Es war mir mit Hilfe einer Freundin gelungen, eine Besuchserlaubnis in der Grazer Haftanstalt Karlau zu erwirken, um Nummer 25/92 zu treffen, einen Lebenslänglichen. Ich saß in einem engen, kargen Raum und wartete, bis man mich aufrief. Aufgerufen wurde der Name des Häftlings. 25/92 – das war Udo Proksch, ein Prominenter hinter Gittern, der Österreich fast in eine Staatskrise getrieben hätte. Der Strafgerichtsprozess, in dem er als angeblich sechsfacher Mörder verurteilt wurde, hatte unbestreitbar skandalöse Züge, und ich hielt Proksch, wie viele andere, im Sinne der Anklage für nicht schuldig. Aber da ging es um Macht, um Geheimdienste, um den Justizapparat – um undurchdringliche Nebel, die meine Möglichkeiten der Recherche fast schon komisch erscheinen ließen. Ich hatte mir allerdings auch nicht vorgenommen, den Fall zu ergründen, sondern den Menschen, der mir vorkam, als wäre einem kraftgenialischen österreichischen Künstler eine Figur in die Wirklichkeit entwischt.
Früher war die Karlau ein Jagdschloss gewesen, in dem anno 1673 Kaiser Leopold I. die Erzherzogin Claudia Felicitas von Tirol heiratete. Inzwischen stand das Gebäude im südlichen Graz wie eine Trutzburg da, kackbraun und uneinnehmbar. Proksch nannte sie sein „Schwarzes Schloss“. Ein strenges Gefängnis, in dem Proksch von den Mithäftlingen als „General“ akzeptiert wurde, Bibliotheksarbeiten versah und früh als Erster und allein duschen durfte. Er hatte sich dieser Männerwelt wohl als Mann bewiesen, der Gejammer nicht kannte. Wann ist ein Mann ein Mann? Vielleicht, wenn er seinem Richter, wie Proksch, bei Einschätzung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach seiner Verurteilung sagt: „Es gibt Wichtigeres als die Freiheit.“ Später betrachtete Proksch sich als Kriegsgefangener: „Draußen herrscht Krieg“, behauptete er. Und zur allgemeinen Lage: „Die Chefs sind die Geheimdienste. Und die Aufgabe der Geheimdienste ist die Liquidation.“
Proksch war ein Kind des Krieges, ein bulliger, zu klein geratener Mann mit einem Trumm von Kopf und zwei riesigen Pranken. Eine Kampfmaschine, Jahrgang 1934, aufgewachsen mit den Bomben, in einer Familie, die der Machtelite des „Dritten Reichs“ nahe stand. „Ich seh‘ a Sau und weiß, was sie wiegt“, sagte der massige Mann, der nach dem Krieg im Salzburgischen als Schweinehirt angefangen hatte und dann seinen eigenen „Krieg gegen die Bourgeoisie“ begann. Sein weiteres Leben wurde ein freier Fall nach oben, hinein in die Welt der Reichen und Schönen, er wurde Chef im berühmten Wiener Café Demel, wo er den SPÖ-Herrenclub „Club 45“ gründete, das wohl nobelste aller Hinterzimmer für Politik und Geldadel, den Tango korrupti zu tanzen, in einer Stadt ohne Öffentlichkeit. Proksch erkannte hinter den Charaktermasken die Marionetten – die Begierden, die Verführbarkeit, das Wanken und Schwanken der Bourgeoisie – und ließ sie an seinen Fäden zappeln.
Welt ohne Gesicht
Schon bald galt er als die schillerndste Figur seiner Zeit, bekannt mit den Herren der Staaten, den Bossen der Banken, mit den Kreiskys und den Herrhausens, Ceaucescu und Frau Marcos. In unseren Gesprächen, die sich über ein Jahr erstreckten und immer stundenweise in der überwachten „Caféteria“ der Anstalt stattfanden, wiederholte er fast litaneihaft: „Aber glaube nicht, dass die, die man kennt, die sind, um die es geht. Die Macht hat kein Interesse, sich zu zeigen.“ Er beschwor eine Welt ohne Gesicht, weit hinter der „Tagesschau“ und sprach zu mir als Mythomane mit manchmal durchaus einleuchtenden Argumenten. „Und sieh dich vor“, warnte Proksch, nicht selten, „sonst bist du tot.“ Er hatte so seine Erfahrungen. Sein Leben wurde von mysteriösen Flugzeugabstürzen, ebensolchen Unfällen und einem versinkenden Schiff begleitet. Aber wer bringt schon einen hauptberuflichen Feuilletonisten um.
Prokschs Traum von der Macht war immer mehr zum Wahn geworden. Er verhedderte sich im eigenen Netz, den Skandalen, Affären und Geheimdienstkontakten. Als im Indischen Ozean bei strahlendem Sonnenschein ein Schiff namens „Lucona“ versank, mit „Schrott“ an Bord, getarnt als hoch versicherte Uran-Aufbereitungsanlage, da begann man mit der Demontage des Udo Proksch. Die Sprengung des Schiffes hatte sechs Matrosen des Leben gekostet, und die das Schiff versichert hatten, fühlten sich betrogen.
Es passte in Prokschs Männerwelt, dass er am 2. Oktober 1989 auf dem Wiener Flughafen von Oberst Rupf verhaftet wurde, einem Mann, den sie in Wien wegen seines schwarzen Rächerhutes und seines aufgestellten Mantelkragens „Django“ nannten. Der Satz seines Lebens, mit dem er später für eine Supermarktkette warb, lautete: „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“ Für ihn sei die Verhaftung von Udo Proksch nichts Besonderes, sondern nur eine ganz normale Amtshandlung gewesen, sagte er mir später im Café Engländer mit perfekter Coolness. So war Django, der seinen Mitarbeitern, als er in der RAF-Zeit einen Millionendieb per Verkehrskontrolle fangen wollte, erklärte: „Burschen, es kann sein, dass wir zufällig unter diesen Autos auch ein Terroristenfahrzeug haben. Dass einer rausschießt und zwei tot sind, das können wir nicht verhindern, aber dass sie davonfahren, das müssen wir verhindern.“ Mir wurden in der bald zwei Jahre währenden Beschäftigung mit der Welt um Udo Proksch endgültig klar, dass es seltsam bestellt ist um die männlichen Menschen.
Proksch, der auch Brillen designte und die Senkrecht-Bestattung propagierte und dem die Damen der Gesellschaft regelrecht nachliefen, war auch ab und an berühmt verheiratet. Zum Beispiel mit der Schauspielerin Erika Pluhar, die ihm die Treue hielt, ihn regelmäßig in der Karlau besuchte und vor minderschweren Fällen als Sängerin auftrat, obwohl sie allen Grund gehabt hätte, sich bedeckt zu halten, schließlich war sie auch schon als österreichische Bundespräsidentin im Gespräch, was sie mit ihren Lebensplänen allerdings nicht in Einklang bringen konnte. Die Schauspielerin Daphne Wagner, dem Bayreuther Clan zugehörig, erzählte, dass sie die eheliche Wohnung gerne rückwärts betrat, weil sie wusste, dass Udo, der Waffennarr, und damals Schweralkoholiker, keinen Menschen in den Rücken schießt.
Es gab einerseits diesen offiziellen Proksch, den Macho, den Herrschsüchtigen, den Exzentriker. Andererseits war da dieser Udo, dessentwegen ich gekommen war. Nach meinen Recherchen und Erfahrungen ein sehr empfindsamer, großzügiger und fürsorglicher Mensch, der zu seinen Freunden hielt, seine Familie schützte und für jeden da war, der mit einem Problem zu ihm kam. Auch mir gegenüber zeigte er sich ständig besorgt, was darin gipfelte, dass mich eines Tages eine Postkarte aus der Karlau erreichte: „Geh endlich zum Zahnarzt.“
Auch eine Stewardess weiß von diesem Udo zu schwärmen. Sie war mit einer Maschine der Austrian Airlines vor Moskau abgestürzt und hatte als einzige überlebt. Inzwischen weiß man, dass der sowjetische Geheimdienst das Flugzeug zu tief einfliegen ließ, weil Westagenten an Bord waren, und so stürzte es in einen Sumpf. Auch Proksch war auf diese Maschine gebucht, erschien aber nicht. Man weiß bis heute nicht, ob er über seine Kontakte Wind bekommen oder sich tatsächlich versoffen hatte, wie er sagte. Jedenfalls flog er am nächsten Tag sofort nach Moskau, kümmerte sich um die Überlebende und versuchte, ihr in einen geordneten Alltag zurück zu verhelfen.
Würstel zu Champagner
Ein Spielfilm von Jack Gold über Udo Proksch war eine schreckliche Pleite. Dort hieß es: „Der Hofnarr dirigiert den gesamten Hof mit einer teuflischen Mixtur aus Sex, Macht und Politik.“ Vor einigen Monaten hat der österreichische Filmemacher Robert Dornhelm eine beachtenswerte Dokumentation fürs Kino vorgelegt: „Udo Proksch – Out of Control“. Aber der nicht uninteressante Film kam zu früh. Auf zu viele, die in den Fall verstrickt sind, muss noch Rücksicht genommen werden, und noch ersetzt die Legendenbildung die Aufklärung. Allein, wenn man weiß, wer Schriftführer im „Club 45“ war, hält man sich besser zurück. Bei Prokschs Beerdigung vor ein paar Jahren – er war nach einer Herzoperation als Gefangener verstorben – glänzten die meisten durch Abwesenheit, ausgenommen etwa Erika Pluhar oder Niki Lauda. Aber bei der Filmpremiere war die Wiener Gesellschaft wieder da und trank zu Würsteln Champagner.
Die Welt des Udo Proksch: die Männer, die Frauen, die Waffen, das Geld, die Macht, der Rausch und die mafiosen Strukturen. Dann der Absturz, sein Ende als Bauernopfer nach einer Zeit der Flucht, auf der er sich sogar sein Gesicht umoperieren ließ. Das klingt alles noch wie großes Kino. Damals gab es sie noch, die Oberwelt der Unterwelt der Oberwelt. Proksch ist nicht nur ein Fall unbewältigter österreichischer Zeitgeschichte, sondern war eine tragische Person, ein Zerrissener mit Fallhöhe. Letztere fehlt den Wirtschaftskriminellen von heute vollends. Das fällt nicht mehr. Das bleibt.
Helmut Schödel ist Dramaturg und Autor in Deutschland und Österreich
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