Mehr als zwei Jahrzehnte habe ich einen Bogen um ihn gemacht, wie um viele Schauspieler, deren Egos sich vor mir auftürmten wie heute der Burj-Chalifa Tower in Dubai, flankiert vom narzißtischen Expressionismus ihrer Selbstdarstellungen, und dann noch er, mit seinen zwei Zentnern und dieser voluminösen Baßstimme, die etwas Donnerndes hat und jederzeit aus ihm herausbrechen kann, wie sich später herausstellte – das alles bewog mich, sofort an einen geordneten Rückzug zu denken. Einmal kam er bei den Hofer Filmtagen, die ich als Berichterstatter besuchte, mit schon geröteten Froschaugen nach vier Filmen pro Tag, damals durfte im Kino noch geraucht werden, auf mich zu und lud zu einer Mitternachtsvorstellung seines Films ein, mit dem Blick und im Tonfall des gebürtigen Wieners, der er ist, und der mir bedeutete: „Kummst eh ned, du Oarsch!“ Schon war ich verschwunden. Wenn man sich weigert, die anderen kennenzulernen, bleiben sie eben einfach Monster, ein Grundprinzip der Xenophobie.
Als ich vor fünf Jahren wieder nach Wien zog und er von Deutschland und der Welt, wo er sich aufgehalten hatte, dekoriert mit Bundesfilmpreisen, in seine Geburtsstadt zurückkehrte, traf ich Peter Kern immer wieder in den Kaffeehäusern, weil es in Wien im ersten Bezirk und in der Josefstadt sowieso unmöglich ist, Schauspieler nicht zu treffen. Wiens gesellschaftliches Leben ist schrecklich überschaubar. Wie sich herausstellte, war das Monster ein offenbar freundlicher Mann, aus dem immer wieder ein Hass auf Wien herausbrach, das ihn keineswegs als erfolgreichen Sohn umarmte, ganz im Gegenteil, obwohl man ihm jetzt, auch ganz klassisch, das goldene Ehrenzeichen der Stadt anstecken wird, wie früher wahrscheinlich schon Hans Moser.
Aber der Weg zur Finanzierung neuer Filme war mehr als mühsam, einen Raum für seine Theaterprojekte bekam er nicht. Er hatte zwar für Rainer Werner Fassbinder, Werner Schroeter, Hans Werner Geißendörfer, Helmut Dietl oder Peter Zadek gespielt, zusammen mit Ingrid Caven, Andrea Ferreol, Jean Seberg, Hanna Schygulla, Geraldine Chaplin. Aber Wien ist ein Klüngel, eine nach außen abgeschirmte große Parteibuch-Provinz, und Kern galt ihnen eher als berüchtigt denn berühmt, einfach auch durch seine der alten Protestkultur entlehnte Aufmüpfigkeit und sein militantes Auftreten für die Homosexuellen, was in Österreich immer noch schwieriger ist als in Deutschland. Wien ist als Hauptstadt der Spione aber nicht auf offene Konflikte eingestellt, sondern auf Tücke und List, aber Kern plärrte los, bisweilen offensiv ordinär und ganz ohne Taktik, und schoss sich in der Stadt des Opern-Balls ein Eigentor. Man muss ein Schauspieler bleiben in dieser Stadt, nicht nur auf ihren Bühnen.
Wien liebt nur sich selbst
Man saß also in den Kaffeehäusern, diesen herrlichen Kaschemmen der Melancholie. Kern träumte, Kern klagte. Zwischendurch der Schmäh des Oberkellners. Kern wirkte wie ein Mensch, der einen Filmtitel von Fassbinder zitierte: „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt.“ Es schien, als wolle er sein Begehren durch die Bestrafung der Lieblosen verwirklichen, aber auch Wien ist selber ein Narziss, liebt nur sich und hat wenig zu geben an Andere. Verliebt sich gern in Künstler, die anderswo keiner will, weil es sie dann ganz für sich hat, zum Beispiel den Josefstadt-Intendanten Föttinger oder den Volkstheater-Direktor Schottenberg, als wolle man die Warnung meiner Mutter beherzigen: „Die Schönen und Guten hast Du nie für Dich alleine.“
Peter Kern, Jahrgang 1949, ist im zweiten Wiener Gemeindebezirk mit Blick auf den Donaukanal in proletarischem Milieu aufgewachsen, der Vater kommunistisch, die Mutter Hausfrau und liebevoll zu ihrem „Schurli“, der sich einer kaufmännischen Ausbildung unterzog und nebenbei Laientheater spielte, und dem ihr Kartoffelgulasch auch später noch besser schmeckte als die Austern bei den glamourösen Filmpartys. Gleich ums Eck war das „Nestroy“- Kino, wo Kern seinen ersten Film sah, „Die Nacht vor der Premiere“ mit Marika Rökk, was ihn wohl bewahrte, sich restlos dem Höhenschwindel der Hochkultur zu überlassen und den Kitsch zu vergessen, ohne den das Leben noch trauriger wäre. Auch wollte er nie zum „Klassenverräter“ werden, wie er sagt, seine proletarische Herkunft nicht vertuschen, was ihm in der Opernballstadt, zumal er zu Übertreibungen neigt, das Leben nicht erleichtert. In der Vorwendezeit genoss Kern seine künstlerische Arbeit in Gruppensituationen, familiär einerseits und zum anderen voller Streit und Irrsinn, aber weit entfernt von den Rendevous mit der Einsamkeit von heute, schwebte durch die somnambulen Filme des genialen Daniel Schmid, immer in weitestgehender Quotenferne, spielte mit Jean Seberg in Geißendörfers Wildente und später natürlich auch bei Christoph Schlingensief. Er drehte selber Filme über die schwule Subkultur von Düsseldorf, wo er eine Zeitlang lebte oder später Low-Budget Filme wie Donauleichen.
Streicheln wie einen Hund
Im tiefsten Ottakring, dem 16ten Wiener Gemeindebezirk, dort, wo er sich noch nicht zum Heurigen Vorort verzaubert, drehte er in einer aufgelassenen Schlosserei. Es war nicht unwichtig, dass sich in unmittelbarer Nähe ein himmlisches Wiener Beisl befand, mit hervorragenden Schinkenfleckerl, denn das Essen nimmt viel Raum in Kerns Leben ein, große Teller mit viel drauf, obwohl ihn das Wenigste zufriedenstellt, und wenn bei den Dreharbeiten einmal die belegten Semmeln aus waren, ihn aber die Lust überkam, in eine hineinzubeißen, dröhnte sein Fluchen wie Donnerhall durch den Raum. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass die junge Hauptfigur von Donauleichen der Sohn eines Metzgers ist, der allerdings seine miesen Eltern schlachtet und dann triumphierend singt: „I did it!“ Peter Kerns Autobiografie heißt eben nicht umsonst: „Jeder bekommt sein Fett weg.“
Manchmal lud er mich ein, ihn zu offiziellen Terminen zu begleiten, kleine Events längst vergessenen antiautoritären Verhaltens. Es begann mit dem, was Harry Rowohlt bei seinen Auftritten die Einschleimphase nennt, und endete in Blitz und Donner. Auch beharrt er kraftvoll darauf, jedweden über sein Missvergnügen oder sein Befinden überhaupt Auge in Auge zu informieren und sein Defizit an Liebe darzustellen. Denn er ist nicht nur „fresssüchtig“, wie er sagt, sondern auch liebessüchtig, und dabei sind offensichtlich Defizite zu beklagen. Neulich habe er in einem Wellness-Hotel in der Steiermark einen Kurzurlaub verbracht und entdeckt, dass alle Gäste den Hund des Hotelchefs an einem der ersten Tische streicheln und dann gefragt, ob er sich dort hinsetzen könne. Vielleicht würde man ja auch ihn streicheln. Man darf ihm das glauben.
Im BMW mit Blaulicht
Der Höhepunkt meiner Kern-Recherche war dann, als ich selber bei ihm „spielte“, in einer für den ORF geplanten Comedy-Serie, „Die Kulturpolizei greift ein“, gedacht als kritischer Beitrag zum restaurativen Klima in Wien. Wir rückten aus, um jedes Wiener Kulturereignis, sobald es sich auch nur ankündigte, im Keim zu ersticken. Auf Kerns BMW hatten wir ein Blaulicht montiert und wurden dann in der Stadt von der Polizei gestoppt. Das österreichische Fernsehen ließ es aus notorischer Mutlosigkeit bei einer einzigen, allderdings zensierten Sendung bewenden, obwohl auch der berühmte Karikaturist Deix mit von der Partie war. Aber wir hatten einen hohen Kulturfunktionär der Stadt als Maus über seinen Schreibtisch laufen lassen, und das war dann wohl zuviel.
Peter Kern hatte sich inzwischen entschlossen, sich durch Reduzierung seiner Ausgaben unabhängig zu machen und bezog die 40 Quadratmeter kleine Gemeindebauwohnung seiner verstorbenen Eltern in der Wiener Großfeldsiedlung, sozusagen Plattenbau mit hohem Ausländeranteil, schaute vom letzten Stock über die sozial schwierige Schlafstadt und drehte seinen Film Blutsfreundschaft, der jetzt im Panorama der Berlinale gezeigt wird.
Die Hauptrolle spielt Helmut Berger, der sich gern als Viscontis Witwe bezeichnet, und ich bin froh, bei den Dreharbeiten nicht dabei gewesen zu sein. Da stießen sich vermutlich die Egos hart im Raum. Aber schon Bergers erster Auftritt, wenn er die Straße vom Bäcker herunterkommt und um die Ecke biegt in sein Reinigungsgeschäft, das eigentlich schon ein Reinigungsmuseum ist, bleibt einem als ziemlich wundersam im Gedächtnis. Berger kommt einem vor wie ein somnambuler Außerirdischer, der früher einmal gelebt haben muss und jetzt dafür Buße tut. So ungefähr ist es dann auch. Der Mann hat als Jugendlicher bei einem Gestapo- Verhör seinen schwulen Freund verraten, dessen Hinrichtung er beiwohnen musste, wird jetzt wieder als Homosexueller von Neo- Nazis bedroht und versucht einen jungen Mann vor dem brauen Klüngel zu retten. Kerns Film setzt auf den Triumph der Gefühle über die Kälte der Wiederholungstäter, auch wenn der alte Reinigungshändler die Rückkehr des Schreckens nicht überlebt. Blutsfreundschaft ist ein sehr persönlicher Autorenfilm, wie man ihn uns heute kaum noch gönnt.
Peter Kern ist sich über die Jahrzehnte treu geblieben, hat das durchschnittliche Bürgerleben und erst recht seine Spießer als bedenkliche Abweichung von den eigenen Mustern empfunden, wohl nicht zu unrecht, und entsprechend reagiert. Das ist angesichts der Verhältnisse über alle Maßen ungewöhnlich. Man kann es getrost bewundern.
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