Der Bürger mag’s üppig

Kunst Der Maler Hans Baluschek malte das Prekariat. Konservativen war das zu trist, der Linken zu wenig revolutionär
Ausgabe 14/2020

In diesen Tagen hätte ein fast schon Vergessener geehrt werden sollen. Hans Baluschek, ein politischer Maler, zum 150. Geburtstag, im Berliner Bröhan-Museum. Das heißt, ganz aus dem Gedächtnis radiert ist Baluschek nicht: Berlins Regierender kennt ihn – und würdigt im Katalog, den es jetzt immerhin zu kaufen gibt, in einem Grußwort den politischen Weg des Malers vom Monarchisten zu einem von den Nazis verfemten Marxisten – ein Weg, der über die SPD führte.

An Chronisten des Alltags der armen Leute mangelt es Berlin nicht. Zille kennt man, Käthe Kollwitz auch. Otto Dix oder George Grosz zeichneten ziemlich unbarmherzig die Gnadenlosigkeiten der Weimarer Republik auf. Baluschek fiel kunstgeschichtlich betrachtet bislang eher durch den Rost – was auch daran lag, dass bekannte Kollegen wie Max Beckmann recht eindeutige Urteile parat hatten: „Schade, der Kerl hat so famose Einfälle. Es ist zu dumm, dass er gar keinen Stil hat, er arbeitet wie ein farbiger Fotograf.“ Und ein zeitgenössischer Kritiker summierte die bürgerliche Stimmung gegen Baluschek so: „Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze.“ Dieser Spruch hat der Ausstellung ihren Titel gegeben.

Dahinter steckt der nie veraltete Konflikt zwischen Ästhetik und Politik, der in solchen Verdikten aufscheint und den Adorno mal so zusammengefasst hat: „Der Bürger wünscht die Kunst üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es besser.“ Dass das Geld und der Luxus aus den Museen ins wirkliche Leben hineinschwappen, etwa in die Armut der Berliner Mietskasernen, kommt leider eher selten vor, und deshalb haben politische Künstler nie aufgehört zu agitieren.

Fahnen wehen keine

Was bis heute allerdings das Dilemma daran bleibt, lässt sich an Baluschek gut ablesen. Für die Konservativen schuf er „Rinnsteinkunst“, für die revolutionären Sowjets andererseits waren zu wenige siegesgewiss lächelnde Fahnenschwinger in diesen Bildern. Für die künstlerischen Avantgardisten wiederum war diese Malerei zerlumpter Proletarier zu viel Sozialrealismus und zu wenig Kunst, zu viel Inhalt und zu wenig Form – Baluschek mochte die Not zwischen grauen Fabrikmauern als Bildsujet entdeckt haben, aber überall eckte er damit an. Zu rosig die Wangen des bedauernswerten Buben im Wartesaal, zu treuherzig sein Blick: Diese Malerei fühlte mit ihrem Gegenstand – und wies, so die Kritik, gerade deshalb nicht über ihn hinaus. Vielleicht hat Baluschek einfach das Bürgertum und seine Fähigkeit, auch dem Abstoßenden gegenüber Empathie zu entwickeln, unterschätzt? Wie hält es die Kunst heute mit den armen Leuten? Kommt Armut noch vor, und wenn ja, wo? Menschen am Existenzminimum gibt es ja nach wie vor.

Und sie müssen vor Armut fliehen. Das Foto des tot am Strand liegenden dreijährigen Aylan, ertrunken auf der Flucht, wurde im Jahr 2015 schnell ikonisch. Kein Kunstwerk kann es mit der brutalen Wucht solcher Bilder aufnehmen, aber nicht alle Künstler wissen das. Und so glaubte Ai Weiwei, das Foto selbst nachstellen zu müssen. Die deutsche Öffentlichkeit bewies medienstrategisches Gespür, als sie die Aktion ablehnte – das Reenactment funktionierte weder ästhetisch noch politisch, die Form kontaminierte den Inhalt. Statt Aufmerksamkeit für das Schicksal der Migranten zu erzeugen, wurde das Augenmerk auf den Künstler gelenkt. Radical Click sozusagen.

Das Thema Armut ist mittlerweile fast vollständig aus der Malerei in die Fotografie ausgewandert. Angefangen bei Künstlerinnen wie Dorothea Lange, die das Amerika der Great Depression ablichtete, bildete sich eine Tradition valider künstlerischer Sozialreportage heraus. Ansonsten hat die Konzeptkunst das Prekariatssujet gekapert. Das früheste und einflussreichste Beispiel stammt von Hans Haacke, der 1971 die mafiösen Strukturen der New Yorker slumlords und ihrer Immobilien-Deals metikulös nachwies – und prompt vom Guggenheim Museum ausgeladen, vulgo: zensiert wurde. Haacke hat nie aufgehört, das Gebaren der Reichen unter die Lupe zu nehmen – und was das mit den nicht so Betuchten macht. Inzwischen werden ihm Ehrungen zuteil – und in Manhattan ausstellen darf er auch wieder. Während aber in der europäischen Literatur gerade zunehmend die soziale Frage gestellt wird, findet das in der Malerei, zumal der figurativen, seltsamerweise kaum statt. 2009 schuf die Malerin Nicole Eisenman das vielbeachtete Tableau The Triumph of Poverty. Ihr oft ins Groteske, Surreale kippender, empathischer Realismus wurde gelobt. Eine Gruppe ausgezehrter Gestalten steht um einen rostigen Kleinwagen herum und blickt ins Nichts. Bettelndes Mädchen, Blähbauch aus der Sahelzone, und eine Miniaturausgabe von Brueghels Blindensturz taumelt auch durchs Bild. Ein überbordendes, disparates, postmodernes Zitatallerlei – natürlich ist das auch die Folge davon, dass die Kunst keine sozialen Milieus mehr im Blick hat wie noch Baluschek. Wie eine bildnerische Auseinandersetzung mit Armut heute aussehen kann, zeigt derzeit am ehesten ein Film: der oscarprämierte Parasite des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho. Eine dramatische Zuspitzung der Begegnung von Arm und Reich – und bereits das große Thema dieser Tage, die Isolation ganzer gesellschaftlicher Schichten und ihre Folgen. Zu erwähnen sind auch die Filme von Ken Loach.

Und last, but not least das: Die Isolation macht das Thema Armut gerade zu einem ganz handfesten für die Künstler selbst. Statt das Prekariat zu malen, befinden sie sich jetzt, virusbedingt, selbst in einer Notlage. Ausstellungshäuser haben geschlossen und müssen selbst um die Existenz bangen. Vielen, die auch sonst nicht zu den Berühmten und Erfolgreichen gehören, brechen zudem ihre Nebenjobs weg.

Info

„Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze.“ Hans Baluschek zum 150. Geburtstag Bröhan-Museum Berlin, voraussichtlich bis 27. September. Einen Einblick in die Ausstellung gewährt bis zur Eröffnung die Webseite des Bröhan Museums

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