Hab studiert, will Geld

Journalismus Ein Studium hat an Bedeutung verloren, da es kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist. Zwei kurze Erfahrungsberichte.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der einzige Student im Dorf wurde damals noch ehrfürchtig von weitem angestarrt von uns Minderjährigen, ans Gymnasium in der Stadt schafften es nur einige wenige pro Generation, ein Abitur war extrem selten. Nach dem Scheitern in der Schule blieb mir nur der Ausweg einer Berufslehre, unter Zwang, ohne Freude, ich wählte das kleinste Übel, Büro. Auf dem Beruf habe ich nach den dreieinhalb Jahren Ausbildung exakt zwei Monate gearbeitet, so lange war die Kündigungsfrist im ersten Job, von dem ich nach zwei Wochen die Nase voll hatte. Aber ich hatte Glück, ich wurde aus mir heute noch unerfindlichen Gründen sofort als Buchhändler angestellt, mein Traumberuf. Dort machte ich in der Folge die zweite Berufsausbildung, erhielt in dieser Zeit das Angebot eines renommierten unabhängigen Pressebüros, eine Stelle als Dokumentalist. Feuer und Flamme, arbeitete ich jede Woche von Montag bis Mittwoch ohne Unterbruch durch, am Mittwoch um 11 Uhr etwa ging ich nach Hause und ins Bett, 53 Stunden auf dem Zähler. Ab Donnerstag dann hoffte ich auf Fotoaufträge oder Laborarbeiten, wofür ich nicht angestellt war. Aber Fotograf war halt schon viel geiler als Verwalter von Zeitungsausschnitten.

So 80 Wochenstunden kamen da schon zusammen, aber ich tat das freiwillig, aus Neigung, Passion, Feuer. Und ich habe was gelernt dabei.

Nicht alle in diesem Pressebüro arbeiteten wie die Berserker, aber viele. Ich war wahrscheinlich der einzige, der nebst seiner Arbeit noch eine zweite machte, freiwillig, ungefragt, purer Fanatismus vielleicht, aber ich hatte auch viel nachzuholen. Allerdings hatten die älteren Kollegen auch nur durch Praxis gelernt, von der Uni kam keiner, eine Berufslehre als Basis war keine Ausnahme.

Wohl ein halbes Dutzend Chefredakteure oder Ressortchefs grosser Konzernblätter sind aus dieser Equipe hervorgegangen, und genau eine Graue Eminenz des deutschsprachigen Journalismus, heute 70 jähriger Berliner. Es war also gewiss eine inspirierende Arbeitsatmosphäre, zu Enthusiasmus bestand Grund.

Warum bloss tue ich mir das an und oute mich mit solch einer unmöglichen Geschichte aus Opas Vergangenheit? Weil es mir zunehmend stinkt, wie die Verhältnisse sich pervertieren. Wie ein Uniabschluss wie ein Fetisch vor sich hergetragen wird in der Annahme, der Pöbel würde davor auf die Knie fallen. Der Pöbel, das sind natürlich die Geldsäcke, die Verwalter der Pfründe, zu denen solch ein Abschluss automatisch berechtigt.

Ich will eine Stelle. Einen anständigen Lohn. Und am Abend nicht noch an den Job denken. Ich habe das Recht darauf, schliesslich habe ich studiert, über sechs Jahre, aber jetzt bin ich da, jetzt stürze ich mich rein in die Arbeit, für die ich gelernt habe. Und wenn ich die nicht kriege oder bloss ausgenützt werde, dann sage ich es ganz laut und deutlich: Arschlöcher allesamt. Das ist die tl;dr Zusammenfassung von Amy & Pinks Aufmacher von heute Morgen: "Überstunden, Lügen, Arschlöcher - Die Berliner Medienbranche ist eine unterbezahlte Hölle". Amy & Pink, übrigens, tut den Augen weh, dort würde ich nicht tot publizieren wollen.

Annelie Botz schon. Sie habe nun einen Magister in Kunstgeschichte, Philosophie und Anglistik, von einer Elite-Universität, dafür sechseinhalb Jahre aufgewendet, wolle frisch in der Arbeitswelt loslegen, in Berlin, ein 400 Euro Praktikum bei einer kleinen Agentur erhält sie auch, macht WebTV mit Stars und Mode und Musikern. Kurz nach ihrem Einstieg wird ein gesamtes Team fristlos entlassen und sie übernimmt nun in ihrer Erzählung als Redakteurin deren Arbeit für 1000 Euro, nach ein paar Wochen nur. Ist das nun schlimm, dass die Geldsäcke, die Verwalter der Pfründe sich wahrscheinlich ein paar Tausender einsparen und sie nun verschiedenste Arbeiten übernimmt, Social Media, SEO, TV natürlich immer noch, dabei aber bitte mit Kreativ? Auch wenn sich die Arbeit offenbar in vier normalen Arbeitstagen erledigt? Also noch einiges an freier Zeit bleibt, womit sich in einer hippen Medienstadt wie Berlin doch einiges anfangen lässt?

Den gewerkschaftlichen Gedanken an das ersetzte Team lasse ich jetzt mal bei Seite, um nicht in ein Mutmassen zu verfallen. Denn darum geht es hier nicht. Es geht hier um überzogene Ansprüche von Möchtegernjournalisten, die zur Arbeit in der Sänfte getragen werden möchten. Lest selbst bei Amy & Pink. Triggerwarnung: Tut den Augen weh.

Link zu Amy&Pink nachträglich gemacht, sorry

http://www.amypink.com/de/leben/20140107162529/43191/ueberstunden-luegen-arschloecher-die-berliner-medienbranche-ist-eine-unterbezahlte-hoelle/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von