Der Franke About Schmidt, oder von einem Menschenschlag, der es mit seinem Hang zum Original immer versteht, sich sich wie einst der Dichter Jean-Paul eine Idylle zu schaffen
Was mich in meinem Leben am wenigsten interessierte, waren Leute mit Geld und Sportler. Mit beiden brachte ich die Schmidts in Verbindung. Ich wohnte damals, noch Schüler, im Bahnhofsviertel von Hof, fünf Menschen in drei Zimmern mit einer kleinen Küche, und in Sichtweite stand ein sehr viel schöneres Haus, eben keine Mietskaserne – das war der Wohnsitz der Schmidts, unten drin eine Filiale der Schmidt-Bank, an der sie, obwohl sie nur zufällig diesen Namen trugen, Anteile hielten. Einer der Söhne war ein famoser Sportler, und weil ich schon damals sicher war, dass Sport dem Faschismus näher ist als meinen Vorstellungen vom Leben, worin ich mich sehr viele Jahre später durch Elfriede Jelineks Sportstück, einem Lieblingsdrama, bestätigt
igt fand, hatte ich, noch bevor ich sie wirklich kennenlernte, mit den Schmidts abgeschlossen. Somit auch mit Eberhard Schmidt, der vier Jahre älter ist als ich, und den ich, obwohl in derselben Schule, dem Hofer Jean-Paul-Gymnasium, von denselben altfaschistischen Unpädagogen gedemütigt, gar nicht kennenlernte.Später hörte ich über ihn, was ich mit den Schmidts nie in Zusammenhang gebracht hätte, dass er sich in einem alternativen Buchladen, den er inzwischen in Hof betrieb, ganz unorthodox zur Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler geäußert habe. Er hatte sich noch in derselben Nacht einen Kondolenzkranz besorgt, ihn in die Auslage gestellt und darüber geschrieben: „Wir trauern um Deutschland“. Darunter war ein Buch von Willy Brandt platziert: Links und frei. Das nennt man dann meinetwegen ruhig Sportsgeist, wenn man sich, um sein Unbehagen zu veröffentlichen, die betuchte Kundschaft vergrault.Es gab damals auch eine von der lokalen Theaterkritik wenig geliebte Schauspielgruppe, das „theater k“, deren Aufführungen ich mir bei Besuchen zuhause gerne anschaute. Auch der heutige Wiener Burgtheater-Star Markus Hering spielte damals mit. Und Eberhard Schmidt. In Dario Fos Mama hat den besten Shit."Goethe frisset entsetzelich"Aber getroffen habe ich ihn erst vor ein paar Jahren, weil er im fränkischen Joditz, wo der Dichter Jean Paul als Pfarrerssohn seine glücklichsten Jahre verbrachte, das Jean-Paul-Museum eröffnet hatte, am hinteren Ende eines restaurierten Vierkanthofs mit Fachwerk, in einem damaligen Weberhäuschen, das dort steht, wo früher der Pfarrgarten war, Jean Paul das Lateinische studierte und der Vater seine Predigten vorbereitete. Neulich legte mir Eberhard Schmidt meine Eintragung von vor ein paar Jahren in sein Gästebuch vor: „Ich bin ein Opfer des Jean-Paul-Gymnasiums. Was müssen das für Leute sein, die sich mit diesem Autor beschäftigen.“ Eigentlich hätte es heißen müssen: „Was müssen das für Leute gewesen sein, die es wagten, diese Zuchtanstalt nach diesem Autor zu benennen.“Jean Paul war alles andere als ein Spießer und überhaupt kein Philister. In seiner Zeit ein Erfolgsautor, den Frauen wie dem fränkischen Bier gleichermaßen zugetan. Von seiner „Erziehlehre“ hätte man sich im Jean Paul Gymnasium viel abschauen können, um es besser zu machen. Als er zwei Jahre lang in Goethes und Schillers Weimar lebte, notierte er: „Schon nach drei Tagen in Weimar bin ich nicht mehr dumm, ich habe meine Achtung vor diesen großen Menschen verloren, selbst Goethe frisset entsetzlich.“Der fränkische Mensch, sofern er sich aus seiner Kartoffelklöße verschlingenden Umgebung und dieser Begabung zum Stumpfsinn im Winkel heraushebt, hat eine Tendenz zum Kauz, zum Original. Wie auch Jean Pauls berühmteste Figur, das Schulmeisterlein Maria Wutz, der sich in beschränkten Verhältnissen eine Art Idylle schuf, sich einfach auf sein Essen freute und gern im seinem Bett versank. „Schon vor dem Tode ruhete er sanft“, schreibt Jean Paul, der bei größter Belesenheit das Genießen nicht vergaß und dem Bier in seinem Leben eine Vorrangstellung einräumte.Kein Buchverkauf nach LadenschlussAuch Eberhard Schmidt ist kein Sektierer und betreibt seine Jean-Paul-Studien mit persönlicher Begeisterung, ein schlanker Mensch Anfang 60, der vornehmlich in roten Jeans auftritt, gradraus redet und eine schöne Geistesgegenwart verkörpert, sich nicht in die Welt von Jean-Paul zurückzieht, sondern mit dem Dichter durchs Leben reist, und Joditz, wo er mit Freuden am Dorfleben teilnimmt, immer wieder für ein paar Wochen den Rücken kehrt, weil ja zu jeder Landschaft, auch der fränkischen, ein Horizont gehört, der die Frage nach dem Was-liegt-dahinter? stellt.Herr Schmidt lebt mit Frau Schmidt zusammen, Enkelin eines evangelischen Pfarrers, Tochter eines Landarztes, und die Mutter saß an der Orgel im nahen Regnitzlosau. Sie besuchte das Hofer Mädchen-Realgymnasium, das damals vulgo „Der Besenstall“ genannt wurde, kehrte nach journalistischen Versuchen bei der Frankenpost dem Gewerbe, das sie als besonders anstrengend empfand, den Rücken und zeichnet ganz hervorragend. Verfügt über gezeichnete Tagebücher und versteht durchaus, dass sich die meisten beim Entziffern von Jean Pauls Satzperioden heute schwertun. Sie hat es geschafft, ein harmonisches bürgerliches Weltbild mit einer Neugier auf alles Andere zu verbinden. Nicht umsonst läutet schon ab und zu ein Besucher am Schmidtschen Anwesen, um dessen Bewohner kennen zu lernen, nicht nur um etwas über Jean Paul zu erfahren oder den Christus in der Kirche gegenüber zu betrachten, der dem Pfarrer sein nacktes Hinterteil zeigt.Natürlich blieb auch Eberhard Schmidt schon als Buchhändler nicht von den alltäglichen Banalitäten verschont. Als er damals die Broschüre Lieber krank feiern als gesund schuften verkaufen wollte, musste er 300 Deutsche Mark an die Förderer des damaligen Hofer Kleinzoos zahlen und ebenso viel an diverse Schulen. Schnell erregte er durch sein Engagement, wenn er auch zu Veranstaltungen einlud, den Zorn der Behörden: „Geschäftlicher Verkehr mit den Kunden ist dann gegeben, wenn eine Verkaufstätigkeit in der Verkaufsstelle stattfindet.“ Also kein Buchverkauf nach Ladenschluss.Einweihung einer Schmidt-BankEr war bei den Anti-Atomkraftprotesten im oberpfälzischen Wackersdorf dabei, wie wir alle, und wurde mit Tränengas beschossen und von Hubschraubern aus gefilmt, in Zeiten der Berufsverbote, in Franz-Josef-Strauss-Zeiten, und bei den Ostermärschen der „Friedensgruppe Hof“. Das ist inzwischen der Stoff, aus dem die Veteranenschnurren der Altfreaks sind, aber er hat sich dem allen wohl immer durch die Einsicht in die Notwendigkeit unterzogen, genauso wie er es zu Recht als Notwendigkeit empfindet, einen so wesentlichen Dichter wie Jean Paul zu verstehen, wenn wir Mitteleuropa bleiben wollen.Im Gästebuch des Museums finden sich allerdings Grußadressen an den wohl schwer zu buchstabierenden „Schoo Paul“ und im Archiv Pennälerarbeiten, die behaupten, dass er, der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß, sich sein Pseudonym von Jean-Paul Sartre abgeschaut habe. Immerhin hat man versucht, sich Jean Paul zu erklären.Vor ein paar Wochen hat Eberhard Schmidt eine neue Schmidt-Bank eingeweiht. Eine hölzerne Bank zum Rasten auf dem Weg von der nahen Fattigsmühle nach Joditz, inzwischen das Mekka der Jean Paulianer.Im Museum finden sich Originalausgaben, Übersetzungen und kuriose Überraschungen: Schriften, die man zur Zeit in Deutschland eher schwer bekommen kann, sind auf japanisch, zum Beispiel, sofort verfügbar. An Devotionalien mangelt es Gottseidank, schließlich sind die Ohrensessel und Schränke des Meisters nicht gesammelt worden. Was das Museum ausmacht, ist der Ort, der Originalschauplatz, die Atmosphäre des fränkischen Winkels. Das Jean-Paul-Museum ist kein Grüner Hügel, auf dem man im nahen Bayreuth Richard Wagner huldigt, sondern ein lebendiger und geselliger Platz mit freundlichen Gastgebern.
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