Warten auf Monster

Fall Fritzl Inzest und Inszenierung - nirgendwo zankt es sich so schön wie in Wien, wo die bloße Ankündigung eines Theaterstücks eine Hetzkampagne der Boulevardpresse ausgelöst hat

Wien, die größte Provinzstadt Europas, ist eigentlich eine Metropole des Aussitzens. Man hat schon längst und wohl noch für lange seinen Weg gefunden, zwischen Schnitzelfett und politischen Rechtsauslegern, hält Öffentlichkeit nicht für unbedingt zielführend, erfindet sich die Welt in Hinterzimmern, attackiert die Gegenpartei nach dem Vorbild alter Infanterie und gerät aus dem Häuschen, wenn es aus Wiener Sicht zum Äußersten kommt, also zum öffentlichen Auftritt eines zu kritischem Denken begabten Menschen mit klaren Ansichten. Dann heißt es, frei nach Karl Krauss, „hauts eahm, mir san in Wien“, und aus den Fensternischen der Revolverblätter ballern die Schmieranten.

Zur Zeit schießen sie auf Hubsi Kramar, den Local Hero der Off-Szene, einen unermüdlichen Kämpfer gegen den Rost der Routine und die Wiener Repräsentationskultur. In der Stadt, in der die Studentenrevolte ausgefallen ist, ist er der 68er. Er stammt aus Scheibbs in Niederösterreich und glaubte wohl, dass Theater Zeit und Raum biete, über Probleme nachzudenken, die wir wirklich haben und Subvention Geld für den Widerspruch sei. Aus diesem grandiosen Irrtum zieht er seinen oppositionellen Furor.

Im Hitler-Kostüm zum Opernball

Auf seiner Spur durch Österreichs Hauptstadt findet man prämierte Aufführungen mit ihm als Schauspieler oder Regisseur, dazu harsche Zeitungskolumnen aus seiner Feder und leidenschaftliche Protestaktionen. Als er im Jahr 2000 – verkleidet als Hitler – den Wiener Opernball besuchte, bis ins Foyer vordrang und dann verhaftet wurde, hat man ihn als Schlingensief von Wien bezeichnet. Kramar hat Becketts Warten auf Godot mit Flüchtlingen aufgeführt, und Godot schien der Schlepper zu sein, der nicht kommt. Im Obdachlosenasyl in der Meldemannstrasse, wo Hitler drei Jahre lang hauste und seine Ansichten von Wien aquarellierte, inszenierte er zusammen mit Tina Leisch George Taboris Mein Kampf und erhielt den Nestroy-Preis.

Jetzt hat er für den 23. Februar in seinem 3raum-Anatomietheater, für das er von der Stadt schäbige 150.000 Euro Jahressubvention erhält, eine Satire unter dem Titel Pension Fritzl angekündigt, wie es schien über jenen Mann, der im niederösterreichischen Amstetten seine Tochter 24 Jahre lang in einem Keller gefangenhielt, sie vergewaltigte und dabei sieben Kinder zeugte. Der Titel des Abends rückte die Taten des Monsters in Schwanknähe, gleich neben die beliebte Pension Schöller. Da hatten die Skandalblätter ihren neuen Fall: Hubsi Kramar, das „Ekel“. „Schande“, rief es aus allen Ecken und dass eine „Besudelung“ der Opfer geplant sei.

Heftiges Gezeter der Wadelbeißer

„Sie sind kein Ekel, Sie sind ekelhaft“, dröhnte ein gewisser Jeannée in der Kronenzeitung, ein ehemaliger Klatschreporter, der sich ständig mit Berlins Bild-Wagner verwechselt. Auch die Kronen-nahe Gratis-Zeitung Heute verfiel in hässliches Gezeter. Und der Wiener Kultursprecher der früheren Jörg-Haider-Partei FPÖ ließ wahrlich nichts aus. Insgesamt waren es Ehrabschneidereien nach der Manier untergriffiger Wadelbeißer. Nur das Stück, das nun bereits verboten werden sollte, kannte keiner. Schon deshalb, weil es das Stück noch gar nicht gab.

Der sonst eher stoische Kramar ist durch die Heftigkeit der Diffamierungen ziemlich alarmiert. Schließlich müssen sich Journalisten, die etwas bekämpfen, das es nicht gibt, in einem prekären Zustand befinden, unberechenbar. In einem Protokoll der letzten Wochen schreibt er, dass auch die geringe Sprachkompetenz seiner Verfolger gefährlich sei. Manchmal könne ein Komma über Leben und Tod entscheiden. Zum Beispiel sei doch zwischen „Hängen, nicht begnadigen“ und „Hängen nicht, begnadigen“ nur ein ganz kleiner Unterschied. Dafür fehle dieser Art von Presse seit jeher das Gespür. Außerdem haben Krone und neuerdings Heute, das unterschätzte man außerhalb Österreichs, noch immer mächtig viel zu sagen und lenken den Volkszorn gern an den eigentlichen Problemen vorbei.

Angst vor dem Nestbeschmutzer

Das Stück gab es also noch nicht. Schließlich hatte Hubsi Kramar, wie jedes Jahr, kurz vor Weihnachten Wien verlassen, um für ein paar Wochen weit weg in aller Ruhe seine nächsten Projekte vorzubereiten. Zuvor aber hatte ihm ein langjähriger Mitstreiter, der Hermann Fritzl heißt, eine Mediensatire über den Amstettener Fall vorgeschlagen. Er kam sich wohl irgendwie betroffen vor, schließlich ist er Fritzls Sohn, weil sein Vater Fritzl heißt. So fing es an und fand dann, was man im Winkel der Off-Szene nicht erwartet hatte, ein weltweites Medienecho bis nach Australien. Schließlich beginnt im März auch der Prozess in St. Pölten, über den man rund um die Welt berichten wird.

Hubsi Kramars Theater hat 120 Plätze, und die Premiere ist allein durch Journalisten ausgebucht. Inzwischen hat man ihm sogar angeboten, in einem Film selber Josef Fritzl zu spielen. Der Fall scheint einiges herzugeben, und auch die Wiener Hetzartikel bleiben nicht folgenlos. Die ersten Vandalen haben sich schon am Theater zu schaffen gemacht, Plakate abgerissen, die Eingangstür mit Superkleber verschlossen, und Leserbriefschreiber bangen um das Wohl Österreichs angesichts solcher Nestbeschmutzer wie Kramar, der inzwischen den Abend neu betitelt hat: Pension F. von Hermann Fritzl und Hubsi Kramar. Die aktualisierte, ultimative Mediensatire. Erstes globales Volkstheater. Alle spielen mit, alle spielen sich selbst.

Und Fritzl spielt im Gefängnis den Zampano, hat einem Anwalt einen „Verwertungsauftrag“ erteilt und will die Geschichte seines mönströsen Lebens versilbern, natürlich „zugunsten seiner Familie“. Das Monster könnte der Sensationspresse eine sechsstellige Summe wert sein. Wasser auf die Mühlen von Kramar, der sich in seinem Off-Theater jetzt fragt, wie es eigentlich zu diesen Revolverjournalisten kommen konnte, wer hinter ihnen steht, sie zulässt und bezahlt – am Beispiel der Monstervermarkter von Wien.



Podcast Deutschlandradio: Interview mit dem Wiener Theaterkritiker Wolfgang Kralitschek zum Fall Kramar-Fritzl


Der Theaterkritiker Helmut Schödel arbeitet als Dramaturg in Österreich und Deutschland.

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