte, und auch Ursula Pasterk verbrauchte nicht ständig Arbeitskreise, um Entscheidungen zu treffen. Peymanns Pressekonferenzen und Hausmitteilungen sorgten ständig für Aufreger. Es war eine kurze, gute Zeit, in der Wien eine offene Stadt war.
A Brez’n eing’fahrn
Inzwischen triumphiert längst die Restauration. Bürgermeister Häupl versteht vor allem etwas von Fußball und in der MA 7 geht Andreas Mailath-Pokorny als leitender Kulturstadtrat abermals in seine nächste Amtszeit, ein hochgewachsener, schlanker, angepasster Mann, genannt „der Lange“. Er besitzt keine definierende Kraft und, insofern ein typischer Wiener, keine Streitkultur. Ob er etwas von Fußball versteht, ist nicht bekannt, von Theater versteht er jedenfalls gar nichts. Was hat dieser Parteifunktionär nicht alles vergeigt! An eines der großen Schauspielhäuser Wiens, das Theater in der Josefstadt, hat er vor Jahren mit Hans Gratzer einen relativ erfolgreichen Kellertheaterchef gerufen. Der ganzen Branche war klar, dass es in die Hose gehen würde. Das Desaster war dann noch größer als erwartet.
Das Wiener Volkstheater, ein Haus mit Geschichte, hat Mailath-Pokorny durch die Berufung von Michael Schottenberg blockiert, der von ihm inzwischen für außerordentliche Erfolglosigkeit mit einer zweiten Amtszeit ausgezeichnet wurde. Der gute, alte Schotti, der immer noch dem sozialkritischen Anspruch hinterherhascht, ein Roter wie der Lange! In Wien wird Können nicht selten als Affront und Arroganz empfunden, weil das auch andere auffordert, Bequemlichkeiten aufzugeben und Leistung zu zeigen. Da ist man schnell „kaana von uns“. Schottenberg aber ist einer von ihnen. Paulus Manker aber, der sich auch um das Volkstheater beworben hatte, ein Wiener Künstler mit internationaler Reputation, Sohn des früher erfolgreichen Volkstheaterdirektors, wurde abgelehnt, weil er klare Vorstellungen hatte und schlimmer noch: Visionen. Da schlotterte der Lange in seinem Armani-Anzug und griff auf den Schotti zurück.
Zeit, den Löffel abzugeben
Auch eine Kleintheaterreform hat der Kulturstadtrat mithilfe eines bizarren Beratergremiums in den Sand gesetzt. Zur Neuberufung eines Intendanten der Wiener Festwochen fiel ihm gerade ein, dass das Amt nur noch auf jeweils drei Jahre vergeben werden darf. Die Festwochen müssten jung bleiben. Kann man einer geballten Festivalladung von sechs Wochen Dauer in drei Jahren Profil verleihen und das Profil auch noch durchsetzen? Wie jung ist Mailath-Pokorny? Will er als Gold-Daddy minderjähriger Intendanten in die Geschichte eingehen? Das alles muss gesagt werden, wenn schon von Wien als der angeblich großen Theaterstadt die Rede ist. Es ist hier wie anderswo. Bevor Theater stattfinden kann, entscheiden unzuständige Politiker, beraten von Gremien, die sie sich nach ihrer Interessenlage zusammensetzen. Erst wenn die Fehlentscheidung getroffen ist, geht der Vorhang hoch.
Am Theater in der Josefstadt herrscht inzwischen Herbert Föttinger, der für eine Supermarktkette Werbung macht: „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“ Als die Altvorderen des Hauses um Otto Schenk begriffen, dass die Zeit gekommen war, den Löffel abzugeben, weil das Theater tief in seiner Vergangenheit versank, setzten sie eine Hausberufung durch. In der Josefstadt hatte er Karriere gemacht, nirgendwo sonst wäre er vergleichbar eingesetzt worden, er war zu Dank verpflichtet, und so kürte man Föttinger. Überrascht, dass er sich schnell emanzipierte.
Rau geht es zu in Föttingers Reich. Als ich aus Freundschaft und Überzeugung Heribert Sasses Inszenierung von Brechts Die Judith von Shimoda dramaturgisch betreute und Föttinger meinen Programmheftentwurf vorlegte, schrie er: „Des brauch i ned! I brauch des ned! Des is mei Haus!“ Er sprach von „pudern“, und dass ein Programmheft sexy sein müsse, was bei einem alten Brecht’schen Lehrstück, das aus Gründen der Verfremdung in Japan spielt, schwer zu machen ist. Comedyreif waren die Szenen nach der Premiere. Zwischen Föttinger und Peter Kern, der einen amerikanischen Botschafter spielte, war es offenbar zum Streit gekommen. „Hau ab, du fette Sau“, schrie Föttinger. Und Kern brüllte zurück: „Ich hol’ die Polizei!“ Der matte Schlussapplaus veranlasste Sasse zu der kleinlauten Vorahnung: „Da hamma uns a Brez’n eing’fahrn.“ Ob ich mir das weiter antun wolle, fragte mich ein alter, schon alkoholisierter Freund, der gerade arbeitslos geworden war und rief: „I kauf da die Hütt’n!“ Dann gab es einen stilvollen Empfang beim japanischen Botschafter.
Kürzlich zeigte die Wiener Theaterzeitung Die Bühne Föttinger in Grübler-Pose, daneben stand in großen Lettern: „Der Visionär“! Genau das ist er nicht, er ist ein geschickter Macher, der ein besonderes Wienerisches Theater, von dem man glaubte, dort sei der Schnitzler-Ton zu Hause, und in dem sich Publikumslieblinge wie Otto Schenk, Fritz Muliar oder die schreckliche Elfriede Ott als Rampenkünstler sonnten und es eigentlich egal war, was gespielt wurde – der dieses Haus sachte reformiert. Aber was die Bühne angeht: In Wien feiert man einander gerne auf skurrile Weise und hebt sich empor, bevor man den anderen dann fallen lässt. Denn die Grundhaltung der Stadt ist der Verrat.
Nepotismus nachsagen
Man schätzt im Grunde einander nicht. Da war dann der angenehmste Ausweg, sich einfach zu überschätzen. Es soll sowieso alles groß und international sein im Zwergstaat und seiner Metropole weitab vom Schuss. Deshalb wird auch die Verleihung des Nestroy-Theaterpreises als Oscar-Verleihung inszeniert, mit roten Teppichen, Briefe aufreißen und „The Winnner is.“ Man hat eigens eine Akademie mit über 300 Mitgliedern berufen, aus Gewinnern, Nominierten, Kainz-Medaillen- und Nestroyring-Trägern. Viele kennen die Aufführungen, um die es geht, überhaupt nicht, was in Wien natürlich niemanden daran hindern kann, abzustimmen. International wird dieser Preis nicht beachtet.
In Wien herrscht eine Mischung aus Großmannssucht und Schlendrian. Das zeigt sich in der Kulturpolitik, ist aber längst selber Wiener Kultur geworden. Einmal wurde ich in eine Literaturjury berufen. In einer ersten Sitzung, dachte ich, würden die Juroren ihre Vorschläge präsentieren und in der zweiten alle gut vorbereitet darüber diskutieren und abstimmen. Aber die erste war schon die letzte Sitzung. Irgendwie hatte man sich rasch geeinigt.
Das Burgtheater leitet zur Zeit mit Matthias Hartmann ein sehr deutscher Regisseur. Als neulich Burgstar Birgit Minichmayr, eine Österreicherin aus Linz, die Titelrolle in Frank Wedekinds Lulu zurückgab, kam sein angeblich selbstherrlicher Führungsstil ins Gerede. Aber geht es, siehe Föttinger, nicht an vielen dieser Häuser zu wie in Heimen für schwer Erziehbare? Da krachen die Egomanen aufeinander. Die Theater sind nun mal keine moralischen Anstalten. Sie führen, wie es heute üblich ist, ein Doppelleben. Sie werden subventioniert für Kultur, Bildung und Widerspruch, aber seit sie sich ohne Not liberalistischen Tendenzen geöffnet haben, mit ein- und ausfliegenden Stars und Nobelregisseuren, verraten sie auf dem Quotenstrich ihre Bestimmung und haben sich im Wesentlichen aufgegeben.
Was in Wien allerdings niemandem auffällt, weil hier sogar die Musical-Theater subventioniert werden.
Hartmann sagt man Nepotismus nach. Die Jugendschiene des Hauses betreut seine Schwester zusammen mit seinem Schwager. Auch seine Frau inszeniert. Ein erfundenes, satirisch angelegtes Interview in der Wiener Stadtzeitung Falter versucht Hartmann zu beenden, weil er seine Kinder abholen müsse. „Vom Kindergarten?“, fragt der Journalist. „Von der Probebühne“, antwortet Hartmann. Aber das ist letztlich überall so, wo sich wie selbstverständlich Ehen und andere Verhältnisse auf den Besetzungszetteln spiegeln. Diese Freunderlwirtschaft verbirgt sich wenigstens nicht im Hinterzimmer wie sonst in Wien.
In Wien war früher der Burgdirektor so berühmt wie der Bundeskanzler. Schwer zu sagen, ob das noch so ist, aber den Namen des abschreckend blassen derzeitigen Regierungschefs Faymann merkt sich so mancher doch nur, weil er an Peymann erinnert. Theaterstadt Wien. Der Glanz verblasst. Die Profiteure obsiegen. Die Profiteure bestimmen. Die Zuschauer kommen noch.
In der MA 7 sitzt der Lange und besucht wahrscheinlich die Premieren von Schottenberg. Ein Zeichen von Unermüdlichkeit. Denn die entgehen selbst dem fleißigsten Fachmann.
Helmut Schödel ist Dramaturg und Autor in Deutschland und Österreich
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