Ernst Molden begann sein Leben als höherer Sohn, hineingeboren in eine Verlegerfamilie. Seinem Vater gehörte der damals größte Verlag Österreichs, der Fritz-Molden-Verlag, seine Großmutter hatte die österreichische Bundeshymne gedichtet, und man lebte standesgemäß in Wiens Nobelbezirk Grinzing. Seine ersten 14 Jahre habe er in einem goldenen Käfig verbracht, sagt er, mit allem, was dazugehöre, inklusive Defloration des Kindermädchens.
Aber wie es so ist im Leben, auf nichts ist Verlass, und so änderte sich auch bei den Moldens schlagartig alles. Beim Vater hatten sich Schulden angehäuft und weil der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky den einzigen Großverlag des Landes nicht sterben lassen wollte, sperrte Hannes Androsch – von Kreisky als Finanzminister geschasst und inzwischen Chef der „Creditanstalt“, der größten österreichischen Bank – alle Konten der Moldens.
Gespenstisch sei es gewesen, tsunamihaft, als nach dem Konkurs sofort geschätzte 90 Prozent der Freunde die Straßenseite wechselten, wenn die Moldens kamen, und weil auch die Immobilien verloren waren, musste man sich nach Tirol zurückziehen, wo die Mutter noch ein Haus besaß. Für ihn selber sei das ein Glücksfall gewesen, sagt Molden. Dass der Wohlstand weg war, störte ihn nicht, dafür hatte er endlich Eltern, die Zeit hatten, und er selbst konnte sich schon in jungen Jahren ein gesundes Misstrauen gegen die Verführungen von Macht und Gesellschaft erwerben, gegen die Freunde, die speziell in Wien nur Freunderln sind, Strippenzieher ihrer Freunderlwirtschaften. Außerdem – was wäre aus ihm geworden? Molden junior. Er hätte den Verlag übernehmen müssen, jetzt aber konnte er sich ins Leben stürzen.
Mit 19 ging Molden als Gerichtsreporter zur Wiener Tageszeitung Die Presse, kaufte ein Abhörgerät für den Polizeifunk und hatte das große Ziel, immer als erster, also noch vor den Profis der Kronen Zeitung, Österreichs führendem Revolverblatt, am Tatort zu sein, was nicht einfach gewesen sein dürfte, weil in der Krone so Besessene arbeiteten wie Alexandra Wehner, genannt die „Bluat-Xandi“, die Verbrechen schon roch, noch bevor sie geschehen waren, stets unterwegs von einer blutigen Sensationsmeldung zur nächsten, von einer Leiche zur anderen.
Das war nicht Moldens Welt, dieses Jagen, Hetzen und Trophäen sammeln. Und so entschied er sich, ein sensibler, künstlerischer Mensch, für das Feuilletonistische.
Damals begann seine Dandyphase. Jetzt lief ein großer, schlanker, gut aussehender Mann durch Wien, seine Samthosen in Reitstiefel gesteckt, in der Rechten einen Spazierstock. Zur Gestaltung seines Outfits fand er bei den österreichischen Schriftstellern wenig Hinweise, hielt es eher mit Ginsberg und war allzeit bereit zu einem Frühstück bei Tiffany’s. Er entdeckte später, auch in seinen Büchern, die Melancholie als ironische Haltung, wurde aber als wesentlicher Schriftsteller nicht wirklich erkannt. Da fehlte eben das unglückliche Bewusstsein. Er gebrauchte den Konjunktiv nach Vorschrift der Grammatik und nicht als Markierung avantgardistischen Strebens. Er hatte auch immer etwas zu erzählen, weshalb er den Erzähler nie in Frage stellen musste. Außerdem war er nicht einsam, sondern dabei, sich eine lebenswerte eigene Welt zu schaffen, nicht nur in der Fiktion. Die wesentlichen Elemente dieses Planets Molden waren und sind einerseits die Frauen, andererseits die Region. Die Frauen nicht unter sexistischen Aspekten und die Region nicht als Provinz.
Zurück im Leben
Er arbeitete damals auch als Dramaturg am Wiener Schauspielhaus. Aber die Theaterarbeit kam ihm reichlich soziopathisch vor, ständig diese beleidigten Schauspieler, Willkür und Eitelkeiten. Dort hatte man keine Distanz zu sich selber, die Molden aber immer hatte. Er nennt heute seine Dandyzeit seine „Balzphase“. Damals führte er an Wochenenden auch einen literarischen Salon im berühmten Seitensprunghotel „Orient“ – eine Jugendstil-Herberge mit 100 Jahren Tradition und illustren Gästen, die sich auf strenge Verschwiegenheit verlassen können. Dann kam eine Frau, die sagte: Komm in mein Leben. Und er vice versa. Es ging ein Abschnitt zu Ende, nicht nur privat. Bis in die neunziger Jahre sei das Genialische noch eine Kleingeldwährung gewesen, von der man leben konnte. Dann begann eine neue Zeit.
Mit der Frau bezog er eine große Wohnung im dritten Bezirk gegenüber der Veterinärmedizin. Schon früh um sieben hörte man die Schreie der kastrierten Stiere. 13 Jahre später, als sich das Ehepaar, inzwischen mit drei Kindern, entschied, wieder auszuziehen, war aus der Veterinärmedizin eine Musikhochschule geworden, und jetzt tönte Brahms herüber. Die Gegend war gentrifiziert und die Nachmieter waren zwei Zahnarzttöchter, 16 und 17 Jahre alt, gleich um die Ecke: die elterliche 250-Quadratmeter-Wohnung.
Die Moldens zogen ins nahe gelegene Erdberg, nicht weit von den Praterauen, wo das Entertainment endet und es dschungelt, an der Grenze zum Schlachthofviertel. Sie waren nun wieder im Leben angekommen. Molden war längst kein Dandy mehr, hatte eine eigene Band und wurde bekannt durch seine Musik und seine Liedertexte.
Ich begegnete Molden über die Jahre immer wieder. Einmal spät nachts, als ich noch bei einem Stadtheurigen vorbeischaute, wo zufällig der Wiener Deuticke-Verlag ein Fest feierte. Zigarettenqualm und Weindunst, und Molden, jetzt mit Hut und, inzwischen Anfang 40, mit einer Ahnung vom Gewicht der Welt, hing wie ein Wiener Tom Waits über der Gitarre und coverte Songs à la „Me and Bobby Mc Gee“ oder „Desolation Road“, und man dachte nicht mehr an die Originale. Er hatte inzwischen wie viele andere Schriftsteller ein geistiges Zuhause bei Deuticke gefunden, dessen Programmchefin Martina Schmidt erfolgreich nie einen Verlag der Lektoren, sondern der Autoren betrieb.
In der bohemistischen Welt Wiens konnte er sein Werk fortsetzen, den Blues oder seine Version des Wienerliedes, Lebensbetrachtungen eines kosmopolitischen Regionalisten. „Unlängst, spät, spät in der Nacht, ist noch wer kumma und hat mir was ’bracht, a Binkerl (ein Säckchen), ned groß, aber kaum zum Derheben und der was mir’s ’bracht hat, hat g’sagt: ,Schau, dei Leben.‘“
Molden ging es in seinem Leben um zwei Kernkompetenzen: „Gitarre spielen und mich in meiner Umgebung auskennen.“ Seit zwei Jahren schreibt er für die Samstags-Ausgabe des Wiener Kurier die Kolumne „Wien Mitte“. Da führt er einen in lesenswerter Kurzprosa durch seine Nachbarschaft und zu den saftigen Gurken vom Volkertmarkt oder den Flugenten vom Rochusmarkt oder über den traumschönen Biedermeier-Totenhain, den St. Marxer Friedhof. Mitte ist immer dort, wo man lebt und mit einem die Frauen und Freunde.
Nach dem Untergang des Tonträgermarktes muss die Musikszene alle möglichen Auftritte annehmen und singen bis zum Umfallen. Aber das habe den Vorteil, dass man viel herumkomme, sagt Molden. Ansonsten sei die Kulturszene Wiens doch sehr hermetisch, ohne ein Außen und die Behauptung ihrer Antibürgerlichkeit Philistertum. Die Bands dagegen seien offen, es gebe auch keine Gräben mehr zwischen Elektronik, Jazz oder Wienerlied. Manche Gruppen seien stolz darauf, nicht bekannt zu sein. „Underdogs sind anders“, sagt Molden.
Melancholischer Realist
Vergangenes Jahr hatte im Wiener Rabenhof-Theater ein Singspiel von Ernst Molden Premiere: „Häuserl am Oasch“. Das Häuserl ist ein Gasthaus im Wienerwald: „In die uralten Baam scheppern die uralten Traam“.“ Der Wirt ist schon 739 Jahre alt und seine Tochter klagt: „Wenn der Papa in Wald geht, na hat er an Grund. Dann nimmt er sei Buff’n und schießt auf an Hund. Dann schaut er den Rest von der Welt nimmer an, der Papa in Wald is a einsamer Mann.“ Der Alte jagt mit seiner Pistole streunende Hunde und ein Phantom geht um, das er dem berühmt-berüchtigten Wiener Bürgermeister Karl Lueger („Wer a Jud ist, bestimm i“) zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Wirtstochter braucht einen Mann, der Polizist das Phantom, nach dem absurder Weise auch die Straße vor dem Wiener Burgtheater benannt ist („Dr. Karl-Lueger-Ring“) und der Wirt endlich seine selige Ruh’. Moldens wunderbare Lieder erinnerten an zeitgenössisch instrumentierte Nestroy-Couplets und die Aufführung gehörte zu den Höhepunkten der Wiener Theatersaison. Das nächste Stück soll draußen am Alberner Hafen spielen, in der Freudenau, wo früher die Leichen der Lebensmüden angeschwemmt wurden, beerdigt auf dem „Friedhof der Namenlosen“, daneben ein großartiges Wirtshaus mit Gastgarten, „für a schöne Leich’“, also eine Bestattung mit Après-Schnitzeln – typisch Wien.
Molden ist einer der großen Wiener Künstler, ein melancholischer Realist, der davon erzählt, dass es die größte aller Künste ist, das eigene Leben zu führen. „Im Finstern gehst fort und im Finstern kummst haam. Der Wind is a Wiener und raunzt durch die Baam“, schreibt Molden.
Gerade ist im Deuticke-Verlag Ernst Moldens Liederbuch erschienen, im Mai folgen zwei CDs. Helmut Schödel ist Dramaturg und Autor in Deutschland und Österreich
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