In Deutschland stünden so viele Bismarck-Statuen herum, „als wollten sie einen Verein gründen“, spottete einst Robert Musil. Radelt man durch unsere Parks und Städte, fällt einem die Parade von Sockelhelden heute eigentlich kaum mehr auf. Doch nun erfahren die steinernen Kerle mit ihren tollkühnen Triumphgesten – es handelt sich fast durchgehend um Männer – plötzlich neue Brisanz. An ihnen und um sie herum entbrennt noch einmal ein Kampf. Im Zuge der antirassistischen Proteste nach der Ermordung George Floyds durch Polizeibeamte in Minneapolis werden nun weltweit Statuen geköpft, mit Farbe bespritzt, ganz heruntergerissen, versenkt oder lieber vorsorglich von den Behörden entfernt.
Der Sklavenhändler Edward Colston i
Colston in Bristol; die Könige Leopold II. und Baudouin in Belgien; Marineadmiral und Volksheld Piet Heyn in Holland; Winston Churchill und Sklavenhalter Robert Milligan in London; der Kolonialist Cecil Rhodes in Oxford; Entdecker James Cook in Sydney; Christopher Kolumbus, Konföderiertengeneral Robert Edward Lee sowie diverse andere Südstaatensoldaten und sogar Abraham Lincoln in den USA: Die Denkmale und Statuen all dieser historischen Personen waren in den vergangenen Tagen Zielscheiben von vandalistischen Attacken oder Objekte heftiger Debatten, meist beides. Magisches DenkenEine neue Art von Bildersturm bricht los, eine ikonoklastische Bewegung nimmt weltweit Fahrt auf. Die Zeichen stehen dabei auf Umsturz: Die Bilder der gefallenen Krieger und Sklaventreiber entfalten eine erstaunliche Eigendynamik. Man mag sich an vergleichbare Vandale-Akte aus früheren Epochen erinnert fühlen und darin so etwas wie magisches Denken, eine Art Ersatzhandlung am Werk sehen: Man vergeht sich an unbelebter Materie, meint aber die reale, gleichwohl historische Figur, die man verletzen möchte. Religiöse Bilderstürmer früherer Epochen hatten Bildwerke streng nach dem ersten Gebot – „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – zerstört. Die von reformatorischen Eiferern im 16. Jahrhundert leer geräumten Kirchen in Nordeuropa legen ebenso davon Zeugnis ab wie die vor ein paar Jahren von den Taliban gesprengten Buddha-Statuen in Bamiyan. Aber die Historie des sakralen Bildersturms taugt nur schlecht zum Vergleich mit den „Black Lives Matter“-Protestierenden. Eher schon die sogenannte Damnatio memoriae, also der Versuch profanerer Mächte, unliebsame Figuren, meist vergangene Herrscher, aus den Annalen der Geschichte zu tilgen, indem man all ihre Bildnisse zerstört. Dokumentiert ist diese „Verdammung des Andenkens“ von den ägyptischen Pharaonen bis zur kommunistischen Übermalung liquidierter Genossen und Genossinen in den Fotos, die Stalin oder Lenin zeigen.Sind wir jetzt also wieder so weit? Während in Deutschland konservative Kräfte vor Kulturzerstörung warnen und sich manche eher an einen eisernen Hindenburg schnüren ließen, als ihn zerstört zu sehen; während in England rechtsextreme Hools losziehen, um die Empire-Denkmale zu verteidigen, scheint das Undenkbare plötzlich denkbar geworden: Es wird am kolonialistisch-rassistischen Gründungsfundament des reichen Westens gerüttelt.Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat damit etwas geschafft, was jahrhundertelang nicht zuletzt durch die vielen öffentlichen Standbilder festzementiert schien: das offizielle Narrativ der Geschichte einer Revision zu unterziehen. Denn die Debatten um all die rassistischen Heldenfiguren, die immer noch an den urbanen „points de vue“ bestaunt werden, sind ja nicht neu. Die Bilderstürmer wissen nun um die visuelle Wirkung ihrer Denkmalstürze. Bei dem, was sie tun, handelt sich auch um symbolische Bildpolitik. Die Bilder aus Bristol, als Colston ins Wasser fiel, erinnern eher an eine fröhlich-friedliche Revolution, bei der alle ihre Smartphones gezückt halten, als an Vandalismus. Hinter den Bildern stellt sich nun die plötzlich drängende Frage: Hätten die staatlichen Stellen nicht schon längst selbst Hand anlegen müssen? Nun sollte nicht jede zwielichtige historische Figur bis zurück zur Antike umgeschubst werden. Allein, weil dann die komplette vordemokratische Kultur infrage stünde. Wenn man das konsequent auslegt, wären die Museen plötzlich so leer wie die Kirchen im calvinistischen Holland.Fakt ist: Der Rassismus des imperialistischen Zeitalters ist heute noch virulent, und man muss nun fragen, warum der Mörder Hermann von Wissmann als Afrikaforscher immer noch in Bad Lauterberg im Harz auf einem Sockel steht oder der Kolonialverwalter Gustav Nachtigal in Stendal. Und in unserer Hauptstadt bauen wir ein vor 70 Jahren gesprengtes Königsschloss wieder auf, um darin kolonialistisches Raubgut zu zeigen. Über allem prangt am Kuppelkreuz nun wieder die königliche Inschrift, dass alle „im Himmel und auf Erden und unter der Erde“ im Namen Jesu das Knie zu beugen hätten. Das Vice-Magazin schlug vor, das goldene Hoheitszeichen zu Parkbänken umzuschmelzen und eine Discokugel auf das Schloss zu pflanzen. Kann man so machen – vor allem aber wird es Zeit, sich der Frage zu stellen, wie viel imperialistische Vergangenheit eigentlich noch in unsere Gegenwart hineinreicht.