Nicht nur der Parteitag der CDU wurde im Frühling wegen der Pandemie auf den Winter verschoben, auch die geplante Vorsitzendenwahl pausierte. Lange Zeit hatte man deshalb kaum Wahlkampftöne von den Kontrahenten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen gehört – allesamt darum bemüht, die eigenen Ambitionen während einer Krise nicht in den Vordergrund zu stellen.
Gerade die Junge Union ist es nun, die den Wahlkampf wieder anheizt. Bei ihrem sogenannten „JU-Pitch“ sollten die drei Kandidaten ihre „Zukunftsagenda pitchen“, also ihre Vision der Partei während eines Online-Livestreams vorstellen. Im Anschluss werden über zwei Wochen circa 70.000 der 110.000 Mitglieder der Jugendorganisation über ihren Favoriten abstimmen (ausgenommen sind die Bayern). Etwa 100 von 1.000 Delegierten entsendet die JU zum Parteitag im Dezember, der den neuen Vorsitzenden wählen soll.
Startupisierung der Politik
Das ganze Spektakel erinnerte dabei mehr an die TV-Sendung The Voice of Germany als an ein klassisches TV-Duell. Man war sichtlich bemüht, jung und digital zu wirken. Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, durfte sogar unbeholfen auf einen Buzzer drücken. Wer am Ende seines Pitchs kein Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen hätte, sollte nicht Vorsitzender werden. Hier konnte man einer Volkspartei dabei zusehen, wie sie die Startupisierung der Politik zelebriert. Das Versicherungsunternehmen Allianz spendete dafür sein Forum am Brandenburger Tor in Berlin als Veranstaltungsort und wurde praktischerweise mit dem Firmenlogo auf dem Rednerpult in Szene gesetzt. Gegen diese digitalen Finessen des 21. Jahrhunderts wirkten die drei Kandidaten wie das, was sie sind: langweilige ältere Herren.
Fernab dieser Inszenierung traten dennoch die Spannungen zutage, die die Partei seit geraumer Zeit beschäftigen. Alle Beteiligten vergewisserten sich stets selbst: „Wir sind die letzte große christdemokratische Volkspartei Europas.“ Andere europäische Beispiele zeigen nur zu gut, wie schnell es für eine noch so traditionsreiche Volkspartei gehen kann, wenn die Widersprüche sie zerreißen oder neue Gegner auf den Plan treten. Für die CDU kommen diese gleich von zwei Seiten: von den zur bürgerlichen Mitte drängenden Grünen und von der rechten AfD. Sie alle wissen, dass die CDU in der Corona-Krise zwar noch profitieren konnte, der Platz als stärkste Partei aber keinesfalls als sicher gelten kann.
Deutlich wurde das an der Fragerunde zur modernen Volkspartei. Am klarsten blinkte hier Friedrich Merz nach rechts, der von „klaren Ansagen“ sprach und den Osten hervorhob. Dort ist er beliebt, was er bei dieser Runde auch ausspielte. Obwohl er selbst der größte Privatisierer ist, gelingt es ihm, sich als „starker Mann“ zu geben.
Laschet hingegen gab ganz den Versöhner, nach innen wie nach außen. In die Partei hinein war das Zeichen an alle Gruppierungen, dass er sie in den Vorstand integrieren würde: den Mittelstand genau wie die Jugend, die Frauen wie diejenigen, die noch etwas von Sozialpolitik halten. Für Deutschland führt er ganz die Mitte-Linie Merkels weiter, indem er Ost und West, Stadt und Land sowie die Tradition mit der modernen Volkspartei vereinen möchte.
Röttgen positionierte sich als Mann mit Weitblick. In den Kategorien des JU-Pitchs wäre er der Gewinner, weil er von der großen europäischen Vision und zugleich in wohlgeformten Hashtags sprach. Als nunmehr versierter Außenpolitiker setzte er überraschend auch innenpolitische Akzente, die eine der Moderatorinnen dazu verleitete, ihn als einen „echten tough cookie“ (idiomatisch für „zäher Typ“) bei der inneren Sicherheit zu bezeichnen.
Alle drei wollen sich nicht von den Grünen treiben lassen – und tun es doch. Die Frage der Nachhaltigkeit konnten sie nicht umgehen, obwohl nicht eben Leib-und-Magen-Thema der Jugendorganisation. Merz, der in Teilen der JU große Unterstützung genießt, warb für einen neuen Generationenvertrag und das Zusammengehen von Ökologie und Ökonomie. Wie ein Mantra trägt er es seit Monaten vor – wohl wissend, dass es nicht reicht, konservativ und neoliberal zu sein, wenn er sich als Kanzler einer möglichen schwarz-grünen Bundesregierung positionieren muss. Paradigmatisch für diese Linie steht sein Slogan, der sofort als Sharepic in den sozialen Medien funktionierte: „Eine ökologische Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft“.
Die Frage der Werte spielte kaum eine Rolle, was überraschend ist, weil schon jahrelang ein Kulturkampf brodelt um die Frage, was Konservatismus noch bedeutet. Seien es die Thesen Thomas de Maizières über eine Leitkultur (die Friedrich Merz im Jahr 2000 selbst popularisierte), die Ausrufung einer „konservativen Revolution“ durch Alexander Dobrindt (CSU) oder die Entstehung einer „Werteunion“ innerhalb der CDU als nicht offizieller Flügel: Alle Versuche eint der Wunsch, den Kern des Konservativen ins 21. Jahrhundert zu retten. Davon ist angesichts der Bewältigung der Corona-Krise wenig zu hören. Man streitet eher über den Föderalismus oder die Ausstattung der Schulen. Einen modernen und nach rechts wie zu Grün hin offenen Konservatismus, wie ihn etwa Sebastian Kurz in Österreich pflegt, vermag keiner der Kontrahenten zu repräsentieren.
Zumal es ja noch Figuren gibt, die bei dem JU-Pitch zwar nicht körperlich anwesend, im Geiste aber allen Beteiligten stets präsent waren: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Sie sind es, die während der Pandemie erst so richtig an Kontur gewannen. Zwar nicht ohne Pannen in der Bewältigung, aber doch auf eine staatstragende und gleichzeitig vielen sympathisch erscheinende Weise. Spahn, der ohnehin nach Höherem strebt, wurde schon vor der JU-Veranstaltung von Tilman Kuban als einer gelobt, der noch eine wichtige Rolle in der Partei spielen würde. Er hielt sich bisher, obwohl offiziell im Team mit Armin Laschet, bei der Vorsitzendenwahl zurück. Vermutlich, weil er es in der aktuellen Krise nicht gerade eilig hat.
Für Söder und die CSU indes geht es ums Ganze. Sollte man Bayern verlassen und der Schwesterpartei gerade in einer Umbruchphase einen eigenen Kanzlerkandidaten vor den Latz knallen und damit den neuen Vorsitzenden von Beginn an diskreditieren? Dafür gibt es wiederum keinen besseren Moment, da Söder seine Transformation vom fränkischen Trump hin zum zukünftigen Klimakanzler vollzogen hat. Eine Mehrheit der Bundesbürger hält ihn für einen geeigneten Kanzlerkandidaten. Das könnte mit Röttgen zu machen sein, mit Laschet/Spahn schon weniger und mit Merz auf keinen Fall. Die Entscheidung über den Parteivorsitz ist somit implizit auch eine für einen Kanzlerkandidaten.
Und zuletzt die große Abwesende. Die Frau, die in den vergangenen 16 Jahren in verschiedenen Koalitionen regierte und diverse Krisen als Chefin durchlebte. Ihr Alleinstellungsmerkmal lautete stets: „Sie kennen mich.“ Nun, wie wir sie kennen, wird sie sich eine Strategie für einen Übergang zurechtgelegt haben.
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