Verdecken und verhüllen

Mord In Iran werden die meisten Menschen im Verhältnis zur Bevölkerungsanzahl hingerichtet. Dabei zählen viele durch das Regime auf andere Weise Getötete gar nicht dazu

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Juli 2020: Iranische Aktivisten protestieren in Berlin gegen Hinrichtungen im Iran
Juli 2020: Iranische Aktivisten protestieren in Berlin gegen Hinrichtungen im Iran

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Viel lieber würde ich über schöne Aspekte der alten Kultur Irans, die Gastfreundschaft vieler Bewohner des Landes oder über atemberaubende Landschaften schreiben. Doch die schweren und nicht enden wollenden Menschenrechtsverletzungen durch das Regime gebieten es, anderen Geschichten Raum zu geben.

Was soll ein Staat machen, der in der Weltöffentlichkeit ein Image als Kämpfer gegen Unterdrückung und Machtmissbrauch aufbauen will, der aber die weltweite Statistik der Hinrichtungen anführt und damit als Staat dasteht, der seine eigene Bevölkerung knechtet und bluten lässt?

Meister im Vertuschen

Der Iran führt zusammen mit China seit Jahren die Statistiken zu Hinrichtungen in absoluten Zahlen an und überflügelt sogar die Volksrepublik, wenn man die Anzahl der Hinrichtungen im Verhältnis zur Bevölkerung betrachtet. Ein offizieller Champion bei staatlichen Morden. Aber es kommt schlimmer.

Wer sich etwas tiefer mit den Machtverhältnissen im Iran beschäftigt, erkennt ein Wirrwarr an komplexen Beziehungen und Verhältnissen der politischen Machtapparate. Wenn man die Sache etwas oberflächlicher betrachtet – was sich für diese kurze Darstellung hier empfiehlt – kann man über allen Differenzierungen hinweg grob zwischen zwei Blöcken unterscheiden, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die im Hintergrund agierenden Ideologen und ihre Bildungseinrichtungen, allerlei religiöse Stiftungen, Behörden, Agenten und Revolutionsgardisten, stehen fest entschlossen hinter dem Prinzip des Velayat-e faghi und tun alles für den Machterhalt und die Machterweiterungen des Obersten Führers. Ihre Handlungen und Entscheidungen sind weniger sichtbar für die Öffentlichkeit, vor allem bleiben sie für die Öffentlichkeit im Westen eher verborgen. Ihre Ziele haben eine durch und durch ideologische Natur. Diese Gruppe nimmt alles in Kauf, um ihre Ziele zu erreichen und bricht dafür so gut wie alle Tabus und Prinzipien.

Die derzeitige Regierung im Iran, der scheinbare Gegenpart der oft als „Finsterlinge“ beschriebenen Ideologen, wird im internationalen Kontext als Zusammenschluss politischer Reformer betrachtet. Hier finden sich meistens Männer, die an westlichen Universitäten studiert haben, Erfahrung in der internationalen Diplomatie sammeln konnten und mit sanften Zungen zu sprechen wissen. Sie sind für das Image der sogenannten Islamischen Republik Iran zuständig. Aus dieser sichtbaren und zugleich verborgenen Konstruktion des Staates ergibt sich Reibefläche, aber auch Aufgabenteilung. Während die führeraffinen Finsterlinge ihren Handlungsspielraum als nicht an geltende Gesetze gebunden betrachten, versucht die Regierung den Anschein eines Rechtsstaats aufrecht zu erhalten und unterhält alle möglichen Institutionen in den üblichen rechts-, wirtschafts- und bildungsrelevanten Feldern. So gibt es zwar ein Justizministerium, doch parallel gibt es den Justizapparat, der dem Obersten Führer direkt untersteht. Zur Zeit ringt die Regierung damit, die offiziellen Hinrichtungszahlen nicht noch höher scheinen zu lassen, um Druck aus dem Westen besser abfedern zu können.

Gleichzeitig legen die Ideologen Wert darauf, ihre Pläne weiter ausführen zu können. Dazu gehört es, absoluten Gehorsam im Land zu erreichen. Und dafür müssen vermeintliche Gegner eliminiert werden. Andersgläubige und Andersdenkende werden permanent attackiert und verfolgt. So stehen neben Baha'i, Sunniten, konvertierten Christen, Yarsan unter anderem die Derwische des Gonabadi-Ordens seit Jahren im Fokus der Verfolgungen. Vor allem werden führende Persönlichkeiten solcher Gruppierungen gezielt durch Diffamierungen und andere Methoden angegangen. Im Dezember 2019 starb Dr. Nour Ali Tabandeh mutmaßlich an einem Gift, das ihm in kleinsten Dosen verabreicht wurde, während er im Hausarrest von seinen Anhängern und Ärzten isoliert wurde. Diese Methode des schleichenden Todes scheint unauffällig genug zu sein, um keinen Aufschrei auszulösen.

Anfang Februar 2021 beklagten die Gonabadi-Derwische den nächsten Toten. Der wegen Protesten zu zwei Jahren Haft verurteilte Derwisch Behnam Mahdschoubi wurde vermutlich durch falsche Medikamentengabe und Verweigerung einer ordnungsgemäßen medizinischen Behandlung im Krankentrakt des Evin-Gefängnisses getötet. Die Umstände seines Todes wurden von den zuständigen Behörden verschleiert. Seiner Familie wurde kein Zugang zu ihm gewährt, stattdessen versuchten die Behörden den Tod zu vertuschen, indem sein Leichnam länger als eine Woche zum Schein an lebensverlängernde Apparaturen gehängt wurde.

Europa Parlamentarier setzen sich ein

Mittlerweile hat die Weltöffentlichkeit jedoch durch Bürgerreporter, die ihre Informationen über moderne Medien verbreiten, Zugang zu solchen Ereignissen. Auch sind verschiedene Menschenrechtsgruppen auf die Lage der Derwische in Iran aufmerksam geworden und wenden sich regelmäßig an das Europaparlament, an nationale Regierungen, sowie an die westliche Presse.

In einem Statement vom 13. März 2021 fordern einige Parlamentarier das Regime in Iran auf, den Fall Mahdschoubi zu untersuchen und bringen ihre große Besorgnis zum Ausdruck, dass schleichende Morde in der Praxis des obersten Henkerstaats zur Methode werden könnte.

Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, hat im Jahr 2018 ein Statement zu den massiven Angriffen auf die Derwische vor dem Haus von Dr. Tabandeh herausgegeben, in dem sie die brutalen Attacken verurteilte.

Internationaler Tag der Derwische

Die Derwische des Gonabadi-Ordens (Schätzungen zufolge hat der Orden ca. 5 Millionen Anhänger in Iran) gehören zu den Zwölfer-Schiiten, lehnen jedoch jede Form des politischen Islam ab. Der Orden erkennt das Prinzip der religiösen und politischen Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten nicht an. Wegen ihrer regimekritischen Haltung, aber auch weil sie sich für soziale Belange und Menschenrechte einsetzen, werden Mitglieder des Ordens immer wieder verfolgt und verhaftet.

Am 21. Februar feierte man, den gegenwärtigen staatlichen Maßnahmen geschuldet, den Internationalen Tag der Derwische an verschiedenen Orten gleichzeitig. Man gedenkt an diesem Tag dem Mut von Frauen und Männern, die es im Jahr 2009 gewagt hatten eine Atmosphäre von Angst zu überwinden und vor dem Parlament in Teheran gegen die Zerstörung ihrer Versammlungsorte zu protestieren. Mit Ansprachen, Gesprächen und Musik gedachten weltweit Menschen der Grundwerte der Derwische: Selbstlosigkeit, Ritterlichkeit und Einsatz für Unterdrückte.

Eingebetteter Medieninhalt

Musik des Ensembles Soveida zum Tag der Derwische.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

mehriran.de

Weltbürger mit lokaler Anbindung. Austausch mit Menschen aller Couleur belebend. Kritisch gegenüber Machtmissbrauch, dem Schöpferischen zugewandt.

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